Lindau, die Insel mit dem Löwen

Inseln sind derzeit en vogue, Bücher und Kolumnen sind voll davon. Dabei geht es nicht darum, ob eine mit dem Festland durch einen Damm verbundene Insel sich überhaupt noch Insel nennen darf. Nordstrand ist offiziell eine Halbinsel, Sylt dagegen, obwohl durch den Hindenburgdamm mit dem Festland verbunden, gilt nachwievor  als Insel, ebenso wie Rügen, obwohl über den Rügendamm an Mecklenburg-Vorpommern gekoppelt. Wer etwas auf sich hält, der ist und bleibt eben eine Insel. Da haben die Nordstränder wohl etwas falsch gemacht. Dabei sagte schon John Donne, Englands metaphysischer Dichter, „niemand ist eine Insel.“ Jeder Mensch sei ein Teil des Festlandes. Er wusste auch „wem die Stunde schlägt“, eine Aussage, mit dem Ernest Hemingway ein Buch schmückte, so wie Johannes Mario Simmel auf „niemand ist eine Insel“ zurückgriff.

Auf dem Weg nach Lindau hatten wir dies alles im Kopf und wollten wissen, nicht nur, ob Lindau eine Insel ist oder nicht, sondern vor allem auch, ob die Probleme, die Sylt und Rügen haben, Nordstrand hat nach selbst gewonnener Kenntnis keine, auch den Lindauern den Schlaf rauben.

Sylt hat ein Problem mit den Gästen, vor allem  denen die bleiben oder ihr Quartier für dauernd für sich haben wollen und dafür die einheimische Bevölkerung aufs Festland vertreiben. Das war schon zu meiner Studentenzeit so, die Bewohner zogen in den Keller oder in die Garage, die Gäste bezogen die Wohnung. Für uns traf das nicht zu, wir pennten im Auto, die Strandkörbe waren leider versperrt.

Was neu ist auf Sylt sind die Ausmaße des Besuchersturms, die Preise und der Verlust an Arbeitskräften. Denn wer rührt den hippen Gästen im Gogärtchen jetzt die Cocktails?  Während Sylt  an „Hauptwohnsitzbevölkerung“ verliert, so ein Gutachten, bleibt diese in Rügen gerne da, sie will aber den ungestörten Blick auf die Ostsee behalten. Doch den beeinträchtigt an einem zentralen Ort ein Terminal für Flüssigerdgas, der seinen Probebetrieb aufgenommen hat, obwohl dies nicht nur Anwohner und Umweltorganisationen kritisieren. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung sagt: „Brauchen wir nicht.“

All diese Probleme hat Lindau und haben wir nicht, während der Zug gemütlich über den Bahndamm zum Bahnhof auf der Insel zuckelt. Auch hier in Bayerns Süden: Trotz Damm blieb Lindau eine Insel. Die Straßenverbindung änderte daran nichts, sie führt zudem über eine Brücke. Lindau ist Bayerns Insel im Bodensee. Und wer daran zweifeln möchte, der schaue sich den bayerischen Löwen an, der die Hafeneinfahrt zusammen mit dem Leuchtturm bewacht.

Ansonsten wird es schwer, das „Bayerische“ oder „Bairische“ Lindaus zu entdecken. Denn architektonisch ist kein Unterschied zu Bregenz oder auch Wasserburg festzustellen, die Anmutung ist mediterran, es fehlen die Zwiebeltürme die gehörten Dialekte klingen eher alemannisch, badisch, schwäbisch oder schweizerdeutsch als allgäuerisch. Aber alle Menschen hier sind freundlich, friedlich, einfach gut drauf.

Vom Bahnhof aus ist man leicht zu Fuß an allen Sehenswürdigkeiten der Stadt. „Für deine Sightseeing-Tour über die Insel Lindau solltest du mindestens 3-4 Stunden Zeit einplanen. So kannst du dir alle Lindau Sehenswürdigkeiten & unsere Geheimtipps der Lindauer Altstadt in Ruhe anschauen.“ Empfiehlt das Tourismusamt. Aber man braucht länger, um zum Markt, zum Hafen, durch all die Gassen und Gässchen zu laufen, bei einem Kaffee zu pausieren oder Souvenirs einzukaufen. Zumal eine Bootsfahrt auf dem Bodensee, nach Bregenz in Österreich oder Rorschach in der Schweiz zu einem Lindau-Besuch dazugehört. Zudem ist es interessant, unbeengt von zeitlichen Vorgaben ein wenig in der Geschichte zu graben, und das fängt bei der Sehenswürdigkeit Nr. 1 des Tourismusamtes an: dem Toskanapark, obwohl dieser nicht auf der Insel liegt. Denn Lindau ist größer.

Der toskanische Großherzog Ferdinand IV. wählte Mitte des 19. Jahrhunderts Lindau als Exil. Denn 1860 hatte die italienische Nationalbewegung die Herrschaft der Habsburger über das Großherzogtum Toskana beendet, seine Halbschwester Auguste Ferdinande von Österreich hatte aber vorher schon in Lindau Grund erworben. Zudem war sie die Gemahlin von Prinzregent Luitpold von Bayern und damit Teil des Bayerischen Königshauses. Heute ist die städtische Verwaltung in der Villa Toskana untergebracht.

Auch nicht auf der Insel liegt die Empfehlung Nr. 2: Hoy. Das ist der Name eine Mini-Insel neben Lindau, 53 Quadratmeter misst eine Badeinsel, für die, obwohl von einer Mauer umgürtet, jeder Sturm der letzte sein könnte.

Naja, und wenn man bedenkt, dass als Sehenswürdigkeit auch das Beobachten eines Zeppelin aufgelistet wird, aber nicht gesagt wird, wann einer kommt, dann geht man besser auf eigene Faust und gut Glück in die bezaubernde, kleinstädtische Altstadt und stößt unter anderem auf die Reichsstädtische Bibliothek. Das ist eine Überraschung. Lindau, den Namen gab ein Mönch aus St. Gallen, er stellte im Jahre 882 eine Urkunde aus über „die Insel, auf der Lindenbäume wachsen“, war einst eine freie Reichsstadt.

Es war König Rudolf der I., deutscher König aus dem Hause Habsburg, der Lindau 1275 zur Reichsstadt ausrief. Dem machte Napoleon mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 ein Ende, 1805 besetzten Napoleon-treue, bayerische Truppen Lindau, das eigentlich an Österreich übergeben werden sollte. Mit Beginn des Jahres 1806 wurde Lindau in das Königreich Bayern eingegliedert. Die Stadt zählte zu dieser Zeit 452 Häuser. 1856 wurde der bayerische Löwe aufgestellt, obwohl Napoleon da längst Geschichte war. Und nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich die insulare Geschichte fort: Der Kreis Lindau gehörte bis 1955 nicht wie das übrige Bayern zur amerikanischen sondern zur französischen Besatzungszone. Das erste Hauptquartier des Oberbefehlshabers, General Jean de Lattre de Tassigny, wurde in der Villa Wacker eingerichtet. Im Sommer 1945 zeichnete er hier mit orientalischem Pomp und in Anwesenheit des Sultans von Marokko und des Bey von Tunis die nordafrikanischen Soldaten seiner Armee aus.

Die Lindauer Geschichte, in der nicht nur Mönche, Fürsten, Könige, Kaiser und Generäle sondern auch die Zünfte eine wichtige Rolle spielen, ist als wie unter einem Brennglas zugleich europäische Geschichte. Und wenn man abends am westlichen Inselufer in Deutschlands „südlichster Sunset-Bar“ zusieht, wie sich die Farben von Himmel und Bodensee verschmelzen und die untergehende Sonne sekündlich neue Akzente setzt, wenn man dann versonnen daran denkt, dass die Mietpreise in der Stadt nur knapp über 10 Euro pro Quadratmeter liegen, die Kaufpreise unter 6000, dann lacht man über Sylt. Zugleich spürt man, dass nicht nur eine Insel im Meer, sondern auch eine Insel in einem See, ob mit Damm oder ohne Damm, eine persönliche Eingrenzung gibt, die als angenehm empfunden wird gegenüber der unendlichen Weite hinter der untergehenden  Sonne im Westen der Welt. Und auf einer Insel fühlt sich niemand als Insel, jedenfalls nicht in Lindau.

BU: Lindaus Hafeneinfahrt; Copyright: hhh

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Hans-Herbert Holzamer

Autor Kurzvorstellung:

Freier Journalist und Autor

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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