Fitnesstraining mit mediterranen Aromen: Olivenernte 2015 in den hügeligen Marken

Für einen Tropfen Öl braucht man drei Tropfen Schweiß, sagt ein Sprichwort. Und da ist was dran. Wir haben sie gerade wieder vollbracht, die Olivenernte in der mittelitalienischen Region Marken. Und wenn wir gefragt werden, wie die Ernte war, dann sagen wir: schön, anstrengend, schweißtreibend, aber in diesem Jahr auch sehr befriedigend!
Von Heidi Rauch

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Olivenbaumblüten

Denn nach dem desaströsen Erntejahr 2014 in Italien (und Istrien) mit fast 80 Prozent Ernteeinbuße war das Klima den Menschen wieder hold und der Olivenfliege abträglich: Ein heißer, trockener Sommer machte dem gefürchteten Schädling den Garaus, will heißen, dass die Larven von Bactrocera oleae, so der botanische Name der winzigen Olivenfruchtfliege, größtenteils abstarben. Diese Bohrfliege, die es mittelwarm und feucht mag, bohrt sich in die wachsende Olivenfrucht, legt dort ihre Eier ab, die Larven ernähren sich von dem Fruchtfleisch – und kurz vor der Ernte fallen die Oliven braun durchlöchert zu Boden. Ungenießbar.
Sind die ersten Einstich-Löchlein an den grünen Oliven zu sehen, ergreift die Olivenbauern die Panik. Die meisten spritzen dann, was das Zeug hält. Wir nicht. Wir wollen Bio-Olivenöl. Also müssen wir vorbeugen, etwa mit Pheromonfallen, die wir in die Bäume hängen. Überhaupt ist vor der Olivenernte im Herbst im Verlauf des Jahres mehr Arbeit nötig, als so mancher sich vorstellt. Erst die zunehmend auch in den Medien wahrgenommene Bedrohung durch Schädlinge, wie etwa Xylella fastidiosa, das Feuerbakterium, das die Olivenbäume in Apulien jüngst reihenweise befallen hat, hat deutlich gemacht: Es ist nicht selbstverständlich, dass wir weiterhin gutes Olivenöl bekommen!
Licht, Luft, Sonne – und bitte kein Hagel!
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Vaso Policonico Schnitt

Nachdem Olivenöl zudem das am meisten gefälschte Lebensmittel ist, gilt es noch mehr, die Olivenbauern zu unterstützen, die ehrlich, handwerklich und mühsam ihre Olivenhaine bestellen. „Bestellen“ heißt im Falle von Olivenbäumen: Das Gelände rund um die knorrigen Stämme muss mehrmals jährlich von wucherndem Unkraut befreit werden, es muss gepflegt werden. Spätestens, wenn man im Herbst die Netze unter den Bäumen ausbreiten will, rächt es sich, wenn Brombeersträucher oder ähnlich stachliges Gewächs sich unkontrolliert vermehren konnten. Ganz zu schweigen von Xylella, siehe oben.
Ebenso wichtig ist im Frühjahr der richtige Baumschnitt. Unbeschnitten wäre der Olivenbaum nämlich gar kein Baum, sondern ein Strauch, der seine Äste wild in die Gegend wuchern lässt. Da man aber keine Äste und Blätter, sondern die Olivenfrucht ernten will, muss der Mensch dafür sorgen, dass Licht und Luft an die Blüte und später die Frucht kommen. „Vaso policonico“ heißt der moderne Schnitt, frei übersetzt „mehrkegeliges Gefäß“. Will heißen: Der Baum wird oben in der Mitte radikal ausgedünnt, nur vier, fünf sogenannte Antennen, die gen Himmel ragen, werden stehen gelassen, um die Lymphe, die Nahrungsflüssigkeit des Baums, zu transportieren. Schönes Bild eigentlich: Da reckt sich der Baum zur Sonne und gibt diese nach unten weiter, auf dass sie sich in der Frucht konzentriere. Olivenöl heißt ja nicht umsonst auch flüssiges Gold.
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Massignano Blick in die Schneeberge

Hat man also all dies im Olivenhain erledigt – Geländepflege, Baumschnitt, Fallen aufhängen – muss man warten. Auf gutes Wetter. Auf viele heiße Sommertage. Und dann auf Regen. Denn zu trocken darf es auch nicht sein. Dann bleibt die Olivenfrucht zu klein, die Ernte würde zu gering ausfallen. Dabei habe ich noch eine Bedrohung vergessen: Hagel. Tatsächlich hat es dieses Jahr zwei Mal in den Marken gehagelt: Einmal, als die Mandelbäume blühten. Folge: keine Mandeln dieses Jahr. Das hätte auch passieren können, als die Olivenbäume blühten. Auf der anderen Seite der Adria, in Istrien, haben die Bauern das leider erleben müssen und daher eine schlechtere Olivenernte eingefahren. Zum zweiten Mal prasselte der Hagel wenige Stunden nieder, als die Oliven gerade ihr Wachstum begannen. Ca. 15 Prozent unserer Oliven waren damit auch dahingerafft.
Rütteln und kämmen gegen Winkeärmchen
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Baumschnitt

Ist nun all dies glücklich überstanden, darf man sich endlich auf die Olivenernte freuen! Tatsächlich ist die Ernte ein Erlebnis der besonderen Art: Wer einmal zusammen mit Freunden im steilen Hang gestanden hat und in fast meditativer Stille mit bunten Plastikkämmen die Oliven vom Baum in die Netze gekämmt hat… Aber halt, das ist nur ein Traum! Denn in Wahrheit ist es keineswegs still.
Neueste Erkenntnisse, dass die Oliven am selben Erntetag unbedingt in die Ölmühle müssen, weil sie sonst das Fermentieren anfangen und damit das gewonnene Olivenöl an Qualität verliert, fordern ihren Tribut – und zwar in Gestalt eines elektrisch betriebenen Erntekamms, der leider Lärm macht. Das Gerät hat gleich mehrere Vorteile: Erstens erreicht er mit seinen zwei Metern Länge auch die oberen Äste, ohne dass jemand auf Leitern steigen und Knochenbrüche riskieren muss; zweitens schafft der elektrische Antrieb eine Rüttelleistung, die weit über manuelles Kämmen hinaus geht; und drittens ist das Stemmen des schweren Teils ideal gegen Winkeärmchen bei Frauen bzw. ein ideales Armmuskel-Training für Männer.
Mami im Netz

Wie überhaupt die gesamte Ernte in relativ steilen Hängen ein ideales Fitnesstraining ist. Ausgerüstet mit Bergstiefeln mit trittsicheren Sohlen, um nicht auf den Netzen auszurutschen, muss man gleichzeitig elegant balancieren, um nicht auf die schon unten liegenden Oliven zu treten. Sind genügend Oliven im Netz, werden die nun schweren Netze zusammengerafft und die Oliven in luftige Plastikkörbe geschüttet. Die rund 20 Kilogramm wiegenden vollen Körbe müssen dann hinunter oder nach oben getragen werden, um im Transportfahrzeug verstaut zu werden. Das Ausbreiten der Netze unter den nächsten Bäumen erfordert stetiges Bücken und Kniebeugen, während das Kämmen dann wieder Dehn- und Streckübungen nötig macht. Das alles umgeben von olfaktorischen Genüssen der typischen mediterranen Landschaft mitsamt wilder Minze, Rosmarin und eben Oliven. Schöner als jedes Fitness-Studio!
Ohrstöpsel und Geduld in der Ölmühle
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Frantoio Olivenbrei Maschine

Aus den Blättern machen wir übrigens sehr wohlschmeckenden Olivenblätter-Tee und nennen ihn den Energiespender, weil sich in der Tat in den Blättern die gesunden Stoffe der Olive noch mehr konzentrieren. Allerdings nehmen wir da bevorzugt die kräftigeren Blätter vom Frühjahrsschnitt, lassen sie wochenlang trocknen, häckseln und verpacken sie. Die bei der Olivenernte anfallenden Blätter werden übrigens in einer guten Olivenmühle mitsamt den breiigen Rückständen aus der Pressung zu organischem Dünger verarbeitet.
Womit wir also endlich in der Ölmühle angelangt sind. Es ist Abend, man hat einen Termin ausgemacht und ist froh, sich nach des Tages harter Arbeit endlich hinsetzen zu können. Das Schwerste am Erntetag ist übrigens das Wiederaufstehen nach der verdienten Mittagspause. Da spürt man schon, welche Muskeln bei der ungewohnten körperlichen Arbeit strapaziert worden sind.
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Oliven fallen aus der Windmaschine

In der Ölmühle sollte man Zweierlei mitbringen: Ohrstöpsel und Geduld. Romantische Mahlsteine, die gar von Eseln gezogen werden, gibt es hier schon lange nicht mehr. Dafür laute Edelstahl-Ungetüme von Pieralisi, dem Marktführer aus Iesi, Marken. Nach dem Wiegen kommt die Windmaschine zum Einsatz, die das lose Blattwerk von den schwereren Oliven trennt. Dann werden die Oliven zwei Mal gewaschen und in die Mahlwerke transportiert. Der gesamte, rund zweieinhalbstündige Prozess des Zerkleinerns, Zentrifugierens, Extrahierens und schließlich der groben Filtrierung geschieht möglichst ohne Zufuhr von Luft. Lediglich neugierige Deutsche, die doch mal einen Deckel anheben, um zu schauen, wie die bräunlich-grüne Maische so ausschaut, unterbrechen den luftdichten Prozess hin und wieder.
Große Zufriedenheit und Muskelkater

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Und endlich ist es soweit: Ein grün-gelber Strahl ergießt sich in die bereitgestellten 50- oder 30-Liter-Edelstahlkanister. Rasch hält man einen Finger hinein und kostet. Einfach herrlich, die Frucht der Arbeit eines Tages sehen und schmecken zu können. Dann noch ein Moment der Spannung: Wieviel Ertrag hat man erzielt? 12 Prozent! Nicht schlecht für eine Oktober-Ernte. Je später man erntet, etwa noch im November, desto höher liegt der Ertrag, desto milder wird das Olivenöl. Die gesunden Antioxidantien, Polyphenole und Vitamine sind weitaus konzentrierter in früher geernteten Oliven. Lila ist die bevorzugte Erntefarbe, also der Zeitpunkt, an dem sich die grüne Olive langsam schwarz verfärbt. Nur eine Minderheit an Olivensorten ist und bleibt grün oder schwarz.

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Mittagspause nach der Ernte im Casa Cedri

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Heidi & Michi .. Olio fließt

Wie viele Liter Olivenöl hat uns also die Arbeit eines Tages gebracht – zu acht wohlgemerkt? 60 Liter aus 500 Kilogramm Oliven von 30 Bäumen, die ca. 50 Jahre alt sind. Nicht nur Mathematiker erfassen es schnell: Im Schnitt hat jeder Baum uns zwei Liter Olivenöl geschenkt! Nicht gerade viel. Ein guter Baum kann bis zu 100 Kilo Oliven bringen, also je nach Ertragsquote 12 bis 16 Liter Olivenöl. Aber dazu bedarf es eben sehr guter Pflege. Wie sagte es Bruno, einer unserer Nachbar-Olivenbauern in meinem Buch „Oliven – Eine Liebeserklärung an den Süden“, so schön: „Große Gewinne gibt es nicht, aber große Zufriedenheit.“ Dazu einen Tag Muskelkater, aber das ganze Jahr über erstklassiges Olivenöl.
Die Autorin
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Heidi bei der Olivenernte

Die Journalistin und PR-Fachfrau Heidi Rauch besitzt zusammen mit ihrem Mann Michael Konitzer und einer befreundeten Familie ein Haus in der mittelitalienischen Region Marken/Le Marche, zu dem auch ein kleiner Olivenhain mit 30 Bäumen gehört. Seit 2013 importiert sie Olivenöl ihrer Nachbarbauern unter dem Label Olio Piceno. www.oliopiceno.de.
 
Und sie hat ein Buch über ihre Leidenschaft geschrieben: „Oliven – Eine Liebeserklärung an den Süden“, im März 2015 erschienen im Münchner Dort-Hagenhausen-Verlag.
 
Persönliche Empfehlungen für die südlichen Marken
von Heidi Rauch
Unterkunft:
Bed & Breakfast „Il Melograno“ von Annelise und Tom, neben dem Ort Massignano, mit herrlichem Garten.
Annelise ist Südtirolerin, d. h. sie spricht deutsch, gibt Italienisch-Kurse und ist eine göttliche Bäckerin. Jeden Morgen gibt es selbstgebackene Kuchen (himmlische Brownies!), von Tom gebackenes Nussbrot (plus Ausflugstipps) und selbstgemachte Marmeladen.
www.ilmelogranobb.com
Gleich gegenüber ist der 9-Loch-Golfplatz I Lauri, ein Cross-Country-Platz, d. h. eine ideale Übung für die Olivenernte. Auch hier werden schön eingerichtete Zimmer vermietet.
www.golfclubilauri.com
Die weiter im Hinterland gelegene Ferienwohnung unserer Freundin Claudia, zwischen Cossignano und Montalto delle Marche, zu mieten über www.fewo-direkt.de, Objekt: 2384445.
Essen:
Die Marken sind „mare e monti“, d. h. Fisch und Fleisch.
Empfehlung für ein Fischrestaurant direkt am Meer, das ganzjährig geöffnet hat:
Chalet Da Federico, an der Palmen-Strandpromenade von San Benedetto del Tronto. Seit 1950 in Familienhand!
www.dafederico.com
Empfehlung für ein Fleischrestaurant im hügeligen Hinterland von Grottammare Richtung Ripatransone: Agriturismo La Contrada von Paolo (Grüße von Heidi sagen!).
Hier wird das exzellente marchigianische Rind, das genauso gut ist wie das weiße Chianina-Rind aus der Toskana, serviert auf dem heißen Stein nur mit Meersalz gewürzt. Jeder brät es sich am Tisch so lange oder kurz er mag. Ein zartes Gedicht! Dazu cicoria, das bittere grüne Gemüse (nicht richtig vergleichbar mit unserer Zichorie), und patate fritte in forno, gebackene Ofenkartoffeln, bestellen. Als Vorspeise passen Olive ascolane. Das sind die großen, mit einer Fleischfarce gefüllten und frittierten Oliven, die es nur in der Region Ascoli Piceno gibt. Mehr nicht, sonst bleibt kein Platz fürs Fleisch!
www.agriturismolacontrada.com
 

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Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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