Die Signora, errötende Berge und kalte Betten

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Valeria Ghezzi, Präsidentin des Präsident des Verbandes italienischer Bergbahnen und Chefin der Funivia Tognola, Foto: Heiner Sieger/schönessüdtirol.de
Valeria Ghezzi, Präsidentin des Präsident des Verbandes italienischer Bergbahnen und Chefin der Funivia Tognola, Foto: Heiner Sieger/schönessüdtirol.de

Die Cinderalla von Dolomiti Superski, wie sie liebevoll genannt wird, Valeria Ghezzi aus San Martino di Castrozza, kann sich durchaus anders benehmen, als man es von einem Aschenputtel erwarten könnte. Und so mancher hat sich schon in ihr verschätzt, der nur ihr freundliches, zurückhaltendes Betragen erfahren hat. Sie kann Dampf machen und macht Dampf, die Präsidentin des Verbandes italienischer Bergbahnen und Chefin der Funivia Tognola, neben weiteren Unternehmen.

Die Pala-Gruppe – der breiteste und einer der schönsten Bergzüge des Weltkulturerbes Dolomiten

Die Bergbahn von Tognola, wo wir sie neben der Bergstation in der gleichnamigen Hütte treffen, die ein veritables Restaurant ist, führt hinauf von San Martino di Castrozza, das einmal zu österreichischen Zeiten, also bis 1918, Sankt Martin am Sismunthbach hieß. Das ist ein uns ziemlich leblos vorkommendes Städtchen, was Valeria Ghezzi allerdings nicht so stehen lassen wollte, auf 1467 Meter Höhe im Primierotal, am Fuße der Palagruppe, südlich des Rollepasses, in der Provinz Trentino, also ziemlich weit weg, hinter dem Berge. Aber in wunderschöner Natur. Und genau das ist, so verwunderlich das klingt, ein Teil des Problems, mit dem sich Frau Ghezzi herumschlägt.

Die Pala-Gruppe von der Alpe Lusia aus, Foto: Heiner Sieger/schönessüdtirol.de
Die Pala-Gruppe von der Alpe Lusia aus, Foto: Heiner Sieger/schönessüdtirol.de

Die Pala-Gruppe ist der breiteste und einer der schönsten Bergzüge des Weltkulturerbes Dolomiten. San Martino, so die Werbung, sei einer “der wohl bekanntesten Ferienorte der Dolomiten”. Das ist er leider nicht, jedenfalls nicht mehr bei deutschen Gästen, die in den 60er Jahren noch 70 Prozent der Besucher ausmachten, heute nur noch mickrige zwei. An ihre Stelle traten vor allem Italiener, dazu Osteuropäer und Russen. Es ist das südlichste Gebiet des Skiverbundes Dolomiti Superski und zugleich einer der kleinsten, daher die Bezeichnung Cinderalla. Die Liftanlagen sind zwar nicht von Asche bedeckt, aber die zweisitzigen Sessel, an deren Vorderkante man – immerhin – Gummiwülste angebracht hat, um Knie und Waden zu schonen, sehen so aus, als stammten sie aus der Zeit der Gebrüder Grimm. Die Reste des ältesten Liftes, eines Schlittens, den ein Hermann Panzer im Jahre 1937 konstruierte, kann man heute in der Nähe der Gondelbahn Tognola bewundern.

Das Almenkarussel führt von Hütte zu Hütte

“Ja, es stimmt”, sagt Valeria Ghezzi, “San Martino hat die Zeit verschlafen. Zulange hat man gedacht, die Schönheit der Landschaft, vor allem der Palagruppe genüge, um für Besucher attraktiv zu sein. Man müsse nicht investieren.” San Martino di Castrozza ist umgeben vom Naturpark Paneveggio – Pale di San Martino. Eine Seilbahn führt vom Ort auf die Rosetta, von der man auf 2743 Meter Höhe direkt ins Herz der Palagruppe wandern kann, was viele tun, auch viele Deutsche, aber eben im Sommer.

Schöne Berge, alte Sessel – in San Martino di Castrozza drehen sich die Lifte noch langsamer als anderswo, Foto: Heiner Sieger/schönessüdtirol.de
Schöne Berge, alte Sessel – in San Martino di Castrozza drehen sich die Lifte noch langsamer als anderswo, Foto: Heiner Sieger/schönessüdtirol.de

Im Winter umfasst das Skigebiet ein sogenannten “Almenkarussell”, was ein wenig nach Armenkarussel klingt, mit 45 km Pisten, eingefügt in die Felslandschaften von Tognola, Valcigolera und Ces. Es gibt einige Hütten, wie die Malga Ces, die ländlichen Charme versprüht und mit heimischen Spezialitäten aus einer hervorragenden Küche aufwartet. Die Pisten waren optimal beschneit, weil “wir uns erst für die Beschneiung entschieden haben, neue Lifte sollen später folgen.” Stand heute können etwa 95 Prozent des Skigebiets beschneit werden.

Dass man bei den Aufstiegsanlagen nicht weiter ist, inzwischen gibt es 24, ärgert Valeria Ghezzi maßlos. Und damit macht sie sich nicht beliebt. So wird ihr wenig versteckt vorgeworfen, sie mache sich für Castrozza stark, meine aber in Wirklichkeit nur ihre eigenen Interessen. Zu der für die Weiterentwicklung des Gebietes entscheidende Frage, ob es gelingt, eine Verbindung zum Rolle-Pass herzustellen, der die 15 minütige Autofahrt erübrigt, verschanzt sich jede Seite hinter Gutachten über die Kosten von Herstellung und Betrieb, die nicht in Deckung zu bringen sind. Die örtliche Presse, “La Voce des Nordest”, hält sich bedeckt, nennt Ghezzi “la Signora di San Martino di Castrozza” und bewundert ihre “basta-Politik”.

Für Seniora Ghezzi gibt es noch viel zu tun

Die Signora jedoch kann durchaus austeilen: “Hier traut sich kein Politiker aus der Deckung, jeder verfolgt seine Interessen, und seien es nur die Arbeitsplätze am Pass, die durch eine Gondelverbindung entfielen.” Weil alle klug, italieniesch “furbi”, sein wollten, passiere nichts. Da kann man drüber lachen und nach dem Unterschied zwischen den “furbi” und “fannulloni”, denen die garnichts tun, fragen, aber Ghezzi bringt das in Rage. “Warum kommen denn keine Deutschen mehr hierher? Weil Südtirol so innovativ war und Angebote für den Wintersport macht, die jeder Weiterfahrt ins Trentino die Argumente nehmen.”

Verströmt ein wenig morbiden Charme: San Martino di Castrozza; Foto: Silvano Angelani
Verströmt ein wenig morbiden Charme: San Martino di Castrozza; Foto: Silvano Angelani

Und auch für das traurige Aussehen des Stadtkerns hat sie eine Erklärung. “Fast alle Hotels sind geöffnet, wir haben 3500 Betten. Aber wir haben auch 15 000 kalte Betten.” Was kalte Betten sind, muss sie erklären. “Das sind Betten in Zweitwohnungen. Das kennt man auch aus anderen Orten in den Alpen, in Cortina d´Ampezzo zum Beispiel. Die werden nur für wenige Wochen im Jahr genutzt.” Das wird es sein, wenn ansonsten nur 400 Menschen in dem Ort wohnen, sieht das eben so aus: Rolläden runter, das Leben ist verreist. Selbst das vornehme Hotel Sass Maor ist in Appartements zerlegt worden. Es gibt keine Schule, kein Kino, die findet man im Nachbarort Tonadico – Fiera di Primiero.

Da hat Signora Valeria Ghezzi noch viel zu tun. Ihr Großvater hatte 1957 das heruntergekommene Jagdhotel von Kaiser Franz Josef gekauft und zu neuem Leben erweckt. Und die Gegend hat alles, was man an Schönheiten braucht, aber das Thema, dass das nicht genügt, hatten wir schon. Angenehme Kühle im Sommer, Farbpracht im Frühling und Herbst. In der Nähe Mezzano, eines der schönsten Dörfer Italien, majestätische Berge aus Koralle, die in der Dämmerung malerisch erröten, so stellt man sich das Paradies vor.

Vielleicht zieht Valeria Ghezzi aus diesen Bildern die Kraft: Seit 50 Jahren kämpfe die Familie. “Wir haben den Enthusiasmus, die Lust, voran zu gehen, zu wachsen, die Wünsche unserer Gäste bestens zufrieden zu stellen, nicht aufgegeben.” Und sie schätze sich glücklich, zu wissen, “wie sie in den Spuren von Vater und Großvater die nächsten Jahre weiterzumachen hat.”

Wenn der Tag endet, erröten die Gipfel der Pala-Gruppe; Foto: Daniele Benedetti

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Hans-Herbert Holzamer

Autor Kurzvorstellung:

Freier Journalist und Autor

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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