ABGEFAHREN: KEIN BOND-GIRL IM BETT

Tiefschneefahren ist wie Sex. Behauptete stets der amerikanische Verhaltensforscher Ernest Dichter. Denn, so der „Vater der Motivforschung“: Jeder Schwung im unberührten Powder sei wie eine Entjungferung. So gesehen haben wir bereits zahllose Jungfrauen zugesprochen bekommen – nicht erst im diesseitigen, sondern bereits im jenseitigen Paradies. Im Deep Powder. (Nicht zu verwechseln mit Deep Throat.) Doch welcher Genuss uns noch nie im Leben zuteil wurde: die Jungfern-Fahrt mit einer Bergbahn! Doch gleich ist es soweit. Freitag, 18. November 2016, kurz nach 8 Uhr morgens: Wir bestreiten die erste…

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ABGEFAHREN! Die Ski-Reporter von Reise-Stories.de unterwegs im Schnee. Jede Woche wieder! Um aktuell zu schildern, wie es auf den Pisten von ……. gerade aus sieht.  Dieses Mal: So war es am vorgestrigen Freitag, 18. November, in Sölden im Tiroler Ötztal.

Foto oben:

Mit Jäger und Pärsch auf der Pirsch – Nicole und Sissi lassen es in Sölden stauben.

Fotocredit & Copyright aller Fotos dieses Reports:

Jupp Suttner. Sämtliche Bilder wurden aufgenommen am 18. November 2016.

Text:

Jupp Suttner

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…öffentliche Fahrt mit der neuen Giggijochbahn in Sölden! „Wir“ – das sind rund zwei Dutzend internationale Journalisten aus unter anderem Bayern, Deutschland, Italien, Belgien, Schweden, Dänemark, Tschechien und der Schweiz. Wieso gerade uns Medienvertretern diese Ehre zuteil wird? Nun ja – wenn die Gondel bei der Premiere ab stürzt, dann hat’s eh nur die Lügenpresse erwischt. Kein großer Verlust. Und: Es ist in diesem Fall niemand mehr vor Ort, der über das Drama berichten könnte.

Was durchaus stutzig macht: dass kein einziger österreichischer Medienvertreter mit von der Partie ist. Soll die einheimische Presse verschont werden? Wir müssen James fragen, was es mit diesem Mysterium auf sich hat. James Bond. Denn wir wohnen anlässlich dieses Events im 007-Hotel, das in Wirklichkeit Bergland heißt und als heißestes Design-Haus des Ortes während der Dreharbeiten zu Spectre als Unterkunftsstätte von Daniel Craig auserkoren worden war. Werden sie uns heute Abend, wenn wir in unsere Suiten zurück kehren, ein  großes, blondes Bond-Girl aufs Bett drapiert haben? Um unsere Berichterstattung zu beeinflussen?

Das Bergland gehört wie auch das Central (einziges 5 Sterne-Hotel von Sölden) zum Falkner-Clan, der auch alle Bergbahnen der Gemeinde sein Eigen nennt. Die Familie weiß seit mehr als hundert Jahren, wo es im Ötztal lang geht. Stets Unternehmer, stets durch und durch. Um bei den Bergbahnen zu bleiben:

Da gab es einen Hans Falkner, der 1948 als 31jährger die einzige bestehende Aufstiegshilfe des Orts erwarb und revolutionierte – beispielsweise indem er den Motor eines ausgedienten Panzers ein baute. Die standen damals schrottreif zur Verfügung. Und als der Falkner Hans in den 70iger Jahren die Idee hatte, den Gletscher aus zu bauen, riet ihm der Tiroler Landeshauptmann (in Deutschland: Ministerpräsident) Eduard Wallnöfer, mit dem ihn eine große Freundschaft und die Gemeinsamkeit der Liebe zum Wein verband: „Hans, fang an – wir werden’s schon so schlampig durchbringen.“

Und so kam es. Sölden gedieh. Und erhielt immer mehr Bergbahnen (33 Stück nunmehr) und ein immer noch größeres Skigebiet. Inzwischen ist man bei 434 Hektar Pistenfläche und 146 Pisten-Kilometern angelangt. 44,8 % davon sind am heutigen Premieren-Testtag der Bergbahn geöffnet, inklusive Gletscher rund 59 %. Akkurat ausgerechnet hat dies Söldens Bergbahn-König Jakob Falkner (60), der (Hans’ Sohn) seit Kindheit an nur Jack genannt wird. Und jetzt steigt der Jack in eine der Gondeln. Wir auch – es geht los! Jungfern-Fahrt! Mit 2.000 kw (etwa 2.700 PS) Antriebskraft setzt sich die Bahn in Bewegung. Ist sie mal am Rollen, benötigt sie nur noch 1.600 kw (2.175  PS).

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Jakob “Jack” Falkner und seine neue Giggijochbahn

Es sind 134 todschicke 10er-Gondeln, welche die Giggijochbahn da hat. Eine schön rot, alle anderen in edlem Schwarz. Wenn die Gondeln Trauer tragen – muss nicht immer in Venedig handeln. Man sitzt prima, man sieht ausgezeichnet – und die Konstruktion düst so flüsterleise dahin, als handele es sich um ein Schweben statt Fahren. Fabelhaft! Wobei „düsen“ es trifft: Mit durchschnittlich 6,5 Metern pro Sekunde (also etwa 23 km/h) ist die Bahn überdurchschnittlich schnell. Weniger als 9 Minuten dauert die 2,65 km lange Fahrt von der Tal- zur Bergstation mit 920 m Höhendifferenz, von 1.362 m über dem Meer unten auf 2.283 m hinan. Doppelmayr hat eine völlig neue Bahn-Bauart geschaffen – und Sölden hat das Ergebnis als Erste Station von allen erhalten.

Der Weltcup-Ort hat mit dem 30 Millionen-Euro-Bau (26 Stützen, 5.3712 m Seillänge) also wieder mal einen Weltrekord geschafft – denn die 10er-Einseil-Umlaufbahn ist mit 4.500 Personen Beförderungs-Kapazität pro Stunde die stärkste rund um den Globus. Sie steht am Ortseingang von Sölden und dient in erster Line als Zubringerbahn ins Skigebiet.

RSFotoSoelden2016TalstationBeiNacht
Die Talstation bei Nacht

 

RSFotoSoelden2016Bergstation
Die Bergstation am Tag

Am Ortsende hingegen liegt die zweite große Zubringerbahn der Destination, die Gaislachkoglbahn. Deren Kapazität: 3.600 Personen pro Stunde. „Zusammen sind das“, sagt Jack Falkner, „8.100. Das gibt es nirgendwo sonst.“ Und weist auf das hin, was ihm als besonders wichtig erscheint: „Wir haben dadurch nicht mehr Gäste. Kapazität wird oft mit der Gästezahl verwechselt.“ Aber es gebe nun keine Wartezeiten mehr, denn: „Der Gast will nicht warten.“

RSFotoSoelden2016BMW
Die drei haben zusammen weniger PS als die Bergbahn

Dann sind wir oben und verlassen die Konstruktion, die laut Hersteller eine enorme Last- und Windstabilität besitzen soll. Feine Getränke stehen parat und wir stoßen an. Zum Beispiel darauf, dass die Jungfernfahrt so optimal verlief und es nicht einmal knallte. (Hätte ja beim Durchbruch der Schallmauer durchaus geschehen können.) Und zum Beispiel darauf, dass nirgendwo Feuer aus brach. Denn dies wiederum ist eine ganz besondere Geschichte:

Wird in Österreich eine Bergbahn gebaut, so kontrollieren die zuständigen Behörden auch, ob nicht etwa in der Nähe Gebäude stehen, deren Flammen – so sie in Brand geraten würden – auf die Gondeln über greifen könnten. Im Falle der Giggijochbahn waren es vier Anwesen. Drei davon besitzen nun Fenster, die automatisch schließen, so Feuer im Haus aus bricht. Und das vierte Gebäude wurde ganz eliminiert. „So etwas geht gleich in die Hunderttausende“, sagt Helmut Kuprian. Kuprian ist der technische Leiter der Giggijochbahn – der Herr der Maschinen. „Einen Monat lang haben wir im Frühjahr die alte Bahn abgerissen“, erzählt er, „und dann fünf Monate lang die neue aufgebaut.“

RSFotoSoelden2016Kupener
Helmut Kuprian, Herr der Maschinen, vor dem Kernstück der Giggijochbahn

Jack Falkner nickt. „Eigentlich sollte die Bahn ja Ende November fertig werden. Aber ich habe Druck gemacht. Es st ja schließlich nicht die erste Bahn, die ich baue. Und was haben wir heute? Nicht den 30., sondern den 18. November!“

Gab es während des Baus eine absolut kritische Phase? Kuprian: „Wir hatten zwar oftmals schlechtes Wetter und kamen anfangs wegen des Schneefalls nur langsam voran. Aber dann ging alles nach Plan.“

Und der schönste Moment der Bauphase?

„Bei Autobauern st das der Moment, wenn der Motor ins Auto kommt. Das ist wie eine Hochzeit. Bei uns ist das die Auflegung des Seils. Die erste Drehung…“ Kupern war bereits beim Bau der 1998er-Bahn dabei. Sentimental nun beim Abriss derselben? „Nein, denn ich wusste ja, dass etwas Neues kommt“. Die alte Bahn versieht ihren Dienst nun in Hochötz.

Das Anstoßen findet in der Bergstation statt – einer futuristisch wirkenden folienbespannten Stahlkonstruktion. Wobei wir natürlich auch gleich auf die Talstation mit ihrem turmartigen Kern zu sprechen kommen – einen kühnen Bau, dessen Einstiegsebene auf 13 Meter Höhe empor gesetzt wurde, zu erreichen über Rolltreppen. Ein Landmark, wie auch die Bergstation kreiert vom Architekturbüro obermoser arch omo mit Sitz in Innsbruck. Den Architekten Johann Obermoser (62) hatten wir bereits ein paar Woche zuvor in München kennen gelernt. Er trug – wie alle Künstler und vielfach auch Zuhälter – einen Pferdeschwanz und jemand erzählte spontan einen nicht gerade sophisticaden Witz, der fast vom Referat abgehalten hätte:

„Kennt ihr den, als eine Frau eine Bekanntschaftsanzeige auf gab? Sie schrieb: ‚Mann mit Pferdeschwanz gesucht. Darf ruhig Glatze haben.’.“

Wir wagten es nicht, albern zu kichern und auch die Damen am Tisch sahen davon ab, uns mit ihren brachial spitzen Ellbogen die Rippen zu brechen (was laut geknackt hätte) ob dieser ungehörigen political uncorrectness, denn die Worte des Herrn Architekten waren es wirklich wert, nicht unterbrochen zu werden. Weil: Er lobte nicht nur sich und sein Werk, sondern auch alle, die dabei waren: „Unglaublich, was die Einheimischen geleistet haben. Geradezu wahnwitzig, in fünf Monaten so etwas hin zu stellen – wobei kein einziger Heliflug notwendig war!“

1976 stand die erste Generation der Giggijochbahn an dieser Stelle, 1998 wurde die zweite errichtet, nun die dritte. 25 Jahre lang soll das Konstrukt halten. Und damit alles rund läuft, hielten sich vor unserer Ankunft acht Tage lang zwei Experten des Bundesministeriums hier auf. Die beiden Herren aus Wien checkten und testeten jedes Detail, ob denn auch alle Vorschriften erfüllt seien. Und am Tag vor unserer Premiere machte sich noch ein Gremium von 28 Personen elfeinhalb Stunden lang über die Bahn her. Fürderhin werden sich acht Menschen um die Bahn kümmern sowie sechs Kassier(innen) dafür sorgen, dass Geld herein kommt.

Jack Falkner erzählt den internationaen Medien von den „very comfortable stairways“ und dass alles sehr modern sei – „it’s like a shopping center“. Dann schnallen wir an – denn schließlich bedeutet ja ABGEFAHREN nicht, mit der Gondel hinauf zu fahren, sondern mit Skiern bergab zu wedeln. Um es kurz zu machen, aus unserem Notizbuch:

Der Gletscher ist wegen Sturm größtenteils gesperrt.

Die Nichtgletscher-Pisten – ein Gemisch aus Natur- und Kunstschnee – sind ziemlich bald an vielen Stellen abgeschabt, so dass das feine Kurvenfahren oftmals doch eher zu einem Schliddern gerät und man sich fragt: „Muss ich die Ski schleifen? Oder die Oberschenkel?“ Um genügend Druck auf die Kanten zu bringen.

Die Sicht gibt sich teilweise als annehmbar, teilweise als anstrengend.

Aber den Leuten gefällt es größtenteils trotzdem – für viele ist es der erste Carving-Tag des Jahres, da ist man noch nicht so extrem anspruchsvoll.

Doch nach dreieinhalb Stunden Durchfahren (die 30 Minuten Cappuccino-Pause zwischendurch zählen wir einfach nicht), kehren wir an der Mittelstation des Gaislachkogls in die Tirolerstube ein – denn in dieser Hütte befindet sich die „Knödelwerkstatt“. Aus jener lassen wir uns das Dreierlei (Spinatknödel, Tiroler Speckknödel, Kaspressknödel) auf geschmortem Jungkraut mit brauner Butter und Parmesan kommen – ein Hochgenuss für 13,90 Euro.

RSFotoSoelden2016Knoedel
Das Dreierlei aus der Knödelwerkstatt der Tirolerstube

Und hinterher als Dessert Ötztaler Ziachkiachl (Ausgezogene, wie man diese Art Kirchweihnudeln in Bayern nennt)  mit Preiselbeeren für 6,50 Euro: zum Augenverdrehen köstlich! Alles handgemacht.

RSFotoSoelden2016Ziachkiachl
Ötztaler Ziachkiachln

Bei der letzten Abfahrt, die bis hinab ins Tal noch NICHT möglich ist, ziachkiachelt es dann gewaltig in den Oberschenkeln und es scheint klar: jene sind es, die geschliffen gehören – damit sie nicht mehr pfeifen wie Assingers Komantschen, sondern jubeln wie zwei glückliche Engerl.

Um auf die Jungfräulichkeit des Anfangs zurück zu kommen: Sölden hat ab dieser Saison eine Kooperation mit der Jungfrau-Bahn in der Schweiz. „Ultimate Summits“ nennt sich die Verbindung auf gut tirolerberneroberlandisch. „Die haben uns“, schwärmt Jack Falkner, „eine jahrelange Verbindung auf dem asiatischen Markt voraus. Davon können wir nur profitieren.“ Die Schweizer wiederum können vielleicht von den Tirolern lernen, wie man Landeshauptmännern um geht.

Damit aber Schluss mit den Jungfrauen. Jetzt lieber ins Hotel!

Doch leider haben sie dort für die Nacht doch kein Bond-Girl in die Federn gelegt. Stattdessen eine Packung Gummibärchen.

Man wird selbst in guten Häusern immer sparsamer.

Jupp Suttner

Infos über das Skigebiet: www.soelden.com

Infos über das Hotel: www.bergland.com

Infos über die Region: www.oetztal.com

Infos über das Land: www.tirol.at

Infos über Österreich: www.austria.info

 

 

 

 

 

 

 

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Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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