Patagonien, das weite Land dazwischen

Angebote, Patagonien zu bereisen, gibt es viele. Aber kaum einer hat eine Vorstellung, wo er da hin soll. Patagonien misst 1.061000 Quadratkilometer, das sind fast dreimal so viele, wie Deutschland (357.592) hat. Es wohnen dort etwa 3 Millionen Einwohner, und nimmt man die großen Städte wie San Carlos de Bariloche, El Chalten und die anderen aus der Berechnung raus, wohnt da eigentlich niemand mehr. Doch, die Schafe. 9, 5 Millionen alleine auf dem argentinischen Teil. Und dazu die Pferde, Kühe und das Personal, das sich um die Tiere kümmert, die Gauchos und die Estancieros, das sind die Besitzer der riesengroßen Ranchen. In Chile hat es mal eine Bodenreform gegeben, da sind die Landgüter oft kleiner, in Argentinien nicht, da sind die Estancias groß wie bei uns Provinzen. Dann gibt es noch die Guanakos, das sind Tiere aus der Familie der Kamele, die sieht man in Scharen, aber oft auch im Zaun hängen. Denn mit Zäunen begrenzen die Estancias ihr Revier, und junge oder schwache Tiere schaffen den Sprung gelegentlich nicht. Das freut den Kondor, denn der ist auf Aas spezialisiert. Das Land ist zum großen Teil Steppe, wo Wald war, hat der Mensch ihn verbrannt, um Weidefläche zu gewinnen. Bäume waren nur als Windschutz für die Herrenhäuser der Landgüter erwünscht. Es braucht ewig, bis hier in der regenarmen Gegend der Wald nachwächst, der Reisende sieht die gebleichten Reste der Baumstämme, ein Menetekel.

Und das soll ein „Sehnsuchtsziel für passionierte Outdoor-Enthusiasten“ sein?  „Zwischen Anden, Gletschern und dem Südpazifik liegt das Land aus Eis und Feuer. Extreme Temperaturen, Einsamkeit, unendliche Weiten und ein Traumziel für viele Reisende. Wer sich in die raue Landschaft begibt, stößt an seine Grenzen und verneigt sich am Ende der Welt vor der erhabenen Natur.“ „Haben Sie schon einmal davon geträumt, die Einsamkeit der Steppe mit ihrer unvorstellbare Weite zu durchfahren, die selbst nachts unter dem gigantischem, dicht über Ihnen stehenden Sternenhimmel der Südhalbkugel spürbar ist und in der die Dramen der Siedlungsgeschichte so greifbar nah sind, als wäre Sundance Kid gerade an Ihnen vorbeigeritten? Davon, dass Guanako Hengste staubaufwirbelnd bekämpfen, während Sie mitten in der Herde stehen und fotografieren?“ 

So ein Unsinn. Sundance Kid war ein US-amerikanischer Gangster und hat mit der Siedlungsgeschichte Patagoniens nichts zu tun. Und jedenfalls unser Reiseanbieter hat uns weder eine Übernachtung unter dem Sternenhimmel noch auf einer Estancia angeboten. Und mitten in einer Guanako-Herde waren wir nie. Wie gesagt, viele dieser armen Tiere hingen tot über einem Zaun. Immerhin, ein Puma wurde zufällig entdeckt.

Patagonien umfasst grob gesagt die Südspitze Südamerikas. Der größte Teil der Fläche liegt in Argentinien, ein Teil vor den Anden in Chile. Und die touristischen Hotspots, wie man so sagt, liegen exakt dort, in und vor den Anden. Oder auf der anderen Seite an der Küste zum Atlantik. Oder im Süden, den man Tierra del Fuego, Feuerland nennt, südlich der Magellanstraße.

Der Name Patagonien geht auf den portugiesischen Entdecker Ferdinand Magellan zurück. Er gab den einheimischen Tehuelche, denen er während seiner Überwinterung im Jahre 1520 begegnete, wahrscheinlich aufgrund ihrer großen Statur den Namen Patagones. Hierbei lehnte er sich an eine fiktive Gestalt, den Riesen Pathagón aus den Novelas de Caballería, an. Diese Novelas bildeten eine Sammlung von damals berühmten Rittergeschichten. Der Name Patagonien blieb, die Menschen mit den großen Füßen wurden weitgehend ausgerottet.

Feste Grenzen für die Region gibt es nicht. In der Regel wird damit aber das Gebiet zwischen den Flüssen Río Colorado in Argentinien bzw. dem Río Bío Bío in Chile und der Magellanstraße bezeichnet. Oft wird auch die Inselgruppe Feuerland am äußersten Südzipfel Südamerikas mit dazu gezählt.

Ist mithin das weite Land dazwischen uninteressant? Nein, aber tagelang durch die Pampa zu fahren, um dann stolz „1900 gefahrene Kilometer“ zu verkünden, wie es unsere Reiseleitung tat, ist verlorene Zeit und verschwendetes Benzin. Zwei Tage Fahrt und ein Tag auf einer Estancia mit einem Fest der Gauchos und einem Asado sind genug und bietet Gelegenheit, sich über die Pionierleistungen der ersten Siedler aber auch über ihre Untaten an Ureinwohnern und den Mestizen und Gauchos zu informieren. Es muss auch nicht die Estancia Menendez sein, des „Königs von Patagonien“. Es gibt unzählige, und immer mehr öffnen sich dem Tourismus. Der boomt, das Geschäft mit Schafen und Wolle ist dagegen von vielen Faktoren, auch internationalen Preisschwankungen, abhängig. Zwischen 1930 und 1970 boomte es, doch dann sank der Preis, auf zuletzt etwa 0,75 € pro kg. In Folge kauften ausländische Unternehmer insolvente Estancias auf. Die Geschichte ihrer Gründer ging oft verloren. Hinzu kommt, dass Erdöl- und Kohlförderungen, geplante Staudämme und der Wechsel zu anderen Geschäftsfeldern wie etwa der Obstanbau die Zukunft und die Romantik der Estancias beeinflussen.

Man sollte sich daher vielleicht beeilen, einen Ausflug zu den Pionieren Patagoniens zu planen. Flughäfen, die sich anbieten, sind Trelew in der Provinz Chubut, von wo aus man dann auch Puerto Madryn und die Halbinsel Valdés besuchen kann, ihr Naturreservat zählt zum UNESCO Welterbe, und El Calafate. Dieser Ort nahe der chilenischen Grenze ist auch ein guter Standort, um Touren zum Fitz Roy zum Lago Argentino und zum Gletscher Perito Moreno zu unternehmen. Die Touren zu diesen Zielen und zu den Estancias werden in Kleingruppen mit dem Bus lokal angeboten. Es stehen auch Leihwagen zur Verfügung. Unter 90 Tagen reicht der deutsche Führerschein. Grenzübertritte von Argentinien nach Chile und umgekehrt müssen angemeldet werden und kosten extra. Eine Rückgabe des Fahrzeugs im jeweils anderen Land ist nicht möglich. Das ist aber bei der hier beschriebenen Planung auch nicht nötig. Auf jeden Fall sollte man die Anreise nutzen, um einige Bücher zu lesen. Etwa Bruce Chatwin: In Patagonien. Osvaldo Bayer: Aufstand in Patagonien. Klaus Bednarz: Am Ende der Welt – Eine Reise durch Feuerland und Patagonien. Und Juan Manuel Herrera Traybel: Das Buch von Patagonien. So gerüstet legt man die Grundlage, aus Patagonien  mehr mitzunehmen als nicht gehaltene Versprechen der Reiseanbieter, und man nutzt die immer noch lange Reisezeit sinnvoll.

BU: Ein Guanako, das Wappentier Patagoniens Copyright:hhh

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Hans-Herbert Holzamer

Autor Kurzvorstellung:

Freier Journalist und Autor

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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