Sie hat keinen Buckel und wirklich zaubern kann sie auch nicht. Doch auf einem Quadratmeter ungedüngter Almwiese findet Maria Theresia Mairhofer mindestens zehn verschiedene Heil-Kräuter. Hätte sie einige Generationen früher gelebt, sie wäre mit Sicherheit als „Kräuter-Hexe“ verfolgt worden. Heilkundige Frauen wie die Südtiroler Bio-Bäuerin vom Untersteinhof im Hochpustertaler Niederdorf wurden in früheren Zeiten von der Kirche geächtet, weil sie mit ihrem Wissen angeblich dem Herrgott ins Werk – und der Institution ins Geschäft – pfuschten. Heute finden Menschen zu Frauen wie Maria Mairhofer, die sich gezielt für die gesundheitsfördernde Kraft der Natur interessieren und Körper, Geist und Seele pflegen möchten.
Denn Maria Mairhofer weiß sehr viel über Kräuter und deren heilende Eigenschaften. „Ich kenne 300 Kräuter, deren Anwendung und Wirkweisen“, erzählt sie am Tisch der hellen Zirbenholz-Wohnstube ihres Bio-Bauernhofes. Durch die zwei Geschosse hohe Fensterfront wandert ihr Blick direkt auf die im Frühjahr noch schneebedeckten Gipfel der Sextener Dolomiten. Schon seit einigen Jahren bildet die sehr focussiert wirkende Mitt-Vierzigerin andere Bäuerinnen, die in der Marketing-Kooperation „Roter Hahn“ zusammengeschlossen sind, in der Kunst der „Bauern-Wellness“ aus. Sie ist ausgebildete Kneipp-Gesundheitstrainerin und gibt auf ihrem Hof verschiedene Kurse mit Gesundheitsaspekt – über Kräuterverarbeitung, Naturkosmetik sowie Vollwert-Kochkurse und Kneippanwendungen.
Gesundes Leben und inneres Gleichgewicht ist ihr eine Herzensangelegenheit.
„Der Mensch hält diese starken Reize nicht aus“
Die Art von Wellness allerdings, wie sie von nahezu allen Hotels angewendet wird – und von denen es auch in Südtirol einige hundert gibt, – verachtet Maria Mairhofer ob deren Oberflächlichkeit und Naturferne vom Grunde ihres Herzens. „Alle wollen heute zurück zur Natur – aber bloß nicht zu Fuß. Wiesenduft, Heu und alles soll herbeigetragen werden. So funktioniert das nicht“, sagt sie in strengem Tonfall.
Ich finde Wellness gehört hinaus in die Natur.
„Ich finde Wellness gehört hinaus in die Natur. Wellness in den Hotels ist dagegen meist ohne Betreuung. Die Häuser haben zwar tolle Strukturen aber kaum ausgebildetes Personal. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es für wirkliches Wohlbefinden reicht, sich hinzulegen und sich einstreichen zu lassen. Ich jedenfalls würde mich nicht täuschen lassen von einer schönen Verpackung oder schönen Düften.“ Wichtig sei doch zu wissen, was da passiert und warum dies oder jenes gemacht wird. Wer ihr länger zuhört, versteht bald, wie grundlegend recht sie womöglich hat.
„Den Wechsel von Spannung und Entspannung kennen und bewusst anwenden, das ist wirklich Wellness“, sagt die Kneipp-Expertin. „Wenn ich ständig dem unmotivierten Wechsel von Anwendungen unterworfen werde – von einem Dampfbad in die nächste Sauna und dann noch in den Whirlpool, dann werde ich nie meine innere Mitte finden“, ist sie überzeugt. „Man hat sich nicht unbedingt etwas Gutes getan, nur weil man dreimal massiert wurde, aber man überhaupt nicht weiß, warum etwas gemacht wurde, mit welchem Öl und mit welcher Wirkung.“ Stattdessen, findet sie, wäre es besser, eine Möglichkeit an die Hand zu bekommen, es zu Hause weiter zu machen. Nur dann habe die Wellness-Anwendung auch eine Nachhaltigkeit.
„Ich kann doch nicht einen Menschen da hinein schicken, ohne ihn zu begleiten und ihm zu sagen, welche Reize er nun bekommt und was diese bewirken. Der Mensch ist nicht mehr derselbe, wie vor 120 Jahren. Der hält diese starken Reize nicht mehr aus“, sagt sie mit ihrer langjährigen Erfahrung und dem Wissen um die Wirkungsweise von 130 unterschiedlichen Kneippanwendungen. Den meisten Urlaubern sei überhaupt nicht klar, dass sie sich in den Wellness-Tempeln der Hotels ständig neuen Reizen aussetzen – aber der menschliche Körper zwei Stunden Pause braucht, bevor der nächste Reiz kommen sollte. „Der Körper reagiert auf die Anwendung, die Sensoren melden etwas an den Hypothalamus, der schickt dann Botschaften an die Organe entsprechend zu reagieren. Wenn zu schnell der nächste Reiz erfolgt, kommt der Körper durcheinander. Statt Erholung hat man Belastung.“
Lernen von der Natur
Derartige Erfahrungen sind auf dem etwas abgelegenen Bio-Bauernhof Unterstein kaum zu erwarten. Er liegt hübsch eingebettet in saftige Almwiesen, die umgeben sind von prächtigen Wäldern und den Sextener Dolomiten. Der größte Reiz hier geht von Frühjahr bis Herbst vom drei Meter tiefen Naturbadeteich aus, der vor dem Bauernhof den Hotel-Whirlpool ersetzt. Hinter dem Hof führt ein rund 200 Meter langer Kräuterpfad mitten durch die Almwiese. Schmetterlinge flattern umher und überall summt und brummt es vor geschäftiger Lebendigkeit. Hier hat Maria Mairhofer mehr als 50 Heilpflanzen angesetzt, die verstreut auch in den Wiesen wachsen, – ein lebendiger Lehrpfad für ihre Gäste und Kursteilnehmer. Liebevoll streicht sie mit der linken Hand über Gräser und Blüten. „Ein Fleck Wiese bietet so viel Gesundheit“, entfährt es ihr voll innerer Begeisterung.
„Es zahlt sich aus, wenn man wegen der Wellness auf einen Hof geht. Dort sind die Menschen in den Jahresablauf eingebunden und wissen, dass ich etwa im Winter keine Anwendung mit Kamille machen darf, oder sie wissen, wie die Molke zubereitet und richtig eingesetzt wird“, erzählt sie während wir den Pfad entlang schlendern. „Es ist ein Unterschied, ob ich die Mittel, die ich anwende, einkaufe oder selber herstelle. Ein Bauer, der ein Heubad anbietet, der weiß genau, welche Wirkstoffe dort drin sind.“ Menschen, die saluto-genetisch denken können, sagt sie, seien viel besser gewappnet für das Leben.
Wer mehr über die Heilkraft von Kräutern lernen möchte, dem empfiehlt Maria Mairhofer, sie oder er solle damit beginnen, sich speziell mit einer Pflanze auseinanderzusetzen, um näher an die Natur zu rücken. „Wie riecht sie, sie fühlt sie sich an? Man muss wahrnehmen, welche Botschaften die Pflanze einem gibt“, sagt sie – bückt sich und zupft vor sich heraus: Ehrenpreis, auch Männertreu genannt. „Das gehört zum Beispiel in jeden Tee. Nicht nur wegen der schönen blauen Blüten, sondern er wirkt auch schleimlösend und beruhigend auf das Nervensystem.“
Vor fast jedem Kraut bleibt die Bäuerin stehen und gibt ihr Wissen preis: Stiefmütterchen regulieren den Harnstoffwechsel. Das Gel der knorrigen Dach-Hauswurz – der AloeVera der Alpen – kann Wunden direkt heilen. Frische Minze ordnet die Vitalströme des Körpers, wenn man sich mit einem Sud wäscht, erzählt sie. Schafgarbe mit ihren feingliedrigen federartigen Blättern kehrt den Darm aus. Lilafarbener Storchenschnabel, eine Geranienart, gilt als das Kindermacherkraut aufgrund seiner pflanzlichen Östrogene – nicht wegen des Namens. Und das kräftig gelbe Labkraut reinigt die Lymphen. „Wir sprechen immer über Blutreinigung, aber die Lymphen, das Reinigungssystem des Blutes beachtet niemand“, führt Maria Mairhofer aus.
Während man noch stauenden die Pflanze betrachtet, ist sie schon weiter beim Löwenzahn: „Alle gelben Pflanzen sind Sonnenpflanzen, und man sollte sie regelmäßig essen, um die Dunkelheit und Düsterheit im Leben zu vertreiben. Das ist pure Lebenskraft, die bricht sogar Asphalt auf. Wenn man kraftlos ist, hilft eine Essenz des Löwenzahns. Wichtig ist auf jeden Fall, die Pflanzen frisch zu essen.“ Doch nicht jedem munden die Kräuter. Kein Wunder, weiß doch die Kräuter-Hexe: „Die überwiegend industriell ernährten Menschen sind die Bitterstoffe der Pflanzen nicht mehr gewohnt. Dabei brauchen wir sie dringend, da sie als Vitalstoffe Leber und Galle helfen, ihre Arbeit zu machen.“
Und dann sind da noch die lieblichen Gänseblümchen, die auch außerhalb der Alpen wild auf den Wiesen wachsen. „Das Gänseblümchen ist die kleine Schwester der Arnika“, erläutert die Bäuerin. „Sie fördert die Leichtfüßigkeit, denn sie unterstützt den Knorpelaufbau. Man kann sie in den Salat mischen, eine Essenz herstellen, einen Schnaps damit ansetzen oder sie in Öl ansetzen und sich damit einreiben.“
Überliefertes Wissen von der Großmutter
Nicht nur das Gänseblümchen – auch alle anderen Kräuter lassen sich vielfältig verarbeiten. „Allerdings muss ich wissen, welche Wirkstoffe ich herausziehe und wofür ich diese verwenden möchte. Um wirklich mit einem Kraut einen gesundheitlichen Erfolg zu erzielen, sollte man immer mehrere Formen nutzen: Herstellung von Cremes und Salben, Öl und Tee. Und ich nutze immer die gesamte Pflanze – Wurzel, Stengel, Blätter und Blüte für unterschiedliche Anwendungen“, erklärt Maria Mairhofer dem staunenden Laien. „Ein Sirup aus Kräutern ist erfrischend und gut für den Magen. Oft mache auch eine Verreibung, um die Kräuter mit einem Mörser und Puderzucker haltbar zu machen. So kann man die Kräuter etwa als Fußbäder mit ein wenig Salz verwenden.“ Selbst kulinarisch ist noch mehr drin: „Man kann Kräuterblüten auch kandieren: mit Eiweiß bepinseln und mit Zucker bestreuen und dann trocknen lassen. Dann wird sie eine Glasblüte.“
Einen Großteil ihres Wissensschatzes verdankt die passionierte Bäuerin wie so oft in Südtirol ihrer Großmutter, die fernab von Arzt und nächster Stadt mehr als nur alltägliche Wehwehchen zu heilen wusste. „Meine Großmutter hat sich sehr viel mit Kräutern befasst und der Faden ist nie abgerissen. Von ihr habe ich vor allem gelernt, dass man jemandem, dem etwas fehlt, zu bestimmten Pflanzen führt.“ Und so hält sie es selber heute noch: „Dieses Wissen gebe ich nur an Menschen weiter, denen es einen Wert bedeutet. Derjenige muss dann selber schauen, ob er es anwendet oder nicht. Ich mache keine Werbung und verkaufe nichts, weder Kräuterprodukte noch Bücher, gebe aber mein Wissen gerne in Kursen weiter“, gibt sie sich zurückhaltend. „Aber wenn man mir Fragen stellt, bin ich schon da.“ Und wie: Bei jeder Frage sprudelt es nur so aus ihr heraus, und sie schüttet jedes Mal ein ganzes Füllhorn an Kräuterwissen aus
Wer also tief in die Wunderwelt der alpinen Heilpflanzen und Kräuter eintauchen möchte, der ist bei Maria Mairhofer genau richtig. Manche Gäste kommen bewusst auf den Untersteinhof, weil sie ihr Wissen über Wasser oder Kräuter vertiefen möchten. Aber die Gastgeberin drängt sich nicht auf, und ist auch alles andere als missionarisch. Vieles ergibt sich oft wie nebenbei im Gespräch, zum Beispiel beim gemeinsamen Essen. Denn abends kocht Maria Mairhofer für ihre Gäste an ihrem Holzherd – natürlich mit vielen Kräutern. „Ich lasse mich jeden Tag neu inspirieren“, verrät sie. „Heute gibt es Brennessel-Girsch-Nocken abgeschmolzen und mit etwas Mohn. Girsch ist das Gichtkraut schlechthin, weil es die Harnsäure aus dem Körper transportiert.“
Sogar beim Essen lässt sich auf dem Untersteinhof noch dazu lernen.