Es gibt ja Orte, die finden uns, nicht wir sie. Vogtsburg am Kaiserstuhl ist so einer. Oder vielmehr: Bischoffingen, ein Stadtteil von Vogtsburg. Ich möchte bei einem Winzer übernachten, und zwar im Camper. Für mich eine etwas abenteuerliche Art zu reisen, denn mit Dachzelt, Gaskocher, Camping-Unit und Katzenwäsche vorm Außenspiegel bin ich noch nicht ganz vertraut. War bislang eher der Drei Sterne (gerne auch mehr)-Superior-Typ. Doch für alles gibt’s ja bekanntlich ein erstes Mal und mich reizt die Vorstellung, mein Bett immer dabei zu haben, egal wohin es mich zieht. Am Königsstuhl bin ich zu Hause, diesmal zieht es mich also an den Kaiserstuhl. Einen Plan, eine Reiseroute oder gar ein Programm habe ich nicht dabei, aber eine Heckküche, Klappstühle und ein Fahrrad.
Der Kaiserstuhl: sonnenverwöhnteste und wärmste Region Deutschlands
Der Kaiserstuhl im Schwarzwald gilt ja als die sonnenverwöhnteste und wärmste Region Deutschlands. Auf dem Boden eines erloschenen Vulkans wird Wein angebaut. Viel Wein. Der fruchtbare Lössboden, das mineralische Vulkanverwitterungsgestein und das nahezu mediterrane Klima lassen charaktervolle Weine reifen. Durch die Burgundische Pforte fließt südliche Luft in die Region und die Vogesen halten den Regen ab, gut für den Grauburgunder – und gut für mich. Auf über 4000 Hektar Rebfläche – ein Viertel der gesamten Anbaufläche in Baden – gedeihen hier sonnenverwöhnte Tropfen.
Die Winzer bieten den Wohnmobilisten und Campern oft kostengünstig einen Stellplatz an, denn nach einer Weinprobe lässt man die rollende Behausung bekanntlich besser stehen. Es gibt in Bischoffingen eine Winzergenossenschaft und fünf selbständige Weingüter mit eigener Kellerwirtschaft und Verkauf. Doch auch andere Früchte gedeihen hier prächtig. Bereits im Mai wird in Königschaffhausen das Kirschfest gefeiert, am Straßenrand gibt es überall frisch gepflückte Kirschen zu kaufen – da kann ich natürlich nicht widerstehen und lege mir Proviant zu.
Der Kaiserstuhl und die guten Weine
Ich bin auf dem Weg zum Weingut von Gerhard und Susanne Schmidt am äußersten Südosten von Bischoffingen – hoch über der etwa 700 Einwohner zählenden Gemeinde, die rundum von Weinbergen umgeben ist. Oben angekommen, legt sich sofort eine wohltuende Ruhe wie ein Mantel um mich. Diese sollte mich so sehr einhüllen, dass ich den Schlüssel des VW T6 California Beach erst nach drei Tagen wieder ins Zündschloss steckte. Mitten in den Weinbergen bricht sich das Licht der untergehenden Sonne in den Blättern der Reben, der Blick schweift über die Weinterrassen bis Burkheim und weiter bis nach Frankreich, denn der Rhein – und die Grenze zum Elsaß – sind wahrlich nicht weit entfernt.
Nach einer Probierstunde durch die guten Weine, die hier echt was können – vom Weißburgunder, Rivaner, Silvaner, Gewürztraminer bis zum Merlot – würde ich in mein Bett sinken, wäre ich Gast eines Hotels. Doch muss ich klettern, um mein Schlafgemach zu erreichen. Das Gefühl, hier oben wahrlich an Bodenhaftung zu gewinnen, beschleicht mich, selbst wenn die Beine durch ein Loch zwischen Frontscheibe und Matratze erst nach dem Gripp auf dem Beifahrersitz tasten müssen, wenn ich aus meinem Dachzelt über 204 PS wieder herabsteige.
Mit meinem Rad (ohne Akku) fahre ich in die Burkheimer Altstadt. Ein Weg, der in einer guten viertel Stunde zu schaffen ist. Unterwegs ziehen Lavendelfelder an mir vorbei und ich wähne mich fast im fernen Süden.
Provence-Feeling in der Oberrheinischen Tiefebene? Ich muss mir die Augen reiben, auch dann, als ich – wie ferngesteuert – an einem kleinen Laden Halt mache, in dem allerhand nette Produkte angeboten werden, die unter Zugabe des heimischen Lavendels hergestellt wurden: Man kennt diese liebreizenden Dinge ja von Kunsthandwerker- oder Weihnachtsmärkten und Genussmeilen. Doch hier werden Kekse, Essigessenzen, Konfitüren, Tees, ätherische Öle oder Duftkissen von den leuchtenden Blüten hinterm Haus in echter Handarbeit hergestellt.
Und tatsächlich erwartet mich in Burkheim unterhalb der Schlossruine vor historischer Kulisse eine Flaniermeile, wo sich die Stände aneinander reihen, wo geeister Wein ausgeschenkt, Flammkuchen mit Pizzarollern in Stücke geteilt wird und wo selbst gemachter Schmuck oder handgeschöpfte Schokolade verkauft werden. Und Lavendelsalz – oder andere mit Tuch und Tüll garnierten Produkte, die das Herz erfreuen. „Kunst.Markt.Genuss“ heißt das Spektakel, bei dem 70 Aussteller vom historischen Stadttor bis hin zur Schlosskulisse wahrlich inspirieren. Und dazwischen viel Musik, Weinproben und Liegestühle mit Blick auf den Totenkopf, die mit 557 Metern höchste Erhebung am Kaiserstuhl.
Auch die Walnüsse werden am Kaiserstuhl gefeiert
Nicht nur der Wein, die Kirschen und der Lavendel, auch die Walnüsse werden am Kaiserstuhl gefeiert. Sie werden hier etwa in Öl eingelegt, so dass sie ganz weich und kostbar wie Trüffel werden. Und so werden sie dann auch gegessen: am besten frisch gehobelt über Tagiatelle – ein Genuss. Von all den Geschmacksexplosionen und dem kreativem Input ganz benommen (oder lag es doch an der Weinprobe im Kellergewölbe der Schlossruine mit der Bereichsweinprinzessin von Kaiserstuhl & Tuniberg?) mache ich mich auf den Rückweg.
Nach drei Tagen habe ich die Ruhe auf dem Weingut verinnerlicht. Mit dem Gaskocher werden die Dinkelnudeln (auf der Flaniermeile „Kunst.Markt.Genuss“ gekauft) schnell al dente, die Walnüsse sind rasch darüber gehobelt, gewürzt wird mit Lavendelsatz (passt das?) und zu trinken gibt’s natürlich den Grauburgunder, an dessen Rebstöcken ich gerade gemütlich auf meinem Campingstuhl sitze und dessen Blätter mir gerade mit einem leichten Rascheln „Bon Appétit“ zu nuscheln. Und zum Nachtisch: Kirschen natürlich.
Das französische Laisser faire ist hier an der Nähe zum Elsaß deutlich zu spüren und ich lasse mich gerne von diesem leichten Lebensgefühl treiben. Nachts höre ich die Grillen zirpen, es ist im Mai im Dachzelt so warm, dass ich keine Standheizung einschalten muss, mein Fahrrad habe ich locker an die Weinstöcke gelehnt und so langsam kommt sie doch auf, diese Lust am Campen.
Und der Komfort? Der Halbpension-Anspruch? Niemand kommt und will abräumen, will mir nachschenken oder hält mir die aufgeklappte Dessert-Karte vor die Nase. Vermisse ich das? Ich ziehe die Schubladen der Heckküche auf und verstaue Geschirr und Gaskocher, finde dabei im untersten Fach eine Lampionkette. Als ich sie zwischen Außenspiegel und Fahrrad-Heckträger festgemacht habe und mein kleines „Fünf-Sterne-Hotel“ in der Nacht leuchtet, ist mein Glück perfekt.
Auf dem Heimweg mache ich einen Abstecher nach Oberkirch. Und wen wundert’s? Auch in dieser Kleinstadt – dem Eingangstor zum Renchtal – feiert man gerade eine Frucht: nämlich die Erdbeere. Oberkirch wird zum Erdbeermekka – und ich bin wieder mittendrin. Tonnen von Erdbeeren werden zu allerhand Köstlichkeiten verarbeitet und verkauft, die Erdbeerkönigin gibt Autogrammstunde.
Zum Glück ist in der Kühlbox im Bulli, die mit einem 12-Volt-Anschluss betrieben wird, noch Platz neben dem Wein, den Walnüssen, der Lavendel-Schokolade und den Kirschen. Die Orte am Kaiserstuhl und im Schwarzwald haben mich reich beschenkt. Und sicher werde ich wiederkommen. Ich muss nicht mehr danach suchen. Auf meiner inneren Landkarte stecken die Nadeln bereits fest.