Paradiesisches aus dem Land der Gebrüder Grimm

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Der Geo-Naturpark Frau Holle-Land
Das Paradies (Bild in der Jausenstation)
Matthias Pflüger in der Kühlkammer

In der unendlichen Zeitungswelt von World Media Network sollte ich mal einen Text über mein heimatliches Lieblingsgericht schreiben, wie andere Kollegen auch. Und da ich zwar nicht zuhause überall bin, aber doch an mehreren Plätzen, schlug ich zur Auswahl Weckewerk und Labskaus vor. Das Rennen machte das Hamburger Gericht.
In Weißenbach im Land der Gebrüder Grimm traf ich nun Matthias Pflüger, der nicht nur Weckewerk, das Leib- und Magengericht meiner Großmutter, herstellt, sondern auch die Ahle Wurscht und andere nordhessische Spezialitäten.
Pflüger, der zunächst Elektrotechnik lernte, stammt von hier, aus diesem Dorf am Hohen Meißner. Er heißt „hoher“, weil 1913 der Göttinger Student Christian Schneehagen 3000 junge Menschen zum Protest gegen die geistige Enge des Kaiserreiches auf dem Meissner zu einem „hohen Fest“ zusammenrief. Weißenbach wird von dem Bahnanschluss in Witzenhausen erschlossen und von Autobahnen, die in einer Entfernung, die in 20 Minuten zu bewältigen ist, im Westen und Norden, die A 7, und im Süden, die A 4, daran vorbei führen. Das ist weit genug, um Matthias Pflügers Paradies nicht zu gefährden.
Das Paradies des Herrn Pflüger geht so: Mensch und Tier leben in Eintracht und frei von Stress miteinander. Kühe auf der Wiese, Schweine und Hühner in lockerer Aufstallung und auf Stroh und nicht auf Spalten im Beton und in krankheitsfördernder Enge.
Heute, 30 Jahre nach Beginn seiner Tätigkeit, hält er, längst Schlachtermeister, keine Tiere mehr selbst, er kooperiert mit Landwirten in der Region, die Tierwohl so verstehen wie er, und die auch in Speisekarten und Herkunftsnachweisen mit Namen und Adresse aufgeführt sind, „damit der Kunde weiß, was er und woher er es bekommt.“
Er betreibt in Weißenbach das Restaurant „Jausenstation“ mit weitem Blick ins Tal des Zusammenflusses von Fulda und Werra, einen Hofladen neben dem Restaurant, zwei weitere im Kasseler Umland, eine Schlachterei, eine Käserei, eine Bäckerei, den Internet-Versandhandel „der-urgeschmack.de“ und eine Pension mit acht Zimmern. Und er ist Vorsitzender des nordhessischen Fördervereins der Ahlen Wurscht mit mindestens zwei Veranstaltungen im Jahr.
Die Produkte seines Betriebs lesen sich wie das Who is Who der traditionellen nordhessischen Küche. Weckewerk und Ahle Wurscht gehören dazu. Für beide ist das in einer Warmschlachtung verarbeitete Schwein wichtigster Bestandteil. Die Nähe zum thüringischen Eichsfeld drückt sich in ähnlichen Rezepten aus. Weckewerk wird mit Wecken, zu Deutsch Brötchen, vermengt und gebraten. Ich mag sie am liebsten, wie meine Oma, fast angebraten. Das haben wir mit dem Kasseler Oberbürgermeister Philipp Scheidemann gemein.
„Wir benutzen nie Konservierungsmittel- und Reifemittel, auch nicht für die Ahle Wurscht“, sagt Matthias Pflüger, den wir auf einem Rundgang durch die Reifekammern begleiten. „Tonwände sorgen für die richtige Feuchtigkeit, sie können geben und nehmen.“ Nach mindestens drei Monaten gehen die Würste in den Vertrieb. „Sie bekommen die Zeit, die sie brauchen. Die verarbeiteten Schweine hatten sie auch, nicht wie die Tiere, die anderswo Antibiotika und Hormone ins Fertigfutter bekommen, damit sie schnell schlachtreif sind.“
Das wirkt sich natürlich im Preis aus. „Wir haben unsere Lieferanten gefragt, was sie an Entgelt brauchen, um meinen Qualitätsansprüchen genügen zu können. Natürlich haben wir unsere Spielräume. Wir zahlen etwa 65 Cents für den Liter Milch, auch beim Schwein haben wir Festpreise, da kann eines ruhig mal weniger, mal mehr Speck auf dem Bauch haben.“
Glutenfrei ist das Weckewerk schon wegen der Wecken nicht, auch für Veganer sind Restaurant und Hofläden vermutlich terra proibita, verbotenes Land. „Aber wem es ums Tierwohl geht und nicht um einen Modetrend oder Ideologie, der ist bei uns als Kunde und Gast gut aufgehoben.“ Weckewerk ist in Nordhessen und im Eichsfeld (hier als Weckewurst) beheimatet. Gekochte Schwarten, Gehacktes, Fleisch- oder Wurstbrühe vom Schwein werden durch den Wolf gedreht, dazu die altbackenen Brötchen, die dem Ganzen seinen Namen geben. Gewürzt wird mit Zwiebeln, Salz, Pfeffer, Majoran, regional auch mit Kümmel, Nelkenpfeffer und Knoblauch. Dann wird der Brei bei schwacher Hitze gekocht, bis die Flüssigkeit verdunstet wird. „Wir kochen Weckewerk auch ein, für die Hofläden und den Versand, dann ist es sechs Monate haltbar. Im Kühlschrank kann man es geöffnet 3-4 Tage aufbewahren. Bitte nicht kalt essen, mir jedenfalls schmeckt das nicht, in der Pfanne anbraten, dazu warme Pellkartoffeln und kalte Essiggurken. Ein Traum, bestimmt so gut wie Labskaus.“ Es ist das Schmeckewöhlerchen aus der Heimat der Gebrüder Grimm, wie man hier sagt.
Nach der Besichtigung der Reifekammern geht es hinaus ins Land. „Diese Wiese, benannt nach Frau Holle, die ihren See unterhalb des Hohen Meissners hat, bleibt bis in den Winter sich und den Insekten überlassen.“ Honig macht Matthias Pflüger auch. „Wir hatten Streit mit der Behörde, weil wir sie nicht mähten. Leider ist sie in diesem Jahr verdiestelt.“ Diestelöl wäre eine Idee.
Dann gehen wir weiter auf dem Rundweg Nummer 8, einem Premiumweg im Geo-Naturpark Frau-Holle-Land. Wir befinden uns im nördlichen Teil des Naturschutzgebietes, das im Süden und Osten bis zur Werra geht, dort das „Grüne Band“, die ehemalige innerdeutsche Grenze berührt. Im Westen reicht es fast bis Kassel und an die Fulda, im Norden überschreitet es bei Neu-Eichenberg die Werra. Kühe liegen im Gras, ohne von uns Notiz zu nehmen. Von den Streuobstwiesen links und rechts des Weges kommen die Getränke der Jausenstation. „Industrielle Getränke werden Sie bei uns nicht finden“, sagt Matthias Pflüger. „Auch Bier und Wein sind bio. Die Schnäpse machen wir selbst.“ Zuerst laufen wir zu einer Wiese, auf der Drachenflieger ihr Gerät klarmachen und wir einen Blick auf das nordwestliche Bergland haben, dann zum Heiligenberg mit Ausblicken zum Hohen Meißner hin und ein Oval vollendend wieder zurück zur Jausenstation.
Es ist ein Weg durchs Paradies. In einer unendlichen und doch so kleinteiligen Welt. So nah für den, der es besuchen will. Und es wäre so leicht wiederholbar und dann so wunderbar im ganzen Land.

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Hans-Herbert Holzamer

Autor Kurzvorstellung:

Freier Journalist und Autor

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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