Elf österreichische Winzerinnen sind aufgebrochen, die Männerdomäne aufzumischen
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Brettljause im Buschenschank über den Weinbergen von Jutta Kögl | Copyright Renate Wolf-Götz
Wenn es um Weinbauern geht, hat man sofort ein Mannsbild vom Schlag des Winzerkönigs im Kopf, der mit seinen Anekdoten aus dem burgenländischen Rust einst zahlreiche Serienliebhaber beglückte. Winzerin Jutta Ambrositsch hat mit dem TV-Winzer Thomas Stickler, verkörpert von Harald Krassnitzer, nur soviel gemein, dass sie als Seiteneinsteigerin erfolgreich Wein anbaut. Im Gegensatz zum beliebten Serien-Winzer hat die Wahlwienerin aus dem Burgenland ihren Job als Werbegrafikerin in der Wirtschaft aus eigener Entscheidung gegen ein Leben im Weingarten vor den Toren von Wien getauscht. „Ich liebe es, im Weingarten zu arbeiten und abends todmüde mit schmutzigen Händen heimzukommen“, sagt die junge Winzerin mit zufriedenem Lächeln. Beschreibt die eher zart gebaute Weinbäuerin ihren Arbeitsalltag, wird schnell klar, wie viel Liebe dazu gehört, die Trauben der zum Teil uralten Reben so zu hegen und zu pflegen, dass sie „ohne Reinzuchthefen spontan vergoren werden können“. „Nur so kann ich die typische Terroir-Note erreichen“, sagt Jutta Ambrositsch.
Anfang Januar zieht die Selfmade-Winzerin mit der Rebschere in ihre Weingärten am Nussberg im 19. Wiener Bezirk und verpasst den Rebstöcken bei eisiger Kälte den ersten Schnitt. Weitere ebenso beschwerliche wie behutsame Arbeitsschritte folgen. Im April öffnen Jutta und Carlo Ambrositsch dann für zwei Wochen ihren angemieteten Buschenschank im beschaulichen Grinzing, wo die Überschüsse vom letzten Jahr in den Ausschank kommen. Der „Gemischte Satz“ ist in den gemütlichen Gastgärten und -stuben am Rande Wiens besonders beliebt. „Den kann man auch gut als „G´spritzten“ trinken“, empfiehlt die Winzerin und schenkt ein. Das schlichte Etikett hat Ehemann Carlo entworfen, der seiner Werbetexter-Existenz ebenfalls den Rücken gekehrt hat und nur noch rund um den selbst produzierten Wein textet. „Ein Liter Wien“ hat er sich für den Gemischten Satz ausgedacht. Naheliegend, denn der süffige Cuvée gehört zur Tradition in der österreichischen Metropole. „Außer Wien gibt es auf der ganzen Welt keine einzige Hauptstadt, wo der Weinbau auch eine wirtschaftliche Bedeutung hat“, verkündet Jutta Ambrositsch stolz. Ein halbes Dutzend der 190 Winzer bauen in ihren kleinstrukturierten Parzellen um die Donaustadt international beachtete Weine an. Mit ihren verschiedenen „Ein Liter Wien“- Kreationen, die inzwischen auch in Manhattan gerne getrunken werden, hat sich Jutta Ambrositsch aufgemacht, in der oberen Liga mitzumischen.
Damit liegt sie genau auf der Linie der „Elf Winzerinnen“, einem Zusammenschluss vorwiegend junger Weinbäuerinnen, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Traditionen im österreichischen Weinanbau zu pflegen und mit zeitgemäßen Methoden zu ergänzen.
Judith Beck, die inmitten der Reben des idyllischen Familienbetriebs im niederösterreichischen Wagram lebt, setzt das erklärte Ziel auf biologisch-dynamische Art um. Dafür scheut die junge Winzerin keine Mühe, weder im Weinberg noch in der Kelter. In der Weinbauschule in Klosterneuburg hat sie gelernt, welche Pflanzen und Kräuter zwischen den Rebstöcken Ungeziefer von den Trauben abhalten. Wenn sich dennoch Pilze an den Rebstöcken einnisten, rückt die Weinbäuerin den Schmarotzern mit dem Sud vom Ackerschachtelhalm zu Leibe. Nach Unwetter- oder Hagelschäden verabreicht sie den verletzten Pflanzen Kamillentee zur Beruhigung. Auch zur Wachstumsförderung kommt keine Chemie, sondern Brennnesselsud an die Reben,. Für die Teezubereitung steht ein 400 Liter Kessel in der Kelter. Und wie sieht es mit der Reinigung der Holzfässer aus, in denen die klassischen Rotweine wie Zweigelt , Blaufränkisch und St. Laurent sowie der Weißburgunder und der Chardonnay reifen? „Schwefel ist bei uns kein Thema“, sagt Judith Beck entschlossen. Schon während ihrer Lehrzeit auf Weingütern in Frankreich und Chile war sie sich sicher, dass ihre eigenen Fässer nur mit Wasser und Hochdruck gereinigt werden.
Von den Vätern zu den Töchtern
Ihr unermüdlicher Einsatz für das selbst auferlegte Reinheitsgebot hat Judith Beck schon jetzt beste Platzierungen in einschlägigen, amerikanischen Weinmagazinen beschert. Mit ähnlichem Ehrgeiz hatte ihr Vater vor über 20 Jahren gemeinsam mit acht Gleichgesinnten den Verein „Pannobile“ gegründet, der sich für den unverkennbaren Charakter der regionalen Weine einsetzt. Kaum verwunderlich also, dass der Senior zu den überzeugten Unterstützern der Elf-Winzerinnen-Vereinigung gehört. Wie bei den „Pannobilern“ steht bei den Winzerinnen der gegenseitige Austausch im Mittelpunkt, wobei die Weinbäuerinnen vor allem die Weiterentwicklung und Dynamik der traditionellen Rebsorten im Blick haben. Zur zeitgemäßen Entwicklung könnte man auch das Aufbrechen der Männerdomäne rechnen. Zwischenzeitlich übernimmt der Sohn nicht mehr automatisch den Betrieb. Jedenfalls nicht im Hause Beck: „Mein Bruder trinkt noch nicht einmal Wein“, so die jüngere Schwester, für die es neben ihrer jungen Familie nichts Schöneres gibt, als draußen im Weingarten zu sein.
Tamara Kögl überlässt die Arbeit im Weinberg gerne ihrem Vater und konzentriert sich auf die so genannte Vinifizierung. Dennoch kredenzt sie die süffigen Weißweine zwischen ihren Reben im südsteirischen Ratsch nahe der slowenischen Grenze. Trocken, fruchtig und frisch ist die Note der Weine im „Grünen Herzen Österreichs“, wie der touristische Werbeslogan die Steiermark betitelt. „Vor der letzten Lese hatten wir warme Tage und kalte Nächte“, erzählt die große Blonde mit zurückhaltendem Charme. Das sei gut für das intensive Aroma. „Beim Sauvignon dominiert der gelbe Apfel, schmecken Sie es?“ Noch nicht wirklich. Beim Welschriesling gehorcht der Gaumen schon besser. Jetzt nimmt man sogar einen Hauch der Würze wahr, die für die kalkreichen Spitzenlagen der steilen südsteirischen Hügel charakteristisch ist.
Umstreichelt vom warmen Wind, der von der Adria heraufweht, genießt man später im beschaulichen Buschenschank, der zum historischen Bauernhaus mit gemütlicher Gaststube gehört, was die steirische Scholle zur Weinbegleitung hervorbringt. Zur Brettljause mit luftgetrocknetem Schinken, Speckzwetschgen und Käferbohnensalat erfrischen die charaktervollen, leichten Weißweine, vom Sauvignon, dem Lieblingswein der Gastgeberin, zum Chardonnay, der hier „Morillon“ heißt, bis hin zum Grauburgunder Ratsch. Dabei streift der Blick über die Rebhügel, während der Klapotetz, das hölzerne Wahrzeichen der steirischen Weinbauern mit Buschenschank, sich gebetsmühlenartig im leichten Wind dreht.
Ein Ort zum Verweilen. Doch die nächste junge Winzerin aus der Elfer-Gruppe wartet bereits. Als studierte Pflanzenwissenschaftlerin geht Katharina Lackner-Tinnacher die Weinverkostung akademisch an. Im schick-nüchternen Verkostungsraum ihres beachtlichen Weinguts in Gamlitz referiert sie über ihre Zielsetzung der reduzierten Quantität für eine hohe Qualität: „Die Grundlage eines guten Weines entsteht im Keller“. Als vielversprechende Rebsorte für die Zukunft hat die ambitionierte Winzerin den Sauvignon ausgemacht. Auf sechzig Prozent der insgesamt 27 Hektar Abbaufläche darf sich die erfolgversprechende Traube entfalten. Pro Hektar hat die junge Winzerin einen Einsatz von 800 Stunden jährlich errechnet. Ein lohnender Aufwand sei das, wenn die Lese nach genügend Regen zufriedenstellend ist.
Das historische Weingut, mit seinen knapp 250 Jahren als älteste der Südsteiermark, hat die Schwester der Jungwinzerin mit einem futuristischen Neubau ergänzt. Dabei hat die Architektin den Bau aus Stahlbeton und Lärchenholz aus den Latifundien des Gutshofes so geplant, dass er harmonisch in den Rebhang übergeht.
Von der Weinkönigin zum Winzerkönig
Weiter östlich im Burgenland kann man sich im „Gasthaus zur Dankbarkeit“ unter den Kastanienbäumen im Gastgarten entspannt zurücklehnen und die beschauliche Atmosphäre genießen. Zur Vorspeise aus heimischem Graurindschinken im Wacholdermantel, Kaninchensülze und Kürbispudding tischt die junge Winzerin einen maskulin ausgebauten Pinot Gris auf, der 18 Monate im Barrique gereift ist. Christina Lentsch, die ihr Handwerk in Krems und in Neuseeland gelernt und mit einer Ausbildung zur Jungsommelière ergänzt hat, erklärt die ausnahmslos heimischen Produkte auf dem Teller und im Weinglas mit charmanter Eloquenz. Wie es zu dem ungewöhnlichen Namen des Gasthauses kam, in dem sich die ganze Familie einbringt, erklärt sie ohne Umschweife: Aus dem einst kleinen Schloss und späteren Zisterzienserkloster wurde vor 80 Jahren ein Weingut mit überschaubarem Anbaugebiet. Dank der glücklichen Hand der Eltern und Großeltern war der Betrieb so erfolgreich, dass aus dem einst kleinen Buschenschank vor knapp 20 Jahren ein beliebtes Speiselokal geworden ist. Die Dankbarkeit dafür sollte der Name des Gasthauses ausdrücken.
Während man anschließend in der Nachmittagssonne über den Neusiedlersee in Richtung Rust schaukelt, ziehen die unterschiedlichen Winzerinnen noch einmal im Kopfkino vorbei. So unterschiedlich wie die einzelnen Regionen und Weingärten sind auch die Winzerinnen. Doch alle verfolgen ein Ziel, das Judith Beck aus der Winzerinnen-Elf so ausdrückt: „Internationalen Stil kann jeder überall machen. Weine wie meine nur ich, hier und jetzt.“
Im populären Winzerstädtchen Rust hat, wie fast zu erwarten war, eine Königin zur Weinprobe eingeladen. Genauer gesagt war Winzerin Heidi Schröck einst österreichische Weinkönigin. Vor über 30 Jahren bereits hat die Weinbau- und Kellermeisterin den Betrieb von ihrem Vater übernommen. Damit ist die flotte Weinbäuerin die älteste im Verbund der elf Winzerinnen. Selbstbewusst und blumig stellt sie ihre Weine in ihrem Weingut inmitten der Bilderbuchidylle der Ruster Altstadt vor. Die Familie der Muskatweine spielt hier, am Rande von Ungarn, eine große Rolle. Die weit verbreitete Rebe sei aber wie eine Mimose. „Sie verzeiht keine Wetterkapriolen“, berichtet die erfahrene Winzerin. Da seien die Tokaj-Reben, die Prinzessin Isabella im 12. Jahrhundert aus Friaul als Mitgift in die Ehe mit einem ungarischen Prinzen nach Rust gebracht hat, wesentlich versöhnlicher. In Akazienfässern reifen sie zum trockenen Furmint, einer Spätlese, die wie ein „sweet surrender“, eine süße Hingabe daherkommt. Die Beerenauslese Selektion gibt sich dagegen weniger süß. Heidi Schröck vergleicht den zurückhaltend süßen Wein mit einer jungen Frau, die noch nicht sesshaft ist. Würziger Käse oder Gänseleber seien ideale Begleiter. Nicht nur zu St. Martin. Aber da ganz besonders, denn der heilige Samariter gilt als Schutzheiliger des Burgenlandes.
Einmalig am Neusiedlersee, wo sich die Ruster Weinbauern seit einem Viertel Jahrhundert auf Süßweinspezialitäten konzentrieren, ist der „Ruster Ausbruch“. Im kleinen Akazienfass reift er aus der Welschrieslingtraube „zum ernsten, nachdenklichen Mann“ heran. So jedenfalls beschreibt die kreative Winzerin den beliebten Süßwein. Das klingt allerdings nicht nach „Ausbruch“. Da lacht die einstige Weinkönigin und liefert die Erklärung: „Herausgebrochen werden die zu Rosinen geschrumpften Beeren“. Fraglich, ob der Winzerkönig das auch gewusst hätte.
Renate Wolf-Götz
Informationen
Österreich Tourismus Berlin
www.austriatourism.com
Reisen & Wein
www.österreichwein.at
www.jutta-ambrositsch.at
www.weingut-beck.at
www.weingut-koegl.com
www.tinnacher.at
www.dankbarkeit.at
www.heidi-schroeck.com
Übernachten
Hotel „Rathaus Wien & Design“ in Wien
www.hotel-rathaus-wien.at
Hotel Schandl in Rust
www.hotelschandl.at
Hotel LOISIUM Wine & Spa Resort Südsteiermark
www.loisium.com
Essen und Trinken
Weingut – Heuriger „Mayer am Pfarrplatz“ in Wien
www.pfarrplatz.at
Weingut Rotes Haus am Nussberg
www.weingut-rotes-haus.at
Gasthaus zur Dankbarkeit in Podersdorf am See
www.dankbarkeit.com
Wirtshaus im Hofgassl in Rust
www.hofgassl.at