Wer wie ein Storch durchs kalte Wasser marschiert, handelt ganz im therapeutischen Sinn von Sebastian Kneipp. Rita Balon besuchte den Allgäuer Kurort Bad Grönenbach, in dem der berühmte Wasserdoktor den Grundstein für sein späteres Wirken legte.
„Schuhe und Strümpfe ausziehen“, lautet die kurze Anweisung, mit der Dr. Dunja Angerer-Schmidtchen mich am Kneipp-Becken empfängt. Vorsichtig steige ich ins kühle Nass und hebe nach Anleitung abwechselnd wie ein Storch mit gesenkter Fußspitze die Beine aus dem Wasser. Eleganz sieht anders aus. Ich bekomme eine Gänsehaut und will nach ein paar Schritten wieder raus aus dem kalten Wasser. Aber die Ärztin mahnt: „So schnell geht das nicht!“ Also beiße ich die Zähne zusammen, kremple die Hosenbeine noch etwas höher und stolziere auf direktem Weg der Gesundheit entgegen.
Die ärztliche Leiterin des Gesundheitsresorts Bad Clevers erklärt, dass der Storchengang das A und O der Kneipp-Kur ist. Durch das Wassertreten wird der Kreislauf angeregt, die arterielle Durchblutung gefördert. Der Kältereiz lässt die Blutgefäße kontrahieren. Samt Muskelbewegung fördert dies auch den venösen Blutstrom und beugt Krampfadern vor. Aber nicht nur deshalb ist die Kneipp-Kur heute aktueller denn je. „Immer mehr junge Menschen schätzen Kneipps Gesundheitstherapie als ganzheitliche Präventivmaßnahme mit Langzeitwirkung“, unterstreicht die Medizinerin. „Kneipp steht für einen harmonischen Lebensstil, der in den modernen Alltag passt und aktive Gesundheitspflege mit naturgemäßem Heilen verbindet.“
Auch die Geschichte von Bad Grönenbach ist untrennbar mit der des „Wasserdoktors“ verbunden. Sie begann im Jahre 1938, als sich die Vorfahren von Dr. Dunja Angerer-Schmidtchen einen Traum erfüllten. Dr. Georg Schmidtchen eröffnete zusammen mit seiner Frau Barbara das erste Kneipp-Kurheim im Allgäu, genauer gesagt an dem Ort, an dem der weltberühmte Pfarrer Sebastian Kneipp den Grundstein für sein späteres Wirken legte. Als der junge Kneipp mit seinen Eltern nach Bad Grönenbach zog, begann er mit Lateinunterricht und lernte den Ortspfarrer und Botaniker Christoph Ludwig Köberlin kennen, der ihn frühzeitig in die Pflanzenheilkunde einführte. Kräuter und pflanzliche Heilmittel spielen im Rahmen der Kneipp-Kur eine weitere wichtige Rolle. Kneippianer schwören geradezu auf die wohltuende Wirkung der unterschiedlichen Pflanzenarten. Zubereitet als Tee in Bädern oder Aufgüssen können sie allen möglichen Beschwerden entgegenwirken.
Ordnung für die Seele, Bewegung für den Körper
Sebastian Kneipps ganzheitliche Lehre basiert auf fünf Elementen: der gesundheitsfördernden Wirkung des Wassers, der Heilkraft ausgewählter Pflanzen, körperlicher Bewegung, einer ausgewogenen Ernährung und der inneren Balance von Körper, Geist und Seele. In Bad Clevers fließt klares Quellwasser, wodurch die Kneippsche Wassertherapie ihre besondere Qualität erhält. Quellwasser ist im ganzen Haus allgegenwärtig. Im Garten sprudeln Brunnen, es fließt aus allen Wasserhähnen, man duscht sich damit und badet darin.
Bereits im Mittelalter kamen die Leute nach Bad Clevers, um die Heilkraft der Quelle zu nutzen. Heute gehört das moderne Gesundheitsresort im Allgäu zu den führenden und ältesten Zentren für Präventions- und Regenerationsmedizin in Deutschland. Medical Wellness und Kneipp, so lässt sich die Philosophie des Hauses zusammenfassen. Sebastian Kneipps naturheilkundlicher Ansatz mit Wasser, Kräutern, Bewegung, Ernährung und innerer Harmonie wird hier zeitgemäß interpretiert und ganzheitlich umgesetzt. So sind auch der Bewegung keine Grenzen gesetzt. Sei es beim Aqua-Fitness, individuellen Training im Fitnessbereich oder beim gezielten Personal-Coaching. In der sanft-hügeligen Bilderbuchlandschaft des Unterallgäus laufen ausgepowerte Menschen beim Nordic-Walking oder gemächlichen Spaziergang im wahrsten Sinne des Wortes dem Stress davon. „Bei allem steht im Vordergrund: Sich auf den eigenen Körper zu konzentrieren, Ordnung in der Seele zu schaffen, zur Ruhe zu kommen und zu sich selbst zu finden“, sagt Dr. Dunja Angerer-Schmidtchen und fügt hinzu: „Heute nennt man es Entschleunigung.“
Aber bevor ich mich der nächsten Säule der Kneippschen Philosophie widmen kann – ein köstliches Vollwertmenü aus frischen Produkten der Region, gewürzt mit Kräutern aus dem eigenen Garten – schickt mich die Ärztin barfuß durch den Garten. Mein Protest, meine sensiblen Füßchen schätzten den Lauf über Kieselsteine nicht, lässt sie nicht gelten. Ich balanciere auf den Fußaußenkanten über Steine, stapfe über Sand und Baumrinde. Dann marschiere ich über weiche Rasenteppiche. Zum Schluss lädt ein Wasserschlauch zum Beinguss ein. In meinen Füßen kribbelt es angenehm. Wohlige Wärme ist zurückgekehrt. Jetzt kann ich nachvollziehen, was Kneipp sagt: „Alles was wir brauchen, um gesund zu bleiben, hat uns die Natur reichlich geschenkt.“ Das Wasser ist eine Wohlfühltherapie par excellence. Wie in Bad Grönenbach, wo es quellfrisch sprudelt und mit Füßen getreten wird.
Infos:
www.bad-clevers.de
www.allgaeu.de
www.alpenwellness.de