Der Dezember bereitet bisweilen bitterkalte Tage. Und Nächte. In denen wir uns folgendes Szenarium vorstellen, um die tiefen Temperaturen glücklich zu bewältigen: Nach dem Skifahren im Chalet ein offener Kamin samt Eisbärenfell. Drapiert mit der Liebsten. Außerdem nötig: ein Plattenspieler aus dem letzten Jahrhundert. Auf jenen gilt es nun Scheiben aus dem sehr letzten Jahrhundert auf zu legen von einer Band, die ihre größten Erfolge vor 40 bis 50 Jahren feierte: die Beach Boys. Einige ihrer wärmendsten Hits tragen Titel wie „Good Vibrations“, „Surfin’ U.S.A.“, „ Surfin Safari“, „Surfin Girls“, „Fun, Fun, Fun“ oder „Be True to Your School“, womit zwar nicht die Ski School gemeint ist, aber auch ihr können wir treu bleiben, wenn sie es verdient. Jedenfalls – es wird ein Winterabend voller sommerlicher…
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ABGEFAHREN!
Die Ski-Reporter von Reise-Stories.de unterwegs im Schnee. Jede Woche wieder! Um aktuell zu schildern, wie es auf den Pisten von ……. gerade aus sieht. Dieses Mal: So war es beim Opening in Ischgl/Tirol am gestrigen Samstag!
Foto ganz oben:
Kultband beim mittlerweile schon traditionellen Top of the Mountain Concert – The Beach Boys eröffnen mit fulminanter Saison die Saison in Ischgl. (c) TVB Paznaun-Ischgl
Fotocredit & Copyright aller Fotos dieses Reports:
TVB Paznaun-Ischgl
Text:
Jupp Suttner
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… Leichtigkeit werden. Und wir möchten fast wetten, dass diese Methode, die Minus-Grade zu vergessen, mit dieser Musik-Art sogar draußen, outdoor, funktioniert. Zu herzschmelzend einfach, diese Songs.
So unsere Theorie. Und die Praxis? Testeten wir mit mehr als 15 000 anderen Carvin’ Boys und Carvin’ Girls am gestrigen Samstag, 28. November 2015 – denn da traten die Alt-Stars aus dem sommerlichen California im winterlichen Tirolia auf: in Ischgl. Um das legendäre Opening zu bestreiten. Bei einem Freiluftkonzert am Abend.
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Doch noch schreiben wir Vormittag. Und müssen als Erstes gleich von Frederick erzählen. Frederick ist ein schwedischer Fotograf, Mitte 30, und nimmt seinen Job sehr ernst. Gestern eilte er aus Malmö hier her. Und heute Früh’ kroch er bereits um 5 aus den Federn, „um Ischgl zu diesem Zeitpunkt zu erleben“. Frierend pirschte er mit der Kamera durch den Ort. „Und plötzlich“, erzählt er mit glänzenden Augen jetzt, um etwa 8 Uhr, beim Frühstück im Hotel, „ging die Türe eines Clubs auf und es kamen acht Frauen heraus. Alle in Mini-Röcken, keine unter Einsachtzig, eine sexier als die andere!“. Stangentänzerinnen, wie Frederick recherchierte, am Ende der Nachtschicht.
Bruce Johnston (73) trägt bei unserem Sonnabend-Frühstück KEINEN Minirock. Sondern eine Schlabber-Shorts, die etwa die Hälfte seiner Oberschenkel bedeckt, und Badelatschen. Nun gut, wir befinden uns hier nicht im 5*****S-Hotel Trofana Royal, das etwa 50 Meter entfernt liegt, sondern nur in einem 4****-Haus ohne S. Aber trotzdem: Darf man derart nachlässig gekleidet in einem Speiseraum erscheinen? Nein, darf man nicht – es sei denn, man ist ein Beach Boy. Um es kurz zu machen: Bruce Johnston IST ein Beach Boy. Seit 1965 bei der Musikgruppe dabei. Die ganze Band ist hier im Hause unter gebracht. Und BJ scheint es halt nicht anders gewöhnt, als sich auf diese Art zur Morgenmahlzeit zu kleiden. „Bei mir zu Hause in Kalifornien, in Santa Barbara“, erzählt er, während wir auf die frisch zu brutzelnden Ham and Eggs warten, „steht links ein kleines Hotel und steht rechts ein kleines Hotel. Und genau dazwischen liegt mein Haus. Hinten hinaus bin ich gleich am Pazifik.“ Wo er gerne surft. „Ich habe drei Bretter in der Garage. Aber nur noch Longboards. Das mit den kurzen, das war früher…“
Und boarden im Schnee? „Oh no“. Auch als wir ihm zu vermitteln versuchen, dass Snowboarden in den 70iger- und 80iger-Jahren noch ganz offiziell „Snow-Surfing“ hieß, stimmt ihn dies nicht um – für ihn kommt ausschließlich Meer-Surfen in Frage. Ein Beach Boy ist ein Beach Boy ist ein Beach Boy. Bis auf einen. „Wir haben einen Kanadier in der Crew. Und für den ist es wohl Pflicht, dass man sich in den Schnee begibt. Er war gestern hier in Ischgl Skifahren.“
Irgendjemand sagt, dass wohl auch Robbie Williams anlässlich seines Ischgl-Auftritts 2014 in diesem Haus hier abgestiegen sei. „Ach, der Robbie!“, sagt des Fotografen Fredericks Freundin, „wenn DER hier wäre gewesen wäre, mein Schatz – dann hättest DU in den Hintergrund treten müssen! Da hättest Du dann zu Deinen acht GogGo-Girls gehen können!“. 1 Robbie gegen 8 Stangentänzerinnen – es gibt keine Tauschgeschäfte auf dieser Welt, die es nicht gibt.
Ischgl liegt auf 1 400 m Höhe und alle Wiesen rund um den Jetset-Ort präsentieren sich wunderbar weiß. Wir packen die Ski und lifteln den Berg empor. Mit in der Gondel: fünf Snowboarderinnen, der Sprache nach aus Norddeutschland. Eine fragt eine andere: „Was war denn da gestern Abend eigentlich los?“. Die andere: „Der Kerl hat mir an der Bar dauernd in den Ausschnitt geglotzt. Dann habe ich ihm gesagt, er soll das doch bleiben lassen. Und da hat er gesagt ‚Gerne – da ist doch ohnehin nichts zu sehen!’. Und da habe ich zu ihm gesagt ‚Aber garantiert immer noch mehr als in Deiner Hose!’.“ Oooooja – wir sind in Ischgl. Jede Gondelfahrt ein Highlight der Rhetorik.
Oben angekommen ist dann noch weniger als in etwelchen Ausschnitten oder Hosen zu sehen, denn: miserabelste Sicht. Kein Nebel zwar, doch dichte Wolken. Aus denen es in mittelschwerem Maße schneit. Klasse Schneeverhältnisse auf den Pisten – wer braucht da schon Sicht? 13 ° minus würden oben am Grat herrschen, verkündet ein Leuchtband. Wir natürlich dennoch hinauf, denn auf der anderen Seite des Grats lockt schließlich der Schweizer Teil der Silvretta Arena – mit der Zollenklave Samnaun. Und dem Schnäppchen-Shopping. „Heute müsste man sich eine Rolex kaufen“, schlägt einer im Sessellift vor, „eine bessere Sicht als zum Schmuggeln kommt den ganzen Winter nicht mehr!“. Weil die österreichischen Zöllner auf Ski (die durchaus Stichkontrollen durch führen, ob einer Unverzolltes aus der Eidgenossenschaft mit sich führt) in dieser trüben Suppe heute vielleicht den Durchblick verlieren.
„Wegen drohendem Sturm“, entnehmen wir einem Leuchtband auf der Tiroler Seite des 238-Pisten-km-Skigebiets, „werden die Gäste von Samnaun gebeten…“ – sobald wie möglich nach Hause in die Schweiz zu düsen, ehe vielleicht irgendwelche sensiblen Aufstiegshilfen ihren Betrieb ein stellen und man bei Nullsicht im Niemandsland fest sitzt. Bei uns herüben hingegen, im austrianischen Revier, weht kein Orkan, sondern nur ein 45 km/h-Wind, der nicht schadet – sondern sich, im Gegenteil, sogar als ausgesprochen nützlich erweist: Er vertreibt immer wieder einige Wolken – so dass zum ausgezeichneten Schnee sich nun auch noch eine einigermaßen passable Sicht ergibt. Die freilich offenbart, dass neben den Pisten bisweilen weniger Weiß liegt als auf den von Kanonen mit Zusatz-Kunstschnee bestäubten roten und blauen Strecken. Und als wir am frühen Nachmittag die Talabfahrt in Angriff nehmen, erweisen sich manche Hänge als bereits reichlich abgewetzt, so dass zahllose Brettlrutscher nur noch haltlos dahinschliddern statt spaßig zu wedeln.
Unser nächstes Ziel – das Pardatschgrat Panorama-Restaurant auf 2 600 m Höhe. Denn dort steigt ein Fototermin mit den Beach Boys im Schnee. Schon entsteigen sie der 3S-Bahn. Riesenauflauf. Junge Skifahrer gucken neugierig: „Was ist da los?“. Schwäbischer Kumpel: „Da komme de Beach Boys, de altn Säck’.“ Der Youngster hängt offensichtlich der Meinung nach, hier handele es sich um Beach Gruftis. Dabei ist die Band gefragt ohnegleichen. Sie kommt gerade aus Neuseeland, spielt heute Abend in Ischgl, dann geht es weiter nach Amsterdam und es folgen noch fünf Auftritte in Deutschland – alle ausverkauft. „Wir haben 157 Konzerte im Jahr“, weiß Bruce Johnston, „wir kommen ganz schön ’rum. Und da wir 64 Songs im Repertoire haben, spielen wir jeden Abend etwas anderes – da wird es nie langweilig für uns.“
Mike Love wird im März 75, der älteste der Band, seit 1961 dabei. Skifahren? „Yes!“, grinst er. Wenn er links und rechts jemand zum Stützen habe. Was der Unterschied „between Californian girls and Austrian girls“ sei, will ein – vermutlich österreichischer – Reporter wissen. Mike Loves clevere Antwort: „Wir würden uns wünschen, dass die österreichischen Mädels zugleich kalifornische wären…“
Und diese Gondel, mit der sie eben nach oben gefahren seien, wäre „the most amazing gondola I’ve ever seen.“ Das gefällt ihnen natürlich, den Ischglern. Dann erklärt er noch das Rezept des Immer-noch-Erfolges, obwohl die Beach Boys doch bereits seit hunderttausend Jahren existierten: „Weil wir nur von den wirklich wichtigen Dingen dieser Welt singen – Girls, Surf, Cars and School“. Wobei „die Musik, die wir in den Sixties kreierten, heute auch noch den Enkeln unserer damaligen Fans gefällt. Wir sind wie Disneyworld – für alle Generationen passend.“
Dann ist es 18 Uhr – das Konzert auf dem Parkplatz von Ischgl beginnt. Und ist ganz nett und plätschert ein wenig dahin –aber nach etwa 30 Minuten gerät es in Fahrt. Und wie! Von Stück zu Stück steigt die Stimmung. Alte Männer sind den Tränen nahe ob der Erinnerung an einst, als diese Musik DIE Musik ihres vor Jahrzehnten jungen Lebens war – und junge Mädchen von heute tanzen wenige Meter von ihnen entfernt Twist, als ob das immer noch Mode wäre wie damals für ihre Großmütter. Die Beach Boys heizen ein und auf der Leinwand im Bühnenhintergrund laufen Videos von verrückten Oldtimer-Auto-Fahrten sowie Surfszenen nach Surfszenen – mit Girls, die nicht nur eine blendende Bikini-Figur und Gesichtszüge voller Schönheit besitzen, sondern auch noch auf ihren Boards durch die Wellen reiten wie Teufelinnen. Girls, die einfach alles haben und scheinbar alles können. 99 % der männlichen Besucher des Konzerts schwören – im nächsten Leben ein Beach Boy zu werden. Um eines dieser Beach Girls zu kriegen.
Die Performance wird immer heißer. Jetzt holt der Gitarrist sich eine Blondine auf die Bühne mit hautenger Schlangenhose. Er drängt sich kamasutramäßig an ihren Rücken und streift ihr die Gitarre über, die nun genau auf Höhe ihres Unterleibs hängt. Und jetzt zupft und zirbelt und wirbelt er mit seinen flinken Fingern an den Saiten, dass es wirkt, als bearbeite er die Vulva der Lady. Ein Gitarren-Porno der fabelhaft schmutzigsten Art. Das Publikum kreischt. Die einen vor Entsetzen, die meisten vor Glück.
Nach dem Konzert, auf dem Weg durchs Dorf, brüllt einer in sein Handy: „Servus! Herzlichen Glückwunsch! Zum 75., hahahaha – Du bist so alt wie die Beach Boys, bei denen war ich gerade auf dem Konzert. Ja, in Ischgl. Beim Opening. Supergeil! Skifahren? Gestern traumhaft, heute nichts als Suppe!“
Der Mann neben ihm sagt: „Wenn ich mit 75 auch noch so gut beisammen bin wie die Beach Boys…“ Dann überlegt er: „Na ja, bei denen war’s nicht schwer, so fit zu bleiben – die waren ja nie daheim.“
Und beschwört damit die alte Weisheit nicht nur von Ischgl: Auswärtsspiele halten jung. Bis ins höchste Alter.
Jupp Suttner
Infos über das Skigebiet:
www.ischgl.com
Infos über die Region:
www.paznaun-ischgl.com
Infos über das Land:
www.tirol.at
www.austria.info
NOSTALGIE:
SIE MÖCHTEN WISSEN, WIE ES BEIM
ISCHGL-OPENING 2014 MIT JAMES BLUNT UND 2013
MIT NICKELBACK WAR?
Bitte sehr – hier die Originalberichte der beiden letzten Jahre:
reise-stories.de/abgefahren-ski-reporter-unterwegs-dieses-mal-ischgl-james-blunt-und-die-nackte-lady-im-schnee-tirol/
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