Mecklenburg-Vorpommern: Mittsommer im Land der 2000 Schlösser und Gutshäuser

Spukschloss contra Kunsthaus: Bei der MittsommerRemise ringen Pferdeshows vor illuminierten Schlössern, Sonnenwendfeuer und Konzerte im Schlosspark, Galerien, Millionenbaustellen und Gutshausherbergen um die Gunst der Besucher – trotz Corona.

Das Festival der nordischen Gutshäuser wurde letztes Jahr mit Corona-Auflagen durchgeführt und findet auch am 19. und 20. Juni 2021 wieder statt. Den dezentralen Stätten und dem Engagement von Initiator Robert Uhde sei Dank.

Text und Fotos von Helgard Below

Mittsommerremise im Herrenhaus Vogelsang

Über die Fassade des imposanten Herrenhauses mit seinen Türmchen und Erkern flackern blaue und rote Lichter. Die geschwungene Freitreppe ist von Fackeln erleuchtet und wer sie langsam herabschreitet und auf die Spektakel im Schlosspark blickt, kann sich fühlen, wie einst die Schlosseigentümer. Menschengrüppchen haben sich dort um die rasante, akrobatische Feuershow versammelt, andere genießen die Pferdedressur in viktorianischen Gewändern oder wärmen sich am Sonnwendfeuer, ein Glas Wein oder einen Snack in der Hand. Besitzer Dr. Robert Uhde hat sich unter sie gemischt und plaudert über seine Vision. Er, der die Mittsommerremise 2008 initiiert hat, möchte mit dem Event Touristen von der allseits beliebten Ostseeküste ins Landesinnere locken. Denn das hat viel spannendes Kulturerbe zu bieten.

Etwa 2000 Schlösser und Gutshäuser zählt Mecklenburg-Vorpommern, ungefähr die Hälfte davon denkmalgeschützt. Uhdes Herrenhaus Vogelsang liegt etwa 60 Kilometer südlich von Rostock und ist umgeben von einer ganzen Kette von Badeseen, Krakower und Malchiner See inbegriffen, von sanft gewellten Wiesen und Feldern, die mit Mohn und Kornblumen rot und blau gesprenkelt sind, von kleinen Wäldchen und hier und da einem Park mit Herrenhaus. „Ich nenne es den ‚Garten am Meer‘“, sagt Uhde, „eine einzigartige Kulturlandschaft, die von Gütern mit Gutsdörfern, Parks und Alleen geprägt ist.“

Kristalleuchter, Kerzen und bröckelnder Putz

100 Gutshäuser öffnen ihre Türen

Mit elf teilnehmenden Häusern hat die Nacht der nordischen Gutshäuser vor 13 Jahren angefangen. Jedes Jahr kamen neue hinzu. 2017 wurden aus einem zwei Tage. Seit 2020 dehnt sie sich als „Baltic Manor Festival“ auch auf Polen, Dänemark und Schweden aus. Und 2021 öffnen am 19. und 20. Juni ganze 100 Schlösser und Herrenhäuser ihre Türen, von 4-Sterne-Hotels und familiengeführten Bed & Breakfasts zu Kunsthäusern, Gestüten und Rittergütern über millionenschwere Baustellen bis zur Ruine.

Sie bieten zur Mittsommerremise Führungen über ihre Anwesen an, Lagerfeuer und Konzerte, Kaffee und Kuchen oder Barbecue im Park. Uhdes Tatendrang und den dezentralen Stätten ist es zu verdanken, dass das Festival als eines der wenigen 2020 trotz Corona-Auflagen realisiert werden konnte und auch dieses Jahr wieder stattfinden kann. Im Vorfeld versprühte er ein Maximum an Mut und Zuversicht, um die anderen Schlossherrinnen und -herren vom Mitmachen zu überzeugen. Als Arzt konnte er die Aktion sogar durch Impfungen unterstützen.

In seinem Herrenhaus Vogelsang zieht Robert Uhde die Romantik-Karte, ein Spukschloss, von Kerzen beleuchtet, mit bröckelndem Putz, riesigen Kristallleuchtern, Spiegeln und Aussichtsturm. Perfekt für Hochzeiten und rauschende Feste. Kein Wunder, das Haus im Neu-Tudorstil wurde im 19. Jahrhundert, in der Zeit der Romantik erbaut. Im englischen Gutspark organisiert er über die Saison verteilt Pferdeshows, Kleinkunst und viktorianische Spektakel, im Festsaal barocke Tafelmahle.

Pferdeshow im englischen Gutspark

Reise in die Vergangenheit

Für eine andere Zeitreise bietet sich das Gutshaus Belitz an, Drehort der ARD-Serien “Abenteuer 1900” und “Sommerfrische 1927”. Dort wohnt man heute noch wie vor 100 Jahren. Mit alten Fliesen, Möbeln und Acessoires, zum Beispiel in den Zimmern der Herrschaft, der Mamsell oder des Lehrers. Quasi „Downton Abbey“ auf Deutsch. Ohne Strom und fließend Wasser, mit Blick in den herrlichen Park und untermalt von vielfältigen Vogelstimmen, lösen sich körperliche und geistige Verspannungen fast wie von selbst. Kochkurse wie zur Jahrhundertwende, Achtsamkeitsseminare, Yoga und Kreatives Schreiben runden das Angebot ab.

Aber es funktioniert auch anderswo: diese historischen Häuser, harmonisch eingebettet in Feld und Flur, See und Meer, beruhigen den Geist und erfrischen die Sinne. Das Eintauchen in geschichtsträchtige Kulissen und der Austausch mit den Pionieren, die dieses kulturelle Erbe mit viel Liebe und Ideenreichtum restauriert haben, ermöglichen einen inspirierenden Perspektivwechsel. Es sind Orte, wo man vom Rest der Welt abschalten kann beziehungsweise wo diese noch (oder wieder) halbwegs heil erscheint. So wie in Lexow.

Landidylle im Gutshaus Lexow

Landlust

In der Nachmittagssonne auf dem grünen Dorfplatz vor dem stilvoll restaurierten Gutshaus Lexow zu sitzen und ausgiebig Kaffee zu trinken, von blühenden Rosenbüschen umgeben und von Besitzerin Bettina Buschow umsorgt, fühlt sich wie reines Glück an. Bienen und Hummeln summen in den Blüten, Schmetterlinge flattern in der heißen Sommerluft. Nebenan klappert ein Storchenpaar auf seinem Nest, durch den knallblauen Himmel sausen Schwalben. „Die Gutshäuser wählt man sich nicht aus, die kommen zu einem,“ sagt Bettina Buschow, „wir wollten aufs Land und in die Nähe vom Wasser ziehen. Dann hatten wir in Lexow so ein Bauchgefühl – die viele Arbeit kam erst später! Aber heute sind wir angekommen. Wir haben hier geheiratet, unsere vier Kindern taufen lassen und genießen es, den Gästen in unseren Appartements und Zimmern die Gegend nahe zu bringen.“

Nach einer solchen Landidylle sehnen sich viele Menschen, besonders in dieser Zeit. Und so erleben ländliche Regionen einen Ansturm. Barfuß durch die Wiese streifen, sich im Badesee erfrischen und danach auf dem Liegestuhl sonnen, in einer hoch im Baum hängenden Schaukel in den Himmel schaukeln oder in der Hängematte dösen. Kirschkerne im Bauchnabel und Kindheitserinnerungen im Kopf. Urlauben in ausgedehnten bildhübschen Landschaften, die Erholung von Stress und Straßenlärm versprechen. Im Hinterland der Ostsee ist dies möglich.

Kunsthaus Schloss Plüschow

Kunst und Kaffee

Kuratorin Miro Zahra aus Prag verfolgt einen anderen Ansatz. Seit 31 Jahren betreibt sie im barocken Backsteinschloss Plüschow ein Haus für bildende Künstler mit Ausstellungen und Stipendiaten aus aller Welt. „Mecklenburg-Vorpommern ist ein Land der Entdecker,“ behauptet sie. Hier sei noch nicht alles so festgefügt und man könne noch Orte finden, an denen man etwas gestalten kann. Tatsächlich haben viele neue Hausherren hier ihr Glück gefunden, den ländlichen Raum wiederbelebt und Leuchttürme des Hinterlandes geschaffen. Und viele wollen das Kulturerbe an Besucher weitergeben.

Das zukünftige Kulturschloss Hohen Brünzow wird von ehemaligen Hausbesetzern aus Berlin umgebaut, die heute Tai-Chi und Musiktherapie anbieten. In Schloss Kummerow ist eine der führenden fotografischen Privatsammlungen Deutschlands zu sehen und im Rittergut Damerow gibt es ein Co-Working Café. Architekt Stefan Klinkenberg verwaltet auf der Großbaustelle von Schloss Broock ein Investitionsvolumen von 40 Millionen Euro. Das riesige Gebäude in englischer Castle-Gotik war bis vor kurzem einsturzgefährdet. Das Dach ist seit den 1970ern undicht, die repräsentative Eichentreppe kaputt, im Eingangsbereich wuchsen Bäume. „Die Zerstörung sehe ich als Chance,“ erklärt Klinkenberg, „wir ersetzen die maroden Decken durch Betondecken, auf 800 Quadratmetern pro Etage. Sie tragen mehr Leute, der Brandschutz ist einfacher und so können wir bei Veranstaltungen über 100 Menschen beherbergen. So etwas fehlt in der Gegend, denn das kann keins der anderen Häuser.“ So hat jeder seine Nische gefunden auf dieser dezentralen Landpartie.

Großbaustelle von Schloss Broock

 

Tipps

MittsommerRemise:

Termine: am Samstag, den 19. Juni 2021 von 13-21 Uhr öffnen 54 Mecklenburgische Häuser und am Sonntag, den 20. Juni 2021 von 10-17 Uhr 46 Pommersche Häuser ihre Pforten.

Tickets: Vorverkauf bei den Tourismusinformationen von Rostock, Bad Doberan, Güstrow, Wismar, Teterow und Schwerin: ganzes Wochenende; 17 Euro für den Besuch aller Häuser, Samstag: Vorverkauf: 12 Euro für den Besuch aller Häuser, Abendkasse: 6 Euro für den Besuch eines Hauses, Sonntag: Vorverkauf: 8 Euro für den Besuch aller Häuser, Abendkasse: 4 Euro für den Besuch eines Hauses, www.mittsommer-remise.de

 

Corona-Bestimmungen: Die aktuelle Verordnung erlaubt Veranstaltungen mit bis zu 100 Gästen, drinnen und draußen, mit speziellem Hygienekonzept. Wem das noch zu viel ist, der kann einen Teil des Events am Sonntag streamen.

Schlossgut Gross Schwansee

Übernachtung, Essen und Trinken:

Gutshaus Stolpe: edles Ambiente und feines Restaurant im Gutspark an der Peene, www.gutshaus-stolpe.de. Schlossgut Gross Schwansee: 4-Sterne-Hotel im klassizistischen weißen Herrenhaus an der Ostsee mit Schlossrestaurant und Brasserie, www.schwansee.de,  Kloster Saunstorf: der “Ort der Stille“ ist ein modernes, überkonfessionelles Kloster im Gutshaus Saunstorf und bietet Meridian-Dehnung und Meditation im sonnendurchfluteten Festsaal und gesundes Vollwert-Frühstück, www.kloster-saunstorf.de

 

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Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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