Bergdoktor hilf!

Auf diese Reise hätte ich gerne verzichtet! Zum Bergdoktor! Zu einer Serie im deutschen Fernsehen, zu den Drehorten im Brixner Tal in Tirol, wo sich alle Orte inzwischen Bergdoktor-Dorf nennen! Eine Gegend, die mir vertraut ist, aber wegen ihrer Pisten, nicht wegen Hans Sigl und seiner schauspielernden Kollegen. Wo man inzwischen Fantage durchführt, den nächsten am 10. Oktober , Eintrittspreis 25 Euro, und Bergdoktor-Wochen, und ein Bergdoktor-Bergfest am 13. September. Dabei waren die Wettervorhersagen schlecht, und die Sonne lockte nicht weit davon. Aber es musste sein. Und als ich dann am Blattlhof in Going vorfuhr, packte mich die reine Panik: Ein Hotel in Lärm, Abgas und Feinstaub der Loferer Straße. Alles hatte sich gegen mich verschworen!

Die “Gruberalm”
Fan-Traktor im Anmarsch

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Loferer Straße, auch B 178 genannt, ist eine Landesstraße in Österreich, 65,1 km lang, vom Autobahnzubringer Wörgl-Ost bis ins Tal der Saalach. Dieser folgt sie bis zur Grenze zu Deutschland. Zu bestimmten Zeiten hängt ein Laster an dem nächsten, ich nehme an, um Autobahn-Gebühren zu sparen. Natürlich beschweren sich die Anwohner des Brixentales über den Lärm, doch was den Politikern einfällt sind die Beseitigung von Kreuzungen durch streckenweise Tieferlegung, was – wie in Söll – die Attraktivität der Straße und den Lärm um 13 Dezibel erhöht hat.
Die Mitarbeiter des Blattlhofes taten mir leid. Sie bemühten sich redlich, durch Freundlichkeit die unfreundliche Umgebung wettzumachen. Doch den Gastgebern, Annemarie und Leonhard Oberleitner, kann ich die Frage nicht ersparen, warum sie ihr Haus als „eine wohlige Ruheoase“ anpreisen. Als ich dann die Buse einschweben sah mit Rentnern aus dem Sauerland zum Wochenpauschalpreis, die auch zum Bergdoktor wollten, und die ich dann auch auf der Gruberalm wiedertraf, wo sie von einem Traktor mit Anhänger hingebracht wurden, wusste ich, dass ich hier definitiv falsch war.
Das ganze Tal liegt unter dem Fluch der Lofener Straße. Vielleicht sieht man deswegen in Söll, Ellmau, Scheffau so wenig Fahrzeuge mit bayerischem Nummernschild, weil wenig weiter eine Alternative lockt. Der Stanglwirt in Going, der ebenfalls an der Straße liegt, bietet nur insofern eine Ausnahme, als er Teil des Münchner Schicki-Micki Kokons ist, wo man unter sich sein will, auch wenn die Luft schmeckt wie am Mittleren Ring.
Natürlich ist der Hintersteiner See in Scheffau am Fuße des Wilden Kaisers auch ein Drehort, aber er ist ein Idyll geblieben, fernab der Loferer Straße. Der Rundweg führt zunächst durch einen Mischwald, dann am Seeufer entlang. Er ist in Privatbesitz der Tiroler Wasserkraft AG und wird zur Elektrizitätsgewinnung genutzt. Das Seestüberl und andere Jausenstationen sind hochpreisig, aber gut besucht.
Große Aufregung herrschte in Ellmau auf der Straße am Hinterschnabel-Hof oberhalb des schön sanierten Hotels Christoph, der als Bergdoktorhaus dient. Fans, nicht nur aus dem Sauerland, hatten ihre Klappstühle mitgebracht, packten ihre Butterbrote aus und warteten geduldig, ob sich einer ihrer Lieblinge vor den Kameras zeigen würde. Der Vergleich mit den Bildern in der Serie ist faszinierend. Dort wirkt der Hof, als läge er auf einer Alm, sieht aus, als schiene ständig die Sonne. Wir liefen weiter zur Rübezahlalm, auf Straßen, die Wiesen alle gesperrt, in der Hoffnung, dort vom Bergdoktor und seinem Hype verschont zu bleiben; was leider nicht gelang. Hans Sigl, Hauptdarsteller, hat dort die Sommersaison mit dem „ersten Bergfrühstück“ eröffnet.
Vom Bergdoktor-Parkplatz oberhalb der Söller Talstation wanderten wir den Bromberg hinauf zu dem auf 1200 Metern Seehöhe gelegene Gruberhof, von Kehre zu Kehre war die Loferer Straße weniger zu spüren. Er ist in der Serie der elterliche Hof. Hier wohnen der Bergdoktor, seine Mutter, sein Bruder Hans und seine Tochter Lilli. Um dieses Heiligtum zu betreten, musste man 6 Euro bezahlen, um dann Küche, Wohn- und Schlafzimmer zu besichtigen. Im normalen Leben, wenn das interessiert, heißt der Hof Köpfing und gehört der Familie Mayr. Das Anwesen ist und liegt wunderschön, von der Frühstücksterrasse hat man einen faszinierenden Blick zur Hohen Salve und auf das gesamte Kaisergebirge. Der natürlich hinter einer Menschenwand verschwand, als meine Sauerländer Freunde im Traktoranhänger auftauchten und von einem Seppl in Tracht und mit kroatischem Akzent in die Mysterien des Hofes eingeweiht wurden. Ich hoffe, dass dies alles in ihrem Pauschalpreis enthalten war.

Auf dem Dorfplatz in Going, links neben der Kirche und hinter dem Dorfbrunnen mit der Statue des Heiligen Florian ist eine kleine Holzhütte aufgestellt, das „Lieblingsplatzer`l vom Bergdoktor.“ Davor seine Gespielin als Sperrholz-Schablone, um mit ihr im Arm ein Selfie machen zu können. In der Hütte liegt ein Buch aus, in dem sich die Pilger eintragen können. Das ist viel besser als das Stempelbuch, mit dem Wanderer Punkte sammeln und sich um die Wandernadel bemühen können. Dort, mit Hilfe des Buches, kann man Zwiesprache halten: „Hallo, lieber Bergdoktor. Ich habe heute Geburtstag und bin extra von Mutterstadt (Deutschland) hier her angereist. Liebste Grüße Julia.“ Natürlich liebt nicht nur das Sauerland diese Serie.
Auf dem Dorfplatz steht auch der Filmgasthof Wilder Kaiser. Eigentlich ein Bauernhaus, in dem der alte Johann Gschwendtner wohnt, und die Apotheke ist auch ein Fake. Dass sie Kulissen besuchen, dürfte den Besuchern bewusst sein. Sie suchen sie geradezu als Bezugsorte in einer heilen Welt, besetzt mit sympathischen Menschen mit Problemen, die auch die ihren sein könnten, und erstreben die Nähe, die Identifikation. Sie wollen Teil sein dieser Welt, die es in ihrer Heimat nicht gibt. Es gibt diese Welt aber auch nicht im Brixental, das sie ihnen mit Fantagen und Bergdoktor-Wochen nur das ganze Jahr über vorspielt. Und das nicht allein wegen der Loferer Straße.

Könnte doch der Bergdoktor sie von ihrem Wahn heilen, der ihnen einen vor der bösen Welt draußen schützenden Kokon liefern soll! Aber, warum eigentlich? Nein, lass sie doch, wenn es ihnen guttut. Rückzugsorte wie die Reichen haben sie nicht. Kannst sie ja und alle, die diese Serie schauen, wegen ihrer Banalität bemitleiden. Aber lass sie doch. Gut, aber du, Bergdoktor, kannst du nicht wenigstens das Tal und alle die dort leben, von den Verletzungen heilen, die ihnen der Schwerlastverkehr auf der Loferer Straße zufügt? Ich weiß nicht, ob diese Bitte etwas hilft, ich habe sie in das ausliegende Buch geschrieben. Ach ja, schade. In deiner Film-Welt, Bergdoktor, kommt die Loferer Straße gar nicht vor. Und du nicht in der realen.

Bild ganz oben: Bergdoktor (Bild) mit Fan (echt)

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Hans-Herbert Holzamer

Autor Kurzvorstellung:

Freier Journalist und Autor

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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