Wanderpolizist kontra Schilderwald

In Irlands Nordwesten zieht die Grafschaft Donegal mit faszinierenden Naturerlebnissen immer mehr Wanderer an. Gälische Traditionen schlagen der modernen, schnelllebigen Zeit dabei ein Schnäppchen.

Durch die Bluestack Mountains im südlichen Donegal führen zahlreiche Wanderwege, ein Stück blauer Himmel blinzelt hier immer durch die Wolken. Im Eglish Valley scheint die Zeit still zu stehen.

Der Geruch des Windes, der über die Wiesen schwingt. Die Weite der Hügellandschaften, die Geschichten von Pilgern und dem entbehrungsreichen Leben der Bauern erzählen. Das Salz des Meeres, das in der Luft liegt und das Atmen verlangsamt. Man riecht, man sieht, man atmet neu und lässt die Geschwindigkeit der modernen Welt zurück. Hier draußen im Nordwesten Irlands hat die Philosophie des „Immer schneller, immer mehr“ seine Berechtigung verloren. In Donegal wandern heißt, noch einmal in die Schule zu gehen. Eine Schule allerdings, die nicht benotet, belehrt oder bestraft, sondern eine Helfende, die durch ihr bloßes Dasein wirkt. Die auf stille Art mit der Sprache der Natur zeigt, dass es eine Welt gibt jenseits von Börsenkursen, Konsumhatz und Gewinnmaximierung. Auch wenn diese einen gelegentlich einzuholen versucht, zum Glück mit mäßigem Erfolg.

Fuchsien-Hecken am Wegesrand als ständiger Begleiter in den Bluestack Mountains.

„This is Highland Radio Donegal. Heute wird das Wetter wieder wunderbar, perfekt für ausgedehnte Wanderungen durch unser schönes County. Im Laufe des Tages berichten wir von einer Gruppe „German Wanderer“, unterwegs in den Bluestack Mountains. Wir schalten uns live dazu, wenn sie gegen Mittag Eglish Valley erreicht haben. Bis dahin lauschen wir den Songs von Clannad und starten traumversunken in den Tag mit Enya´s Orinoco Flow.“

Verlassene Häuser und Erdbehausungen findet man im Eglish Valley.

Zum Träumen lädt der sanfte Nieselregen nicht gerade ein, der am Startpunkt der ersten Etappe die Blicke auf den von Wolken verdüsterten Himmel verschleiert. Und zum reißenden Strom wie der Orinoko in Venezuela wird der kleine Bach am Wegesrand heute sicher auch nicht anschwellen. Aber wer in Irlands Westen wandert, ist gut gerüstet für solche Fälle. Regenzeug gehört einfach in den Rucksack und stört auch nicht weiter, genauso wenig wie der erste Anstieg zur Hochebene der Bluestack Mountains. Da wird einem gleich warm ums Herz und die Beinmuskulatur kommt in Fahrt, denn der eher schmale Pfad schlängelt sich am Wald entlang durch Geröll und matschige Torftümpel, um die man besser einen Bogen macht. Wenn man sie nicht so gut kennt wie John McGrory. Als Polizist verdient er seinen Lebensunterhalt in der Grafschaft Donegal, ein eher geruhsamer Job. Seine Leidenschaft gehört dem Wandern und zusammen mit einer Gruppe von Wander-Enthusiasten, zu dem sich jetzt auch die örtliche Tourismus-Organisation dazugesellt hat, bringt er den Besuchern auf fuß- und handverlesenen Wanderrouten die archaische Schönheit seiner Heimat näher. Kleine Gags inklusive. Der Bluestack Way westlich von Lough Eske zieht sich auf einer Länge von insgesamt 47 Kilometern von Donegal Town über den Gebirgszug bis nach Ardara, da sind gelegentliche Lockerungsübungen durchaus willkommen. Wer nicht gymnastisch begabt ist, folgt John auf eines der Felder, die mit ihren kleinen Torfballen-Pyramiden aussehen wie eine verlassene Mondlandschaft. Ist der richtige Platz gefunden, kann das Torfhüpfen beginnen. Mit Sack und Pack auf und nieder, hoch und runter, bis der Moorboden quietscht und sich so voll gesaugt hat, dass ein vorsichtiger Abzug angebracht erscheint, wenn man nicht versinken will. Vertieft in gälische Traditionen haben sich in Donegal, Irlands größter Gaeltacht Region, auch viele Dörfer der Halbinsel bis hinaus zum Rossan Point. Hier ist Gälisch Alltagssprache, das reiche keltische Erbe lebendig, wird noch der „Wake“ gefeiert. Bei dieser Form des Übergangs von der Erde in den Himmel wird der Davongegangene zu Hause aufgebahrt, kommen oft aus allen Landesteilen 250 Menschen zusammen, um Abschied zu nehmen. Die engen Familienangehörigen beten die Nacht hindurch am Bett des Verstorbenen, trinken zusammen Tee und Sonstiges, singen, tanzen, feiern und freuen sich über die „family reunion“. Auch wenn die Zeiten vorbei sind, in denen selbst viele Iren nicht hierher in den Nordwesten reisten, weil sie die Gegend mit Nordirland und den „troubles“ gleichsetzten, ist Donegal noch immer ursprünglicher und anders als der Rest der Republik. Das schließt die Beschilderung der Wanderwege mit ein: „Wir stellen  jetzt immer mehr Loop Walks zusammen, diese Rundwanderwege führen zum großen Teil querfeldein über Land, das den Farmern gehört. Die sind damit einverstanden, solange man sich umweltbewusst verhält. Und auch mit der Wegemarkierung wollen wir eine Balance finden zwischen ausreichender Orientierung und Erhalt des einmaligen Charakters der Landschaften in Donegal. Einen Schilderwald wird es nirgendwo geben, da setzen wir lieber auf detaillierte Karten“, sagt John. Die führen uns geradewegs in ein fast verlassenes Tal, Eglish Valley. Hier scheint die Zeit still zu stehen, ducken sich vereinzelte Höfe hinter meterhohen Fuchsien-Hecken, heben Schafe am Horizont ihren Kopf, als spähten die Wächter einer anderen Welt nach Eindringlingen, die es zu vertreiben gilt. Im 18. Jahrhundert lebten hier noch 300 Menschen, heute sind es nur noch drei Farmer-Familien.

Wie ein Vulkan erhebt sich der Errigal Mountain, mit 750 Metern Donegals höchster Berg, aus der Landschaft. In zwei Stunden kann er erklommen werden, belohnt wird man mit einer grandiosen Aussicht über ganz Donegal.

„Das waren die Highland Morning News mit den Aussichten zum wechselhaften Wetter heute. Gestern haben wir unsere deutschen Wanderfreunde verpasst, wahrscheinlich waren sie in irgendeinem Tal ohne Netz. Wir werden es später erneut versuchen, sie per Mobilfunk zu erreichen, um zu hören, wie ihnen das Wandern in Donegal gefällt. Hoffentlich werden wir sie am Lake Dunlewey erwischen.“  

An der Westspitze Donegals in Glencolumbkille zeigt ein Folk Village Museum das entbehrungsreiche Leben der Fischer und Bauern in den vergangenen Jahrhunderten. Ein schöner Sandstrand lockt immer wieder einige Wanderer ans „Ende der Welt“. 

Sicher, wer durch Donegal wandert, kommt an den höchsten Klippen Europas nicht vorbei. Sleave League, die „grauen Klippen“, erwandert man am besten von Teelin aus, nach sechs Kilometern bergauf und einem waghalsigen „one man path“ wird man belohnt mit grandioser Aussicht und windumwehter Fernsicht, über die Donegal Bay hinweg auf die unendlich erscheinende Weite des Atlantiks. Danach kommt nur noch Amerika. Oder dem Glencolumbkille Loop Walk, der den Pilgerstationen des Heiligen Columban folgt. Nicht zu vergessen die zahlreichen Wanderrouten durch den Glenveagh National Park, auch das Schloss und seine Gärten lohnen einen Besuch. Heute aber nehmen wir den Weg um Lake Dunlewey und den höchsten Berg der Grafschaft, Errigal Mountain. Michael McGarrigal führt uns sicher und mit schnellem Schritt, der Finanzmakler ist einer von 20 ausgebildeten Wanderführern, die in Donegal den Gästen die schönsten Plätze zeigen. Auch ihm ist die Liebe zum Wandern ins Gesicht geschrieben, die Aussicht auf den Tagesausklang in Irland berühmtesten Pub tut ein Übriges. Der idyllische Rundweg um den See und den kegelförmigen Berg beschwört Bilder herauf vom Land der Elfen in Mittelerde. Eingekehrt wird am Abend in Leo´s Tavern in Meenaleck. Hier singen dann Mitglieder der Clannad-Folk-Gruppe von den Schneeflocken, die im Winter in Donegal fallen, von der Liebsten, vom „bright star of the west, the land, that Patrick blessed“ und alle, Einheimische wie Besucher, die es hierher in den Nordwesten Donegals verschlagen hat, singen ergriffen mit. Was gibt es Schöneres nach einem Wandertag, den Abend am Torffeuer mit irischen Songs und Balladen ausklingen zu lassen? Zurück in Deutschland ergreift einen sehr bald die Sehnsucht nach dieser so unverfälschten Natur, der Stille in den Tälern, dem Tosen der Meeresbrandung und dem Flüstern des Windes, der alte Geschichten von Feen und Elfen über das Land trägt. Bis das Telefon klingelt.

Um Lake Dunlewy führt ein abwechslungsreicher Loop Walk, ein Rundwanderweg, der den See, Wiesen, Wälder und den Errigal Mountain miteinander verbindet. Im Lakeside Centre kann man einkehren und erfährt alles über die Weberei, die in dieser Gegend Tradition hat.

„Hier ist Highland Radio Donegal, schön, dass sie wieder gut zu Hause angekommen sind. Haben sie vielleicht zehn Minuten Zeit, um unseren Hörern zu erzählen, wie ihnen das Wandern in Donegal gefallen hat?“

Beim Torfhüpfen kann man sich die Glieder für die nächste Wanderetappe lockern.

Großartig natürlich, really wonderful. Das Beste? Kein Handygeklingel, kein Terminstress, nur großartige Natur und liebenswerte Menschen, die sich Zeit nehmen, für was auch immer.

Das Torfstechen war auch in Donegal lange Zeit harte Handarbeit, heute gibt es Maschinen dafür. Diese sind allerdings umstritten, weil sie die Biotope zerstören.

Informationen: Die Irland Information www.ireland.com hält umfangreiche Broschüren zum Wandern in Irland bereit. Aer Lingus bietet wöchentlich Direktflüge von Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt oder München nach Irland an. www.aerlingus.com

 

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Jörg Berghoff

Autor Kurzvorstellung:

Jörg Berghoff führt als freier Autor und Journalist seit 1998 ein Pressebüro für Tourismus, Kultur und Sport. Als Reisejournalist spezialisiert auf Irland, Großbritannien, Europa und Australien. Studium der Kunstgeschichte und Ethnologie, Winzermeister und Buchhändler.

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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