Wir fahren nach Europa, wi fört na Europa, sagen die Fehmarner, wenn sie über die Brücke und den Fehrmarnsund aufs deutsche Festland fahren. Üblicherweise kommt Europa zu ihnen, um ihr Eiland, das drittgrößte mit 185 qkm nach Rügen und Usedom zu durchqueren, von oder nach Puttgarden, wo die Fähre nach Rödbyhavn ab- und anlegt. Die Dänen würden ja gerne eine Brücke bauen, das – so befürchten die Insulaner – würde aber die Sogwirkung verstärken, die Insel zu einem bloßen Brückenpfeiler auf der Transitstrecke zwischen Deutschland und Dänemark machen. Eine Bürgerinitiative, die sich „Beltretter“ nennt und ein blaues Lattenkreuz als Erkennungszeichen haben, kämpft gegen die Verbindung nach Lolland und den dann notwendigen Ausbau der Transitstraße. Man hat hier eben nur an denen Freude, die am Südstrand im Café Sorgenfrei die Beine lang machen oder in Burg die Innenstadt rund um den Markt bevölkern, die Steilküste von Staberhuk bewundern, oder die vielen anderen Freuden und Abwechslungen der Insel genießen.
Frühere Besucher waren die Monarchen, so nannte man hier die Saisonarbeiter. Sie blieben, bis die Ernte eingebracht war. Den letzten Lohn gab‘s erst an Land, dem Festland, denn man wollte, der Frauen und Töchter wegen, sicher sein, die Monarchen auch wieder losgeworden zu sein. Wenn die Briten diese Lösung gekannt hätten, wäre Europa vielleicht der Brexit erspart geblieben. Monarch im Wortsinn, Herr auf der Insel, war jeder selbst. Einen Adel gab es nicht, der König in Kopenhagen, dann der Kaiser in Berlin, waren weit. Die Dinge wurden von der „Vetternschaft“ und den Gilden geregelt. Und das nicht schlecht. Leider haben sie bauliche Sünden wie die drei Hochhausblöcke zwischen Burg und der Südküste nicht verhindern können, die gebaut wurden, als ihre Macht gebrochen war.
Der berühmteste Besucher, der nicht nur durchreiste auf dem Weg in skandinavische Gefilde und so oft wiederkam, dass er sich schließlich eine Hütte am Strand baute, war Ernst Ludwig Kirchner, der Begründer der Brücke. Seine Bilder sind die wohl schönsten Wahrzeichen Fehmarns. Und warum sollte man sich nicht in Katharinenhof unter der Steilküste ans Meer setzen, die Sonne beleuchtet durch die Bäume den Strand, während sie untergeht, später nur noch die Felsen im Wasser, auf denen die Möwen Platz genommen haben. Bis alles von einer Dunkelheit umhüllt wird, die noch mit Schattierungen auf Land und Wasser spielt. Ja, warum sollte man sich nicht einen Stein greifen und ihn bemalen, vielleicht mit den Farben, die Kirchner den Bildern seiner geliebten Insel gab, Ocker, Blau und Grün?
Wir tun es, und keiner hindert uns dran. Und dann kann ganz Europa über die Insel fahren, hin und her, is uns schietegal.
Die 16-teilige Serie findet Eingang in eine Foto-Text-Ausstellung „Gesichter Deutschlands“ im öffentlichen Raum in Gräfelfing und in einen Katalog mit gleichem Namen. Der Katalog „Gesichter Europas- eine Reiseliebe“ ist mit der ISBN 978-3-942138-67-3 über die Buchhandlungen oder direkt beim GRÄV-Verlag zum Preis von 15 Euro zu beziehen.
Nächste Folge: Neustadt in Holstein