Wenn man eine Reise nach Rom unternimmt, um in der ewigen Stadt ein verlängertes Wochenende zu verbringen, dann lohnt es sich, wenn der Flieger erst am späten Nachmittag des Dienstag in Fiumicino abhebt, eine Exkursion zu unternehmen, zuerst nach Castel Gandolfo und dann nach Ostia an den Lido. Denn von dort zum Flughafen ist es nicht weit und die Zeit inklusive der Rückgabe des Leihwagens gut zu kalkulieren.
So taten wir es. Auf der Fahrt nach Castel Gandolfo gilt es nur, den Grande Raccordo Anulare, (GRA) zu vermeiden, die Ringautobahn, denn ein Stau dort wirft alle Planungen über den Haufen. Aber das geht, je nachdem, wo man in der ewigen Stadt startet, hilft der Navi weiter. Über die SP 3/e oder die SS 7 benötigt man eine knappe Stunde. Castel Gandolfo ist ein kleines Städtchen mit nicht einmal 10 000 Einwohnern hoch über dem Albaner See und beherbergt die Sommerresidenz der Päpste. Wobei jeder wohl glücklich wäre, wenn er ein solches Anwesen seine Ganz-Jahres-Unterkunft nennen dürfte. Die Giardini di Villa Barberini, deren Zutritt mit dem Ticket zur Residenz zu erwerben ist, lohnen einen Besuch, wenn man dressierte Parks mag. In der Residenz ebenso wie in der St. Thomas-von-Villanova Kirche, als deren Erbauer Gian Lorenzo Bernini genannt wird, fällt auf, in welchem Ausmaß sich der Personenkult des gegenwärtigen Papstes Franziskus in das Erscheinungsbild der katholischen Kirche hineingefressen hat. Sein Namensgeber, der Heilige Franz aus Assisi, würde sich wohl im Grabe umdrehen, was aus seinem Demuts- und Bescheidenheitsvermächtnis geworden ist. Ansonsten besteht Castel Gandolfo aus einer Straße voller Geschäfte und Lokale, einem Platz und tief unten dem Albaner See.
Von Castel Gandolfo nach Ostia benötigt mal wieder eine knappe Stunde mit dem Auto. Die Fahrt ist nicht sehr angenehm, sie führt weitestgehend durch eine völlig vermüllte Landschaft. Roms amtierender Bürgermeister Roberto Gualtieri hat zwar – wie seine Vorgänger(in) auch – versprochen, die Stadt von diesem Problem zu beseitigen, spätestens bis zum Heiligen Jahr 2025, aber wenn das mehr als ein Wahlkampf-Versprechen war, dann hat er wohl das Umland nicht in seine Planungen einbezogen. Angefangen wurde mit der Entmüllung jedenfalls noch nicht.
In Ostia suchen wir uns am Strand in Höhe des Ristorante Urbinati einen Parkplatz und lassen es uns mit einem wunderbaren Blick auf die wenigen Badegäste und das weite Meer, dazu ein wohlschmeckendes Menu, gut gehen. Wir kalkulieren, wo wir wohl rauskommen würden, würden wir in einem rechten Winkel von der Küste weg durch das Tyrrhenische Meer schwimmen. Das Ergebnis: auf der Höhe von Olbia in Sardinien.
Das Ergebnis in der Nähe ist jedoch deutlich dramatischer. Diebe hatten es sich auch gut gehen lassen, ein Fenster unseres Leihwagens eingeschlagen und das Fahrzeug ausgeräumt, einen kleinen gelben Rucksack gestohlen und eine Reisetasche, die mit vielen Aufnähern versehen war, mit Patches, wie sie auch auf Italienisch heißen, von den Lofoten bis zu den Azoren, von den Kanaren bis Helsinki. Einen Rollkoffer ließen sie liegen.
Die Anwohner, die wir fragten, ob sie was gesehen hätten, hatten nichts gesehen, eilten aber in großer Schar zusammen und stimmten ein Lamento an, wie es herrlicher kaum klingen kann. Jeden Tag gäbe es Einbrüche, Ostia sei eine Hochburg des Verbrechens. Und es hänge davon ab, ob es selbstständige Kriminelle oder organisierte wären, was sie mit den gefunden elektronischen Utensilien anfangen würden. Welche es im konkreten Fall seien, konnten oder wollten sie nicht sagen. Wie man sich dagegen schützen könne, wussten sie auch nicht. Leihwagen wären besonders gefährdet, und nie sollte man etwas auf die Rückbank legen. Ansonsten wäre es, wie es eben wäre. Zum Glück wären wir nicht dagewesen, sonst hätte ein Messer ins Spiel kommen können. Wenn es nicht zynisch wäre, würde ich sagen, die Italiener wollen die Zustände in ihrem Land nicht bessern, weil sie dann um ihr Lamento gebracht würden.
Die mit 110 gerufenen Carabinieri kamen schnell, Spurensuche war ihr Ding nicht, sie baten uns, ihnen zu folgen, nahmen unsere Personalausweise und forderten uns, nach gebotener Wartezeit (zum Glück ging der Flieger erst um 19:00 Uhr) auf, ein Protokoll zu unterzeichnen. In diesem Dokument wurden wir von Geburt und Wohnort her zu Schweizern gemacht. Weil, anders kann ich es mir nicht erklären, jeder Ausländer der Italienisch spricht, ein Schweizer sein muss (ohne Rücksicht auf den nicht vorhandenen Tessiner Akzent). Oder weil die Vermutung des Commissario Salvo Montalbano zutrifft, dass man von Carabinieri generell nicht zu viel erwarten darf.
Nun ist es so, den kleinen gelben Rucksack samt Inventar kann ich verschmerzen, die Sicherungssysteme der Banken und der verschiedenen Apps haben funktioniert. Nur der Verlust der Reisetasche, dieser Borsa delle Memorie, der schmerzt. Aber weil die Räuber vermutlich über die Gegend von Locri in Kalabrien nicht hinauskommen, hat die Tasche für sie keinen Wert. Also habe ich ihnen oder demjenigen, der sie im Müll von Ostia findet, 500 Euro angeboten. Das habe ich auch den Carabinieri gesagt. Zunächst habe ich diese Information dem Online-Journal Romatoday (nicht zu verwechseln mit Russia today) mitgeteilt, aber auf eine Antwort warte ich noch. Dann habe ich mit den freundlichen Mitarbeitern des Ristorante Urbinati gesprochen und ihnen die gleiche Information gegeben. In Lokalen kursieren ja oft die Informationen ebenso intensiv wie die Drogen, und 500 Euro sind 500 Euro.
Und da die geplünderte Tasche (und der Rucksack) irgendwo und irgendwann im Müll landen, und die von Roberto Gualtieri, dem römischen Bürgermeister, versprochene Verbrennungsanlage auf sich warten lässt, findet ja vielleicht irgendjemand an der Straße im Süden von Rom die Tasche, die Borsa delle Memorie. Ich habe die Müllabfuhr mit dem schönen Namen Amaroma angeschrieben, sollte mal einer ihren Wagen durch das vermüllte Land fahren.
Foto-BU: Dringend gesucht: die Borsa delle Memorie. Copyright: Ada Oh