Churchill an der Hudson-Bay – Stadt der Eisbären

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Die Sonne lugt über den Horizont, Farbenspiele überall, die riesigen Äcker und Wiesen weit unten sehen aus wie winzige Schachfelder. Eine halbe Stunde später. Das gleiche Bild. Weites Land: die kanadische Provinz Manitoba. Der Pilot fliegt nach Norden. In den hohen Norden. Dort, wo im Herbst schon Eis und Schnee die Landschaft prägen. Das Ziel liegt im Nirgendwo. 40 Grad minus im Winter. „Normal“, sagen die Einheimischen. Keine Straße, nur per Flugzeug oder mit der immer verspäteten Eisenbahn gelangt man nach Churchill an der Hudson-Bay. Die eisige Tundra steht normalerweise nicht auf dem Ferienplan der wärmeliebenden Europäer. Verlockend grüßt der Strand in Thailand oder die Fledermaussafari im Sauerland. Doch der Kälte zum Trotz machen sich einige ganz Verwegene und Unerschrockene auf die lange Reise nach Churchill. Die Frage ist, und dies ganz zu Recht: Warum tun sie das? Die Antwort ist simpel: Die kleine Siedlung namens Churchill gilt als die Hauptstadt der Eisbären. Ein im Postamt erhältlicher Stempel für den Reisepass bestätigt dies mit Nachdruck.

Bärige Zeiten

Plötzlich wird es hektisch im Bus. Nasen drücken sich an die eisigen Scheiben. Sheldon, Fahrer und Ranger, drückt zaghaft auf die Bremse, das Vehikel stoppt, und da liegt er: unser erster Polarbär. In einer kleinen Schneehöhle hat er es sich bequem gemacht. Gemächlich nimmt er uns zur Kenntnis, lugt mit einem Auge in unsere Richtung. Er scheint, seine Ruhe haben zu wollen, trollt sich und verschwindet hinter dem nächsten Schneehügel. Im Oktober und November ist es nichts Ungewöhnliches, die gewaltigen Nomaden des Nordens vor die Linse zu bekommen. Und Churchill ist gerüstet für den Ansturm von hungrigen Eisbären und abenteuerlustigen Touristen. Damit nichts in Schieflage geraten kann, existiert sogar ein ausbruchsicheres Gefängnis. Doch hier werden keine rüpelhaften Exemplare des Homo sapiens eingesperrt, nein, hier kommt notfalls Ursus maritimus hinter Schloss und Riegel. Keine Kost, nur Logis. Churchill besitzt ein gut funktionierendes Polar-Bear-Alert-Programm, wie uns Andrew Szklaruk, ein Mitarbeiter der „Polarbär-Polizei“ berichtet. Während der Saison patrouillieren Andrew und seine Kollegen täglich in den frühen Morgenstunden, bevor Churchill zum Leben erwacht, durch die Straßen und halten Ausschau nach Eisbären, die sich in den Ort verirrt haben. Außerdem inspizieren sie, die rund um den Ort aufgestellten, mit Fett getränkten Lappen ausgestatteten Käfigfallen. Wer in der Stadt einen Eisbären erspäht, wählt 675-2327 oder 675-Bear. Für den Notfall lassen die Bewohner die Türen ihrer Autos und Häuser offen. Sollten die Ranger einen, der so kuschelig aussehenden Gesellen bei einem Ausflug in die City erwischen, wird dieser betäubt, registriert, in das Gefängnis verfrachtet und zu einem späteren Zeitpunkt per Helikopter in die Weite der Tundra ausgeflogen.

Mulmiges Gefühl

Wer früh morgens einen Spaziergang durch die verschneiten, eisigen Straßen der Eisbärenhauptstadt wagen möchte, sollte ebenfalls wachen Blickes sein. Die bis 30 Grad minus erprobten Schneeboots schützen zwar vor Frostbeulen und abgestorbenen Zehen, doch nicht vor hungrigen Eisbären. Diese können hinter jeder Ecke nach Essbaren Ausschau halten. Jeder ungesicherte Müllcontainer, ein wahres Freudenfest für die Naschbären in Weiß. Deshalb mache ich immer einen weiten Bogen um jede Straßenecke. So lautet auch eine Anweisung von Tamara, die uns seit Tagen das Verhalten der plüschigen Arktisbewohner und der Churchillianer näher bringt. Für den Notfall oder um einfach um den neugierigen Eisbären aus dem Vorgarten zu vertreiben, besitzen die meisten Einwohner auch noch ein kleines Sammelsurium an Feuerwerkskörpers. Knallfrosch versus Ursus maritimus. Wenn es denn hilft.So ist es immer wieder, auch nach einigen Tagen hier oben im kanadischen Norden, ein etwas mulmiges Gefühl das sichere Hotel zu verlassen und in den Morgenstunden allein die Stimmung des Ortes einzuatmen und zu verinnerlichen. Ich liebe diese Momente, so abenteuerlich und nur für mich. Oder eben nicht. Laut den Einheimischen kam es seit Jahren nicht mehr zu einem Unglück zwischen Tier und Mensch. Das beruhigt mich ein wenig. Die Kälte zerrt an meiner Skijacke, versucht ein Stückchen nackte Haut unter meiner Fleecejacke mit Wärmegrad XXL zu erreichen. Vergebens. Mein Outfit hält, was die Werbung verspricht. Ich bin glücklich hier zu sein.

Cheeseburger und Ringelrobben

Ende Oktober/Anfang November haben die Eisbären in der Arktis einen Bärenhunger und warten darauf, endlich die Jagd auf ihre Leibspeise eröffnen zu dürfen. Abgemagert sehen die stolzen Tiere aus. Beeren und andere vegetarische Kost während der Sommermonate stellten eine harte Diät für die Kolosse dar. Nun gieren sie nach nahrhaften Speisen, die ruhig auch etwas fettig sein dürfen. Doch die schmackhafte Ringelrobbe macht sich noch rar und ist vorerst noch außer Gefahr. Erst wenn die Hudson-Bay ihren eisigen Panzer präsentiert, lauern die flauschigen Raubtiere ihrer Beute auf. Sobald die Robbe zum Luftholen auftaucht, muss der Eisbär die Gunst der Stunde nutzen und schnell reagieren. Jedes Atemloch kann ein Festmahl verbergen. Nicht immer ein leichtes Unterfangen, so halb verhungert und schwach auf den Tatzen. Hungriges Warten auf das Eis. Und so treiben sich Unzählige der großen, weißen Gesellen in der Gegend um Churchill rum. Denn genau hier gefriert das Wasser der Bucht zuerst. Bis dahin sind sie eine Attraktion für Touristen aus aller Welt. Auch aus Europa. Hotelbetten sind nun Mangelware. Die wenigen Hotels des 1.000-Seelen-Ortes freuen sich über gute Buchungen. Ob die Eisbären ebenso erfreut über die zahlreichen Besucher sind, ist nicht genau zu eruieren. Doch Hunger haben alle. Ob Ursus maritimus oder Homo sapiens. Bei Gypsy’s an der Hauptstraße heißen Tony und Helen DaSilva, die Betreiber, weitestgehend Zweibeiner herzlich willkommen. Es herrscht eine familiäre Atmosphäre und die Bagels schmecken wirklich erstklassig. Während beim riesigen Cheeseburger, zumindest an diesem Tag, die Höchstnote für kulinarische Erlebnisse nicht vergeben werden konnte. Süßes Backwerk oder Burger. Eben reine Geschmacksache. Nichtsdestotrotz steht man für die leckere Naschereien oder für einen Steak-Sandwich gerne mal für einige Zeit in einer längeren Schlange. Beim Warten im Warmen, Daunenjacke an Daunenjacke, stimmen wunderbare Fotos von Nordlichtern und arktischer Natur auf das bevorstehende Abenteuer ein. Draußen tobt der Schneesturm. Und morgen geht’s auf Tour, auf Eisbärentour in die Weite der Tundra.

Am Morgen, bei etlichen Minusgraden und eisigem Wind, erwarten uns Tara und Lionel gut gelaunt an einer hölzerner Anlegestelle für meterhohe Tundra-Buggys. Über eine Art Bootssteg gelangen wir zu unserem weißen, an die verschneite Umgebung angepassten Vehikel. Tara wird uns auf der Fahrt mit ihrem Wissen über die Eisbären immer wieder überraschen und Lionel qualifiziert sich zum, unserem Empfinden nach, weltbesten Tundra-Buggy-Fahrer. Manch ein Fahrmanöver durch das unwegsame und vereiste Gelände lässt den unvorsichtigen Gast von der Sitzbank gleiten. Kein Fahrfehler, sondern einfach kanadische Tundra. Die Sicht über die fast ebene Landschaft bis hin zum Horizont gelingt meist störungsfrei, nur vereinzelt recken sich Sträucher und kleine Bäume empor. Zwischen kahlem Buschwerk entdecken wir unsere ersten Polarbären, die in der Inuit-Sprache Nanook heißen. Sie sind träge, aalen sich im Schnee und nehmen keine große Notiz von uns. Der Anblick ist einzigartig, wir könnten stundenlang schweigend diese stolzen Tiere beobachten, doch Lionel startet den Motor und wir cruisen gemächlich weiter über das Meer aus Schnee. Zwei spielerisch kämpfende Ursi maritimi erwecken kurze Zeit später unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. Immer wieder stellen sie sich auf ihre mächtigen Tatzen und testen ihre Kräfte bei einem bärischen Ringkampf. Unvergesslich. Doch wie lange noch kann man dieses faszinierende Schauspiel noch erleben?

Zurück in einer der wenigen Restaurants treffen wir auf Robert Buchanan, Präsident der gemeinnützigen Organisation „Polar Bears International“, die sich dem Schutz und der Erhaltung der Eisbären verschrieben hat. Er erzählt uns ein wenig über die Eisbär-Population rund um Churchill und die Gefahren der globalen Klimaerwärmung. Seine Worte zum Abschied lassen uns nachdenklich in der Kälte stehen. „Wenn Ihr morgen in der Tundra seid und Eisbären seht, schließt die Augen und merkt euch diese einzigartige Szenerie. Vielleicht seid ihr die letzte Generation, die die Nomaden des Nordens noch in freier Wildbahn erleben darf.“

© Text und Fotos Thilo Scheu

Weitere Informationen finden Sie hier:

Offizielle Website der Destination Canada:
keepexploring.canada.travel

 oder auch

Travel Manitoba, Winnipeg
www.travelmanitoba.com

Mehr über den Schutz von Eisbären bei Polar Bears International
www.polarbearsinternational.org

Anreise

z.B. mit Air Canada / Lufthansa von Frankfurt nach Winnipeg /Manitoba. Weiter mit z.B. Calm Air nach Churchill

Tour-Anbieter vor Ort:

Frontiers North Adventures
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Thilo Scheu

Autor Kurzvorstellung:

Freier Reisejournalist und Reisebuchautor

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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