Boltenhagen, das finale Seebad

Boltenhagen. Das klingt nach Hagen, diesem hässlichen Gebilde in NRW unweit von Lüdenscheid. Gut, Fans verweisen auf diverse Jugendstilensemble in der Stadt. Aber Boltenhagen, das ist eine aufstrebende Ostseegemeinde!

Boltenhagen, ein Sonnenuntergang als Schnutenpulli des Tages

„Das Ostseebad Boltenhagen ist eine Gemeinde im Norden des Landkreises Nordwestmecklenburg in Mecklenburg-Vorpommern. Als anerkanntes Seeheilbad trägt Boltenhagen den Titel Ostseebad. Die Gemeinde gehört dem Amt Klützer Winkel an und ist Teil der Metropolregion Hamburg.“ So, das ist die amtliche Selbstbeschreibung. In Wahrheit ist B. die finale Antwort auf alle europäischen Seebäder, die von sich behaupten, ihr USP, ihr Alleinstellungsmerkmal, was es auch sei, würde alle anderen in den Staub zwingen. Der Ostsee-Strand von Boltenhagen ist sandig und breit. Keiner braucht sein Revier mit Handtüchern zu verteidigen, es ist Platz für alle da. Außerdem kann man Strandkörbe mieten. Das Meer ist langweilig wie die Adria, nur sauberer. Es platscht zuverlässig alle zwei Sekunden an den Strand. Man kann die Kinder laufen lassen, ertrinken ist schwierig. Das Publikum ist eher dick als schlank, soweit es Deutsche sind, aber friedlich. Es bedankt sich dafür, wenn es seine Frisbee-Fehlwürfe oder missglückt geflankte Bälle ohne Protest zurückbekommt. Der Sonnenuntergang ist, obwohl die Sonne nicht im Meer versinkt, spektakulär. Der Westen erhält dann einen rot-braun-grau-blauen Mundschutz, wie sich jeder seinen Schnutenpulli nicht schöner stricken könnte. Dass das Meer im Norden des Betrachters ist, fällt da nicht ins Gewicht.

Trotz des unansehnlichen Namens, entstanden angeblich aus „Longa Indago“ (Langhagen) hat B. viele Freunde: „Einwohner, Urlauber und Stammgäste finden es im Ostseebad Boltenhagen besonders schön. … Denn: Das Ostseebad Boltenhagen ist ein richtig schönes Ostseebad – direkt an der Ostsee gelegen, mit einem wunderbaren sieben Kilometer langen weißen Traumstrand und einzigartiger frischer Seeluft.“ Das meint das Tourismusamt. Klar, schön ist’s, weil‘s schön ist, und welches Ostseebad liegt schon direkt an der Ostsee? Manche liegen am Mittelmeer und tun nur so, als lägen sie an der Ostsee. B. hat mit dem Restaurant „Blinkfür“ auch ein Fischlokal, das sich redlich Mühe gibt, die Disparität zwischen Menge und Preis auf ein international respektiertes Niveau zu treiben.

Boltenhagen hat sogar eine große Tradition und hatte sogar mal eine eigene Währung. 1919, in den schweren Zeiten nach dem Ersten Weltkrieg wurde bis 1922 das „Reutergeld“, in Erinnerung an den Dichter Fritz Reuter, ein Notgeld nur gültig für Boltenhagen, herausgegeben. Heute hat B. ein Kurzentrum, eine Kurklinik, eine Marina, eine Seebrücke, es mangelt an nichts. Es wird auch viel gebaut, die Seepromenade wird neu gemacht. Vor allem hat es, was man eine mittelständische Struktur nennt, viele Privatunterkünfte. Unser „Bungalow Beachhouse“ entsprach dem Versprechen des Namens, wir hatten es für uns, und es lag in Schrittentfernung zum Strand. Angenehm ist auch das Publikum. Völlig entspannt liegt es im Sand oder in seinen Strandkörben, lässt die Frisbee-Scheiben fliegen, hört dem Meer und den Möwen zu, bis die Sonne untergeht. Nicht im Meer und doch spektakulär.
Wem Boltenhagen zu rumplig klingt, wird sich vielleicht mit dem Namen Klützer Winkel anfreunden können, der das Land hinter dem Strand, Wiesen, Felder, Herrenhäuser, über die Jahrhunderte gewachsene Alleen, alte Kirchen und das Barock-Schloss Bothmer umschließt. Es ist ein Gebiet, das von Lübeck bis Wismar reicht, eine Gegend, die ein wenig aus der Gegenwart gefallen ist, weil heute doch alles auf die Ostsee ausgerichtet ist. Aber wer die Ruhe mag, besteigt die historische Schmalspurbahn „De Lütt Kaffeebrenner” und tuckert durchs Land. Seine Jungfernfahrt für die „Großherzoglich Mecklenburgische Friedrich-Franz-Eisenbahn” hatte der Zug im Juni 1905. Seine Fracht: Getreide aus Klütz für die Mälzerei in Grevesmühlen. Start ist heute am Bahnhof Klütz, und alle Passagiere, auch solche aus Hagen in Westfalen, erhalten ihr persönliches Souvenir: eine original Edmondsonsche Fahrkarte.

Diese 16-teilige Serie findet Eingang in eine Foto-Text-Ausstellung „Gesichter Deutschlands“ im öffentlichen Raum in Gräfelfing und in einen Katalog mit gleichem Namen. Der Katalog „Gesichter Europas- eine Reiseliebe“ ist mit der ISBN 978-3-942138-67-3 über die Buchhandlungen oder direkt beim GRÄV-Verlag zum Preis von 15 Euro zu beziehen.
Nächste Folge: Gardelegen

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Hans-Herbert Holzamer

Autor Kurzvorstellung:

Freier Journalist und Autor

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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