WaldZeit – Innehalten im Bayerischen Wald

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Was früher eine arme Region in Süddeutschland war, hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem Touristenmagneten entwickelt. Große Wellnesshotels wetteifern hier um Gäste. Aber es geht auch beschaulich und bescheidener: sich auf das Wesentliche besinnen, Freude an Tier- und Pflanzenwelt empfinden, und ein Quartier finden abseits der frequentierten Gemeinden.

Ehrlich gesagt: Der weite Dirndlrock ist wunderbar bequem im Vergleich zu den modernen hautengen Jeans. Passend dazu die weiße Baumwoll-Bluse. Nur das Kopftuch zeigt sich etwas störrisch und rutscht immer wieder über die Stirn. Frühstück zubereiten ohne Elektrizität bei Tilli in Unternagelbach heißt erst mal so bekleidet in der Stube im Herd Feuer machen. Nach ein paar vergeblichen Versuchen brennt es und das Wasser für den Frühstückskaffee wird langsam heiß. Leben wie vor 200 Jahren: ein paar Einblicke in die nicht ganz einfache Alltagsbewältigung zur damaligen Zeit, das möchte Marie-Luise Freimuth den Gästen in ihrem umgebauten authentischen Vierseithof dem Tillis Hof in Unternagelbach im Bayerischen Wald vermitteln.

Ein weiter Blick über die Höhen des Bayerischen Waldes

„Die Eier sind jetzt auch fertig, du kannst sie abgießen,“ stellt Tilli, wie ihr Spitzname lautet, fest. Kein Blick auf die Uhr, nein, nur ihr Gefühl für fünf Minuten. Und tatsächlich sind sie goldrichtig. Inzwischen ist auch Großknecht Sepp zur Runde gestoßen. Der Platz am Kopfende ist seiner. Er kam damals in der Rangordnung am Hof gleich nach dem Hausherrn. War er mit seiner Mahlzeit fertig, mussten die anderen am Tisch Sitzenden ebenso ihre Mahlzeit beenden, ob der Teller leer war oder nicht. Strenge Regeln!

 

Großknecht Sepp schärft die Sense

Sensen und Rohrnudeln

Nach dem Frühstück geht Sepp zum „Dengeln“ der Sensen in den Hof. Mit einem speziellen Hammer klopft er das Metall entlang der Schnittkante dünn. Anschließend wird der Schleifstein abwechselnd darüber gezogen. „Beim Mähen muss der Schwung aus der Hüfte kommen, ganz locker“, weist er die Neulinge an. Es ist eine harmonische, fast meditative Bewegung, sofern sie einem gelingt. Das geschnittene Gras wird gewendet und über so genannte „Heinzen“, Gestelle aus Holz, gestülpt, damit es trocknet. Alles geschieht in einem ruhigen Arbeitstempo. Es bleibt viel Zeit für Gespräche. Doch die entspannte Atmosphäre täuscht nicht über die schwere Arbeit hinweg. Bald schon schmerzt die Schulter und es gehört nicht viel Fantasie dazu sich vorzustellen, was Menschen vor 200 Jahren an körperlicher Arbeit leisten mussten. „Ist doch ein gutes Gefühl zu sehen was wir geschafft haben.“ Sepp ist mit seinen „Lehrlingen“ zufrieden und gemeinsam genießen sie Rohrnudeln, die Tilli inzwischen aufgetischt hat.

Eine Besonderheit ist die Waldkapelle bei Rinchnach

Dunkel, undurchdringlich, menschenfeindlich: Wer sich einst im Bayerischen Wald niederlassen wollte stand vor beinahe unlösbaren Herausforderungen. Eine der ältesten Siedlungen ist Rinchnach, die auf eine über 1000jährige Geschichte zurückblickt. Beim Guntherfest wird an den Ortsgründer den mächtigen Reichsgrafen erinnert. Ein besonderes Kleinod ist die Seitenkapelle der sehenswerten Barockkirche, die einzige Kapelle in Bayern mit einer Verzierung aus echten Flussperlenmuschelschalen.

Stilles Pilgern und lebhafte Braunbären

„Wer möchte den Pilgerstab tragen?“ Franz-Xaver Ritzinger aus Perwang findet schnell jemand aus der Gruppe dem er den blumengeschmückten Holzstab mit dem Logo des Pilgerweges Via Nova in die Hand drückt. Dem Pilgern „vor der Haustüre“ haben sich seit dem ersten Andenken eines solchen Weges im Jahr 2000 viele Gemeinden angeschlossen. Nach Norden geht es bis Bogenberg, nach Nordosten führt eine Abzweigung der Via Nova von Vilshofen bis Mauth an die Grenze zu Tschechien und grenzüberschreitend nach Pribram.

Auf dem Pilgerweg Via Nova

„Hier verweilen wir, was für ein schöner Platz an der Ilz“, schlägt Rosina vor. Sie unterstützt Franz-Xaver Ritzinger bei den Wanderungen. Ihre Geschichte, die sie vorliest, handelt vom Innehalten, vom Genießen des Augenblicks, von Dankbarkeit in dieser urtümlichen Landschaft besondere Momente erleben zu dürfen, gerade bei guter Witterung. Zwischendurch ist die Gruppe schweigend unterwegs.  Dadurch werden die Eindrücke aus der Natur noch intensiver. Zuletzt geht es steil bergauf zur Schlossgaststätte Fürsteneck. Nach so viel geistiger Nahrung laben sich die Pilger allzu gerne an Rehbraten oder selbst gebackenem Kuchen.

Bäriges Vergnügen im Nationalpark

Es ist ziemlich schwierig für eine Tatze mit langen Krallen, den Stein zu drehen. Doch der Halbwüchsige gibt nicht auf. Ein anderer Bär schaut interessiert den Bemühungen zu. Es ist ein Glücksfall, die gesamte Bärenfamilie in ihrem weiträumigen Gehege zu beobachten. An vielen Stellen im Park ist das undurchdringliche Chaos wieder zu finden, einst typisch für den Bayerischen Wald: umgefallene Baumriesen, dichter Farn, Dornen und Unterholz. Hier soll sich über die Jahre ursprüngliche Natur entwickeln ohne wesentliche Eingriffe des Menschen. Bei Wanderungen zwischen den Gehegen lassen sich Bär, Luchs, Wolf und Elch in ihrer natürlichen Umgebung beobachten. Das großräumige Gelände des Nationalparks erstreckt sich unterhalb des 1373 Meter hohen Lusen, bis dicht an der Landesgrenze zu Tschechien.

Unterwegs mit Eselsgeduld

Mensch und Wildnis wieder miteinander vertraut machen möchte auch die Initiative „WaldZeit.“  „Nun komm schon Jim Knopf. Stell dich nicht so störrisch an!“ Ist das nicht eines der Merkmale von Eseln? Der kleine Graue hat seinen eigenen Kopf. Wer möchte schon an diesem heißen Tag den schattigen Platz unterm Baum verlassen? Eva Weiß, heute in Funktion als „Eselsmutter“ kann das Grautier schließlich überzeugen. „Dort drüben haben Biber eine Burg errichtet.“ Sie deutet auf einen Hügel von scheinbar chaotisch übereinander gestapelten Holzstücken. Noch sind sie in der Naturlandschaft geduldet, der sie durch ihre Baukünste immer wieder ein neues Gesicht verleihen. Bald finden Mensch und Esel eine gemeinsame Gangart auf ihrem Weg durch blühende Wiesen.

Mit Jim Knopf unterwegs

Wildromantisch verläuft eine Wanderung durch die Steinklamm zwischen den traditionellen Glasmacherorten Spiegelau und Grafenau. Tosend stürzt das Wasser der großen Ohe in die 100 Meter tiefe Schlucht. Über unzählige Jahre hinweg bildeten sich zwei Meter tiefe Strudellöcher gefüllt mit Sedimenten. Wanderer finden hier eine einzigartige noch weitgehend intakte Natur zwischen den grün bemoosten Steinen.

Im Nationalpark ist es am frühen Abend ruhig geworden. Luchse durchstreifen ihr Revier auf der Suche nach etwas Essbarem. Ob das Bärenjunge sich noch immer mit dem Stein beschäftigt? Tiere leben nach ihren eigenen Rhythmen.

INFO

Übernachtung: der beschauliche Ort Rinchnach liegt in einem ruhigen Winkel abseits frequentierter Orte nahe des Nationalparks. Oberhalb des Ortes in ruhiger, idyllischer Lage an einem Wildbach liegt der Gasthof Mühle, bayerische Küche mit Dreigangmenue bei Halbpension, Wellnessbereich mit finnischer Sauna, Balkone, Terrasse und direkt am Beginn zahlreicher Wanderwege: www.gasthof-muehle.de

Der Gasthof Mühle oberhalb von Rinchnach liegt idyllisch am Waldrand

Nationalparkregion:. www.nationalpark-bayerischer-wald.bayern.de

Allgemeine Auskünfte unter: www.bayerischer-wald.de

Text: Monika Hamberger; Fotos: Rainer Hamberger und einmal Gasthof Mühle

 

 

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Rainer Hamberger

Autor Kurzvorstellung:

Monika und Rainer Hamberger haben alle Erdteile mehrfach besucht zwischen dem 80. Breitengrad im Polargebiet, bis hinab zur Antarktis. Rainer hat über 12 Bildbände aus 5 Erdteilen herausgegeben. Es liegen ihnen Reiseziele besonders, wo authentische Erlebnisse möglich sind. Er ist meist der Fotograf, während Monika für die Texte verantwortlich zeichnet. Ihre Reportagen erschienen in den großen deutschen Zeitungen, sowie bei DuMont, Baedeker, Merian, Geo-Spezial und anderen Magazinen. Bei Reise-stories sind sie seit 6 Jahren Autoren.

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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