Galizien – Kelten, Kunst und Kathedralen

von Udo Haafke

„Mit einer Gaita ist es wie mit einem guten Whisky: sie muss lange reifen bis sie ihre höchste Vollendung erreicht.“ Alvarro Seivane lächelt versonnen während er auf den Stapel säuberlich aufgeschichteter Holzstücke blickt. „Ja, diese Buchsbaumscheite liegen tatsächlich 10 Jahre hier zur Trocknung. Und dann braucht es nochmals fünf Jahre bis die Pfeifen komplett fertiggestellt sind.“ Das Holz des Buchsbaumes wird traditionell für die Pfeifen von Dudelsäcken verwendet, weil es besonders langsam, dafür aber sehr gerade und gleichmäßig wächst. Doch da es immer weniger nutzbare Buchsbäume gibt, müssen zunehmend Alternativen her. „Wir nehmen inzwischen vermehrt Ebenholz aus Madagaskar, das jedoch einen ähnlich langen Reifungsprozess zu durchlaufen hat.“

Die Brüder Seivane

Die Firma Seivane stellt in dritter Generation die kleinen galicischen Dudelsäcke her und die kleine Werkstatt in Cambre etwas außerhalb von A Coruña ist ein Familienbetrieb im wahrsten Wortsinn. Bruder, Tochter, Frauen und Kinder sind hier aktiv. Sie produzieren als eine der bedeutendsten Firmen dieses Genres maximal 300 Geitas pro Jahr. In einem kleinen Ausstellungsraum finden sich neben einer Büste des Firmengründers, der mit dem Bau der urigen Instrumente in Lugo begann, einige, besonders exklusive Meisterstücke. „Meine Tochter Stefania hat jüngst erst wieder eine CD mit traditionellen Geita-Liedern herausgebracht.“ Der bescheidene Instrumentenbauer erwähnt dabei nicht, dass Stefania zu den absoluten Größen der Szene gehört und mit ihrer Geita auf den Konzertbühnen der Welt zu Hause ist. „Sie beherrschte das Instrument schon mit 4 Jahren und hat diese Kunst quasi mit der Muttermilch aufgesaugt. In unserem Haus war die Konfrontation mit der Musik und den sonderbaren Tönen natürlich unausweichlich“, lächelt Alvarro.

Zum Abschluss einer Führung durch die Produktionsstätte lässt sich die Familie dann auch schon einmal zu einem kleinem musikalischen Vortrag überreden. Da stehen sie dann in Schürze und Arbeitskittel mitten in der Werkstatt und blasen und trommeln alte Weisen im unvergleichlichen Dudelsack-Sound, den man gemeinhin eher mit Kilt berockten Schotten in Verbindung bringt. Aber eigentlich ist das Ganze eher umgekehrt: die Kelten kamen nämlich aus verschiedenen Teilen Europas und zogen mit ihrer Kultur und Lebensart über Galicien in der Nordwestecke Spaniens übers Meer gen britische Inseln, landeten zunächst in Irland und erst viel später in Schottland, wo es zum Kult stilisiert wurde. Überhaupt hat die grünste Region des spanischen Festlandes viele, vor allem klimatische Parallelen zum nördlichen Nachbarn jenseits der Biskaya.

Santiago de Compostela

Die meisten Menschen kommen auf Schusters Rappen nach Galicien, wandernd auf dem wohl populärsten Weg der Entbehrungen und Buße: dem Jakobsweg, der seinen Endpunkt zu Füßen der Kathedrale in Santiago de Compostela hat. Entsprechend belebt ist der von historischem Kloster und Rathaus gesäumte Platz zu fast jeder Tageszeit, denn der Strom der Pilger, die aus allen Teilen der Welt herbeikommen, scheint nie wirklich zu versiegen. Sie alle folgen dem Symbol der Herzmuschel, das sie zuverlässig an genau diesen Punkt leitet. Das letzte Stück des Weges ins Innere des Gotteshauses zum Antlitz des heiligen Jakob bleibt anschließend nur noch eine leichte Pflichtaufgabe. Entsprechend der großen Pilgerzahl sind die Verkäufer von Souvenirs ebenfalls nicht weit. Sie bieten allerlei Devotionalien vom Teddybär bis zum mit Muschel verzierten Wanderstab an.

Santiago de Compostela

In den historischen Gassen der Altstadt Santiagos finden sich nicht weniger als 95 Klöster und Kirchen, die alle in der Mittelalterzeit die Nähe der legendären Pilgerstätte suchten und fanden. Ihre Fassaden aus Sandstein oder Granit kontrastieren im Stadtbild mit den charakteristischen verglasten Balkonen der Wohnhäuser und Villen. Darunter hat sich eine lebhafte Gastronomie entwickelt, die sich in erster Linie um die populären Früchte des Meeres dreht, wobei der karminroten Seekrake, dem Pulpo, eine ganz besondere Rolle zukommt. Gekocht und die Arme in kleine Stücke gehackt, gilt er als galicisches Nationalgericht. Tapas ohne Pulpo sind schlicht undenkbar. Verschiedenste Muschelarten, Schnecken und Austern sowie die unterschiedlichsten Fische, geräuchert, gekocht oder frittiert, runden das reichhaltige kulinarische Spektrum aus dem Atlantik ab. Am einfachen Marktstand im Schatten der Hallen des Mercado kann man sich damit rustikal und bestens verköstigen, etwas raffinierter und beinahe kunstvoll geht es hingegen in den zahllosen Lokalen der alten Universitätsstadt zu.

Die einzigartige Treppe im Volksmuseum

Viele, vom langen Laufen ermüdete Pilger verpassen vermutlich eines der architektonischen Highlights der Stadt, das sich in einem früheren Kloster und heutigen Ethnografie-Museum Museo de Pobo Galego verbirgt. Einer optischen Täuschung gleich schrauben sich in einem Turm des Gebäudes gleich drei Wendeltreppen ineinander in die Höhe und führen in die jeweiligen unterschiedlichen Ebenen der oberen Etagen. Platzmangel war der Grund für diesen gestalterischen Kniff, der mit in die runden Mauern eingelassenen Stufen aus Granit den Besucher einfach nur in anerkennendes Staunen versetzt. Dabei geraten die eigentlichen Präsentationen der hochinteressanten, von vielerlei Handwerk und Kunstformen geprägten galizischer Kulturgeschichte nahezu in den Hintergrund.

Idoia Cuesta mit ihren jungen Weidenbäumen

Doch die Kunst traditionellen Handwerks geriete zusehends ins Abseits, gäbe es nicht junge Kulturverfechter, die kräftig gegen den Strom schwimmen und sich gerade der alten Techniken bedienen. Idoia Cuesta ist eine von ihnen, die mit ihren Arbeiten sogar in der internationalen Haute Couture für Furore sorgt. Mitten in der ursprünglichen Ländlichkeit des Biosphärenreservates nördlich von Lugo betreibt Idoia eine kleine Korbflechterei. Das dafür notwendige Rohmaterial baut sie direkt im Garten an, der aus unzähligen Weiden-, Birken- und Ahornbäumchen unterschiedlichster Arten besteht. Der Clou ihrer eigenwilligen, aber formvollendeten Körbe und Taschen ist die geschickte kreative Verknüpfung mit weiteren natürlichen Materialien wie etwa Wolle.

Zimmermann und Bootsbauer Francisco Fra Rio

Genau wie vor 200 Jahren fertigt der Zimmermann Francisco Fra Rio im idyllischen Hafen von St. Ciprián an der galicischen Nordküste die typischen kleinen, flachen  Fischerboote der Region. „Im 19. Jahrhundert verwendeten meine Vorfahren das Holz des Eukalyptus-Baumes für den Bootsbau. Heute nehmen wir das ähnlich stabile Eichenholz aus dem die Spanten und der Rumpfboden entstehen.“ Im Zwielicht seiner Werkstatt ist das Bootsgerippe ein wenig undeutlich zu erkennen. „Dann“ referiert Francisco weiter, „fehlt nur noch das besser biegsame Kiefernholz für den Rumpf.“ Aufträge für neue Boote sind indes selten, in der Regel steht die Reparatur oder Instandsetzung historischer Wasserfahrzeuge in den Auftragsbüchern.

Jorge Bellón mit seinen Glücksbringern

Jeder Galicier sollte, so weiß die Legende, wenigstens einmal in seinem Leben eine Wallfahrt zur kleinen Kirche Santo André de Teixido unternommen haben. Entsprechender Trubel herrscht in dem winzigen Fischerdörfchen, das sich ganz den Pilgern verschrieben hat. Jorge Bellón produziert im Hinterzimmer seines Ladens vor der Kirche traditionelle, farbenfrohe Amulette mit hoher Symbolkraft, die Sanandreses. Sein Arbeitsmaterial ist schlichter, stark gesalzener Brotteig, den er zu klassischen, Glück bringenden Formen knetet, nach deren Trocknung bunt bemalt und schließlich noch auf einen Faden zieht. Ein Souvenir, das beinahe jeder, der den Ort besucht, sich um den Hals hängt und mit nach Hause nimmt.

Ganz fokussiert auf die Kathedrale Santiagos, die permanent von Baugerüsten eingehüllt ist, damit sie zum Heiligen Jahr 2021 in frischem Glanz erstrahlen kann, sind die Kathedralen an der Playa de Catedrais den Unbilden des Meeres ausgesetzt. Nur bei Ebbe kann man die imposanten Felsen, die Höhlen und mächtigen Durchbrüche besichtigen, und pro Tag dürfen es nicht mehr als 4612 Personen sein, die die spektakulären Felsformationen besuchen. So tummeln sich dann an schönen Sommertagen ähnlich viele Touristen gleichzeitig auf dem Sandstrand so wie auf der Plaza Santiagos. Gerne nutzen auch Hochzeitsfotografen diese ungewöhnliche Kulisse für ungewöhnliche Fotos als Erinnerung an einen unvergesslichen Tag.

Hochzeitspaar an der Playa de Catedrais

Information:

Allgemein www.spain.info/de/
Spanisches Fremdenverkehrsamt Frankfurt/Main, Myliusstr. 14 , 60323 Frankfurt/Main, Tel.: +49(0)69 72 50 33, Email: frankfurt@tourspain.es
Spanisches Fremdenverkehrsamt Berlin, Lietzenburger Straße 99, 10707 Berlin, Tel.: +49(0)30 882 65 43, Email: berlin@tourspain.es
Spanisches Fremdenverkehrsamt München, Schubertstraße 10, 80336 München, Tel.: +49(0)89 53 07 460, Email: munich@tourspain.es
Galicien: www.turgalicia.es

Anreise:
Statt zu Fuß kann man Galicien auch ganz bequem mit dem Flugzeug von den meisten deutschen Flughäfen aus erreichen, allerdings meist mit Umstieg in Madrid. www.iberia.com

Unterkunft:
Vom einfachen Gästezimmer bis zum Luxus-Hotel stehen zahlreiche Unterkunftsmöglichkeiten zur Verfügung. Sehr schöne Lage und Ausstattung in einem alten Kloster im Zentrum von Santiago de Compostela das Hotel Monumento San Francisco (www.sanfranciscohm.com), in Lugo empfiehlt sich das direkt neben dem großen Marktplatz gelegene Hotel Mendez Nuñez (www.mendeznunez.com). Nahe zum Strand von Viveiro an der Nordküste liegt das moderne Hotel Ego mit ausgezeichnetem Restaurant (www.hotelego.es). Über ein solches verfügt auch das Hotel Finisterre oberhalb des Hafens der Küstenstadt A Coruña (www.nh-hotelscom/hotel/hesperia-finisterre).

Essen und Trinken:
Insbesondere die in großer Zahl vorkommenden Meeresfrüchte bestimmen die galicischen Speisepläne und die Speisekarten der Restaurants. Dabei sind traditionelle Gerichte genauso populär wie neue Kreationen auf Basis regionaler Zutaten. Einige Empfehlungen:
Restaurants Resas und A Tafona in Santiago de Compostela, Pulperia Aurora und Restaurante Paprica in Lugo sowie das zauberhafte Landgasthaus Casa do Mudo in Cervo oder das Leira Antiga in Cedeira.

Kunsthandwerk:
Dudelsackherstellung Gaitas Seivane (www.seivane.es)
Korbflechterei Idoia Cuesta (www.idoiacuesta.com)
Traditionelle Bootsbauerwerkstatt Asteleiros Fra (www.astillerosfra.com)
Salzteigamulette Jorge Bellón (www.artesaniadegalicia.xunta.gal)
Lederschuhmanufaktur Elena Ferro (www.elenaferro.com)
Porzellanfabrik Sargadelos (www.sargadelos.com)
Schmuckmanufaktur Oscar Rodriguez (www.oscar-rodriguez.com)

Museum:
Museo de Pobo Galego (www.santiagoturismo.com/museos/museo-do-pobo-galego)

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Udo Haafke

Autor Kurzvorstellung:

freiberuflicher Foto-Designer und Bildjournalist, Autor diverser Bildbände, Kalender und Reiseführer, Ausstellungen im In-und Ausland, freie Mitarbeit bei verschiedenen Tageszeitungen im Bundesgebiet.

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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