Am Anfang war das Segel

Die Westküste des Gardasees schmiegt sich an hohe Berge, dahinter winden sich enge Schluchten. Zwischen Limonen und Bergkäse leben und arbeiten Menschen voller Herzblut und Imagination. Jetzt im Herbst haben sie mehr Zeit für Entdecker!

1951 – Deutschland bekommt eine neue Nationalhymne, Imst in Tirol eröffnet das erste SOS-Kinderdorf und in Italien flimmert Viscontis „Bellissima“ über die Kinoleinwände. Es ist Aufbruch, der Blick ist nach vorne gerichtet, und der Wind weht letzte Kriegsbedrückung weg. Auch im kleinen Ort Bogliaco am Westufer des Gardasees – und gerade dort! Wo der Vento vormittags von Norden her bläst und die Ora nachmittags von Süden kommt, wo der Vént da Mut, ein spezieller Westwind in Gargnano und der gefährliche Gewitterwind Vént dé la Val brausen, da startete die erste Centomiglia mit gerade mal 17 Booten.

Gargnano Villa

Die „Hundert Meilen“ sind Kult geworden, am Anfang standen kühne Kerle, die Wasser, Wind und Wellen im Blut hatten. Einer wie Gino Filippini, der 1959 seine Veleria Velnova gründete, eine Segelmacherei, die bald schon die Ferraris unter den Segeln schuf. Seine drei Töchter waren von Windelpo an in der Manufaktur, sie waren mit Papas Inspiration und seinem Willen groß geworden. Elena wurde aber Lehrerin und Psychologin, Segel kamen später auch aus Fernost. Segel wurden alt und wurden entsorgt – und da brach das Herz einer Windsbraut wie Elena. 2009 entsprang ihrem Herzen und ihrem Urwissen über Segel „Kevlove“, eine Manufaktur, die Taschen herstellt aus alten Segeln. Bunt, witzig, unikal, individuell… am Anfang jeder Tasche ist ein Segel!
Elenas Laden liegt in einer kleinen Gasse, an einem kleinen Platz von Bogliaco, wo in der Nachbarschaft noch einer jener winzigen Alimentari agiert, die anderswo sterben und hier ihren Platz bewahren, ein bisschen trotzig, ein bisschen melancholisch, ein wenig dramatisch, wenn die Mama hinter dem Tresen gestikuliert bei der Zubereitung eines Mortadella Panino. Das ist ein altes Italien, das – weiter oben am See, in Torbole, Riva oder Limone, weitgehend den Fastfood Läden gewichen ist, die bunte Bildchen von Pizzen und Pommes in die Schaufenster pappen… Gargnano und seine Nachbarorte haben sich wegeduckt und ihren ganz eigenen Himmel bewahrt – einer der im Albergo du Lac voller Kiwis hängt. Der Schutz der Seeterrasse ist ein Baldachin aus Kiwis, das Hotel(chen) scheint ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein, herrlich altmodisch, großartig gastfreundlich. Unter dem Kiwihimmel eben, denn Limonen können ja alle.
Oder eben doch nicht! Johann Wolfgang von Goethe mag 1786 auf seiner Italienischen Reise durchaus geschrieben haben: „Wir fuhren bei Limone vorbei, dessen Berggärten, terrassenweise angelegt und mit Zitronenbäumen bepflanzt, ein reiches und reinliches Ansehen geben. Der ganze Garten besteht aus Reihen von weißen viereckigen Pfeilern, die in einer gewissen Entfernung voneinander stehen und stufenweis den Berg hinaufrücken. Über diese Pfeiler sind starke Stangen gelegt, um im Winter die dazwischen gepflanzten Bäume zu decken.“ Im 18 Jahrhundert gab es in der Tat noch 450 Limonaias, Limonengärten, am Westufer des Gardasees. Die Limonen wurden in einer Halle gelagert, es gab laute Börsen und pfiffige Händler, die kauften. Weiter ging es per Schiff nach Riva und von dort in die Welt – beispielsweise nach Deutschland oder Russland. Ende des 19. Jahrhunderts starben diese Orangerien allmählich, die Früchte kamen aus Übersee, dann wurde auch noch die synthetische Zitronensäure erfunden. Und genüge das alles nicht schon, zwang der außergewöhnlich strenge Winter 1928-29 die letzten Zitronenbauern zur Aufgabe. Und so marodierten die Orangerien dahin, übrig waren nur noch die Pfeiler.

Gui & Fabio

Als Guiseppe, heute 75, in Gargnano die verfallene Limonaia wiederbeleben wollte, war müdes Lächeln noch eine der netteren Reaktionen. Dass Sohn Fabio weitermacht und seine Limonaia in ein drittes Jahrtausee geführt hat, ist kein Festklammern an der Tradition. Auch sein Blick geht vorwärts, er arbeitet auch mit Kindern, um ihnen den Wert von Produkten zu zeigen. Wegen der Kids muss er die Mauern erhöhen, das ist Auflage! Aufwändig ist so eine Orangerie aber auch ohne Maueraufstockung, denn die Steinpfeiler sind ja nur da Skelett. Im Winter wird verbaut, darüber gehören Balken und davon stehen Glasflächen, alles durchnummeriert und in einer faszinierenden  Logistik gelagert. Da oben dann rumzuturnen und alles wie in einem riesigen Fischerbaukasten zusammenzusetzen, ist nichts für Menschen mit Höhenangst oder wenig Schmalz im Oberarm. Wobei Fabio einen Teil seiner guten Konstitution auch der Marmelade zuschreibt. Denn für den berühmten Likör Limoncello braucht es nur die Schale, der Rest ergibt eine schier magische Marmelade.
Noch zwei junge Menschen wissen alles über Limonen und ihr Können am Gaumen:  Sergio und Silvia zaubern im La Miniera in Tignale. Eine Straße windet sich himmelwärts, mitten im Bergort, gleich hinter der Kirche gibt es die Osteria. Ein Gastgärtchen, ein uriges Steinhaus, sie Sommelier, er Koch. Sergio kocht simpel und sexy, man schmeckt das Produkt, es hallt nach am Gaumen. Sergios Kreationen zeugen nicht nur von einem handwerklich perfekt ausgeführten Beruf, sie reden von einer Passion. Sergio ist nie „privat“, er sucht ständig neue Produzenten organischer Produkte und wenn die beiden im November kurz schließen, dann gehen sie Olivenernten….
Es ist ein wenig so, dass viele der Bauern aus der Not eine Tugend machen mussten. Steillagen, kleine Felder, Felsgründe, schon für Limonen, Oliven und Gemüse eine Herausforderung, aber wie will man als Milchbauer dort leben? Die Bauern der kleinen Fraktionen von Tignale und Tremosione kurvten in die Fabriken, hatten einige Tiere im Nebenerwerb, lange Tage und Frustration im Herzen. Aber selbst der, der expandieren hätte können, wäre an der Molkerei gescheitet. Die nächste liegt 70 Kilometer entfernt, nicht so weit in Zahlen, aber bei Straßen, die nicht breiter sind wie ein Fahrradweg und steiler als ein Klettersteig kommt kein Milchlastwagen durch! Und so entstand die Kooperative Alpe del Garda, wo inzwischen 80 Bauern Milch und Kälber liefern. Eine eigene Käserei, die drei Sorten produziert, ein eigenes Schlachthaus, ein Hofladen und ein Restaurant liegen auf dem Almboden und zelebrieren echte Regionalität. Bauern können leben, die uralte Form der Almwirtschaft bleibt erhalten, die feinen Produkte gehen in die Hotels und Trattorien, ein Kreis schließt sich endlich wieder.
Auch davon erzählt ein herrliches Museum, das von außen rein gar nichts her macht!  In Tignale residieren das Nationalparkzentrum und das Museum in einem wenig anmutigen Gebäude… es sind die inneren Werte! Auf der Karte von 1383 ist Tignale eingezeichnet, am Gegenufer steht die Schrift auf dem Kopf! Das Museum erzählt auch vom Schmuggel, als Riva noch österreichisch war. Und dann ist da der Bus. Also sein Innenleben und man „fährt“ auf der Gardesana, bevor sie eine Perlenschnur von Tunneln geworden ist! Bevor James Bond 007 in „Ein Quantum Trost“ durch den Tunnel zwischen Limone und Tremosine schoss.
1931 wurde die Seeuferstraße Gardesana Occidentale eröffnet, in den Kriegsjahren 1943 bis 1945 waren die Tunnel und offenen Galerien gar Rüstungsfabriken. Anfang der 1960er Jahre wurden die Galerien gegen Steinschlag erweitert, der Ausblick aber war weg. Und in Gargnano trennte die Straße frech das Zentralgebäude des imposanten Palazzo Bettoni von seiner  barocken Gartenanlage. Ein Affront war das und auch deshalb wendete sich Gino Filippini lieber dem Wasser zu. Flog über die Wellen –  getragen von Flügeln aus seiner Imagination!

Lefay Resort

Wohlsein auf höchstem Niveau
Sechs Kilometer sind es von Gargnano den Berg hinauf ins Lefay Resort. Architektonisch einer Limonaia nachempfunden, zitiert es in Farben und Form eher unauffällig die Region. 1989 gründeten Alcide und Liliana Leali die Fluglinie „Air Dolomiti”, die eine Erfolgsgeschichte wurden. Sie verkauften die Airline und setzten sich nicht etwa zur Ruhe, sondern das Geld ein – in das Lefay Resorts & SPA, weil sie etwas schaffen wollten, das genauso wäre wie die Lealis selber Urlaub machen würden. Wo Raum, Natur, Ruhe, Nachhaltigkeit und Zeit der Luxus sind. Und so schwimmt man dann morgens über die spiegelblanke Wasseroberfläche des Überlaufpools, scheinbar schwerelos auf den Monte Baldo am Gegenufer zu. Die Entzauberung kommt erst, als der Pool eben doch eine Kante hat. Der Blick bleibt einzigartig, so wie dieses SPA eben unikal ist. Keine Wellnessanlage im Keller oder Seitenflügel, das Lefay SPA liegt absolut zentral, mittig im Gebäude, ist sein Herz! Drei Ärzte stehen Gästen beratend zur Verfügung und konzipieren ganz individuelle Programme. Das Motto lautet immer. „Man sollte nicht den Fuß an den Schuh anpassen sonders andersherum“. Das Lefay Team lehrt Stressreduktion, indem man keine Ziele im Orbit setzt, sondern den Fokus auf den nächsten Schritt legt. Dazu kommt eine Küche, die leicht macht, die Produkte stammen beispielsweise von den Alpe del Garda, im Lefay fließen goldene Olivenöle in höchster Qualität, es geht immer um saisonale Frische.
www.lefayresorts.com

Aussicht vom Resort Lefay

Info

Auskunft
Der Gardasee gehört zu den Provinzen Lombardei, Trentino und Venetien. Das Konsortium „Lago di Garda Lombardia“ informiert über das Westufer und das Hinterland.
www.gardalombardia.com

Shoppen
die Taschenmacherei, kev steht für Kevlar (das Gewebe) und love für Liebe und Leidenschaft
www.kevlove-borsevela.it

Käse, Salame, Weine, u.v.m. feinste Produkte aus organischem Anbau
www.alpedelgarda.it

das naturreine Olivenöl der landwirtschaftlichen Genossenschaft Cooperativa Latteria Turnaria in Tignale, ein wunderbares Bio-Produkt
www.tignale.org

 

Westküste Gardasee, Gargnano Bogliaco Südtirol-Trentino
Monte Castello

Kultur

Montecastello: Eine wichtige Wallfahrtskirche, erbaut im 17. Jahrhundert auf der Ruine einer Burganlage; 1283 gab es eine Lichterscheinung der Mutter Gottes in Form eines hellen Sternes während einem Kampf zwischen Brescianern und Trentinern, um den Kampf zu beenden; unter der Kirche liegt eine zweite Kirche, die ein beeindruckendes Fresko des venetianischen Löwen trägt, Wanderweg, der in etwa 20 Minuten auf den Gipfel des Berges Monte Castello führt; Wanderweg
hinunter nach Campione del Garda

Museum Westküste: Centro Visitatori Parco Alto Garda Bresciano, in Tignale, Tel. 0039/0365/761642

Isola del Garda: Wo sie Contessa Alberta Cavazza in einer 63 Zimmer Villa lebte, kann man heute in den Gartenanlagen flanieren, Konzerten lauschen und von diversen Uferorten übersetzen
www.isoladelgarda.com

Andre Hellers Garten: Andre Heller gestaltete 10.000 Quadratmeter Garten mitten in Gardone Riviera als Garten Eden, als Meditationsort mit 2000 Pflanzenarten aller Kontinente sowie Skulpturen von u.a. Roy Lichtenstein, Mimmo Paladino und Joan Mirò
www.hellergarden.com

Wohnen & Essen
Albergo du Lac, Gargnano, verschwiegen, sehr gutes Restaurant „La Bissa“, nach dem typischen Fischerboots dieser Gegend benannt
www.hoteldulacgardasee.de

Hotel Baia d´Oro, intimes, kleines Luxushotel mit sehr feinem Restaurant
www.baiadorogardasee.com

Villa Fiordaliso, Gardone Riviera, einst Wohnstatt von Claretta Petacci, der Mätresse von Mussolini, heute Relais&Chateaux Hotel mit Sterne-Restaurant
www.villafiordaliso.it

Osteria La Miniera, Tignale, der TopTipp und Geheimtipp
www.gardaminiera.it

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Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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