Mensch Astrid!

Schriftstellerin Nicola Förg ist eine glühende Verehrerin der großen Astrid Lindgren. Und begab sich auf deren Spuren.

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Mensch Astrid! Jetzt sitze ich dir gegenüber auf dem Marktplatz von Vimmerby, du an einer alten Schreibmaschine, ich mit Notizblock. Der schwedische Sommer verwöhnt uns mit makellosem Himmel und über 30 Grad. Aber ob du das so alles gewollt hast? Ich meine nicht das Wetter, aber all die Menschen, die dein bescheidenes Grab, dein Geburtshaus und den Park stürmen? Du hast gesagt in der Tiefe der Seele seiest du melancholisch…

katthultmailAstrid Lindgren, 1907 geboren als Astrid Ericsson, zweite von vier Geschwistern, hineingeboren in eine bäuerliche Kinderwelt voller Freiheit und doch Geborgenheit. Irgendwann einmal als Erwachsene sagte sie: „Ich wunder mich, das wir uns nicht kaputt gespielt haben.“ Das ungestüme Bauernkind schrieb einen Schulaufsatz, der in der Zeitung veröffentlich wurde. Was sie nicht werden wollte, war Schriftstellerin. Sie bekam einen Job bei der Zeitung – und mit 18 ein Kind vom Chefredakteur… Sie warf sich quasi selber aus dem Elternhaus, der Sohn war lange bei einer Pflegemutter. Sie arbeitete hart, in ihren späteren Mann war sie nie verliebt, sagt sie. 1944 schrieb sie Pippi Landstrumpf für ihre Tochter Karin, der Verlag Bonnier sagte kategorisch „Nein!“. Ein Literaturprofessor fand, dass Pippi unnatürlich sei.
Und manchen gilt das größte Kinderbuch aller Zeiten bis heute „unpädagogisch“. Und unnormal, denn Astrids Mädchen sind stark. Ronja, die Räubertochter, Madita, die hinreißende mollige Tjorven aus Saltkrokan mit Bernhardiner Bootsmann. Und Pippi. 1945 druckte ein anderer Verlag, bei Bonnier dürfte man sich in den A… gebissen haben! Pippi siegte, alle Lindgren Bücher erfuhren einen millionenfachen Siegeszug, weil Seelen und Herzen überall auf der Welt – hinter den Masken, hinter der Erziehung, hinter der Manipulation – eben doch gleich sind.
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Astrid Lindgrens Kinderbücher sind keine leichte Kost, aber sie findet federleichte Worte, zum Heulen schön. All ihre Bücher leben in Vimmerby, in Astrid Lindgrens Värld. Und das ist keiner der üblichen  Freizeitparks! In Miniaturen aus den Filmen spielen echte Menschen Theater; die Schauspieler sind Profis, die durchaus im Winter an den ganz großen Häusern arbeiten. Die Kinder sind Laiendarsteller, sie wachsen aus ihren Figuren ja auch mal raus. Eine Sommerrolle im Park adelt ein Kind in Schweden. Da gab es den Jungenaus Kiruna, weit, weit oben im Norden, der unbedingt Michel werden wollte. Er bekam die Rolle, die Familie mietete ein Haus und einer von Mama, Papa, Opa oder Oma waren stets vor Ort.
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„Wenn du Backstage verlässt, bist du die Figur. Kinder lügen nicht, sie taktieren nicht. Ihr Lachen ist echt, sind wir schlecht gehen sie“, sagt Pippi. So einfach ist das und so großartig, so bezaubernd, so innig. Man kann ohne Probleme einen Tag allein an der Villa Villekulla (Kunterbunt) verbringen! Es ist die Kunst des leichten Lachens!
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Es ist auch der Zauber einer leisen, unaufdringlichen Landschaft in Smaland, all die Filmschauplätze liegen rund um Vimmerby. Bullerbü, Madita am Göta Kanal und natürlich Michels Welt. Im Original hieß er „Emil aus Lönneberga“, Michel ist die deutsche Version. Katthult ist die Welt von Thomas, Isaak und dem Rest der Familie.  Auf Katthult hat man sich daran gewöhnt, dass immer wieder Leute in der privaten Küche stehen, der Mensch wird in so einem lebenden Museum halt auch mal übergriffig… Bis in die 70er Jahre war das idyllische Katthult ein Bilderbuchbauernhof irgendwo im Nirgendwo.

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Wo Wälder dahinwogen, Findlinge von Moos bepelzt sind, wo unendliche Seen glitzern. Dann kam das Filmteam und beamte in den 70er Jahren Katthult auf die Fernseher der Welt. „Die Filmer waren von Anfang an begeistert“, erzählt Thomas, „der Hof liegt am Hang, das ergab fantastische Kamerawinkel.“ Eigentlich dachten alle, dass der Spuk dann vorüber wäre, aber Besucher kamen, immer mehr, aus aller Herren Länder und so wurde Katthult eben ein lebendes Museum, von jeder Generation liebevoll geführt. Es ist ein kurzer, internationaler Sommer, dann haben die Katthulter ihre Küche wieder und das melancholische Wintersmaland.
sofia2mail Sofia ist im Winter Skilehrerin in Kitzbühel, im Sommer ist sie im Park die Kaltmamsell. In einem Park, in dem an normalen guten Tagen 6000 Leute sind, an Spitzetagen 12000, ist die Essenzubereitung pure Logistik. Und eine Nervenfrage bei etwa 400000 Pfannkuchen in der Saison. Nerven hat Sofia. „Ich sage den jungen Leuten immer: Wenn du hier gearbeitet hast, sagst du nie mehr, du hast Stress. vaterundsohn2mailWenn mal 200 Leute vor dem Eisstand anstehen, dann wirst du fürs restliche Leben echt demütig.“ Im Park der Kinder gibt’s kein Junk Food, „die Geschmacksnerven von Kindern kann man sehr wohl beeinflussen“. Es kommen keine billigen Hendl aus Thailand, alles stammt von lokalen Produzenten, verarbeitet in regionalen Rezepten.
Auch das wäre in Astrids Sinn gewesen. Sie war eine vehemente Gegnerin von Massentierhaltung. Schwedens Tierschutzgesetze haben viel mit Astrids flammenden Reden und Schriften zu tun. „Gegen die Abarten der Großbetriebe. Es gibt Dinge, die man tun muss. Sonst ist man Dreck.“ Ja, sie stand  immer auf für die Schwachen, weil die „Menschheit doch unter einem Konstruktionsfehler leidet.“ Sie war immer politisch, niemals feige. All ihre Reden, mit denen sie zahllose Preise entgegennahm, waren stets bescheiden und voller Nachhall. „Halbblind und völlig verrückt und ich bin die Schwedin des Jahres?“, rief sie bei der Wahl.
impark5mailMensch Astrid! Wenn alle nur so wären wie du! Nur ein bisschen beleidigt bin ich schon! Es gibt keine T-Shirts für Erwachsene. Ich weiß, du hattest einst einen betrunkenen Bauchträger gesehen, über dessen Wampe ein Pippi-T-Shirt spannte. Das fandest du so grauenvoll, dass du keine T-Shirts für Große mehr lizensiert hast. Nur für Kinder, weil „Kinder schaffen Mirakel, wenn sie lesen“. Mensch Astrid, ich versteh dich ja – dann kauf ich halt eine Umhängetasche …und du hast völlig Recht: „Genauso schön Bücher zu lesen, ist es Bücher zu schreiben.“

 

Info

Allgemeine Auskunft:
VisitSweden, Michaelistr.22, 20459 Hamburg, Tel. 040/32551359
www.visitsweden.com

In Vimmerby:
+ALV Astrid Lindgrens Värld, www.alv.se, der Park mit 180000 qm, mit 55 Theaterstücken am Tag
+Näs, www.astridlindgrensnas.de, Ausstellung zu Astrid Lindgrens Leben, Geburtshaus, schöner Park

Wohnen:
Karaktershotellet, Traktorgatan 3, 59823 Vimmerby
Hotel, in dem jedes Zimmer einer historischen Person aus dem Ort gewidmet ist, mit Campingplatz und Pool www.björkbakken.se

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Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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