Lüneburg. Dieses Nest zwischen Sand und Strauch! Von wegen

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Lüneburg, Blick auf den Stint

Wie man sich doch irren kann, so dramatisch schiefliegen. Nun gut, der Name klingt auch nach Heide, Lüneburger Heide. Ja, aber er lautet korrekt: Hansestadt Lüneburg, so wie Hansestadt Hamburg. Und die Hanse war kein Krauter-Verein! Es war ein Verbund mächtiger, international durch ihren Handel verbundener Städte. Ja, und warum lautet das Kfz-Kennzeichen nicht H- irgendwas? Weil HL schon für Lübeck vergeben war? Dann wenigstens HLG? Wie auch immer. Irgendwer hat das vermasselt. Aber der Stadt sieht man das kaufmännische Selbstbewusstsein an, und die Bewohner haben den Stolz immer noch. Nirgendwo kann man das besser spüren als am Stint. Hier flaniert tout Lüneburg, und trotzig ruft man den Corona-Einschränkungen auf großflächigen Plakaten entgegen, man brauche die Côte d’Azur nicht, wenn man doch den Stint habe. Natürlich hat der Stint mit Handel zu tun, denn hier, auf dem Stintmarkt wurde einst der Stint zum Kauf angeboten. Der Stint ist ein kleiner, lachsartiger Fisch, der zum Laichen über die Elbe bis in die Ilmenau schwamm und im Mittelalter in rauen Mengen gefangen wurde. Direkt gegenüber vom Stintmarkt wurde er dann im Alten Kaufhaus verkauft. Auch die Lüneburger Saline war damals am Stint präsent, denn von hier aus wurde das „weiße Gold” in die große, weite Welt verschifft. In Neptun´s Fischrestaurant erfahren wir die Geschichte, die in Lüneburg die Kinder statt Peterchens Mondfahrt erzählt bekommen: Es waren einmal zwei Jäger, die fanden im Wald eine silbrig glänzende Wildsau in einer salzigen Suhle. Das soll etwa im Jahre 800 gewesen sein, und ein in 250 Millionen Jahren gewachsener unterirdischer Salzstock hatte einen Weg an die Erdoberfläche gefunden. Einmal entdeckt machte das weiße Gold die Stadt, die damals Hliuni hieß, reich. Die Salzsiederei blühte, die Wildsauen wurden geschlachtet. In der Blütezeit gab es eine Tagesproduktion von ca. 35 Tonnen Salz, das war wohl die erste große Industrieanlage Europas. Als zwischen 1392 und 1398 der Stecknitzkanal von Lauenburg nach Lübeck gebaut wurde, erreichte man die Ostsee direkt. Der Anschluss an den Bund der Hanse und der steigende Reichtum ließen die Bürger nach Unabhängigkeit streben. Sie stürmten die Burg, vertrieben den Herzog, und die Prälaten als Besitzer der Saline mussten eine Sülzhilfe in die verschuldete Stadtkasse zahlen. Eine Erhöhung der Abgabe führte schließlich zum Lüneburger Prälatenkrieg, in den sogar Papst und Kaiser verwickelt waren, und der mit dem Reinfelder Vertrag beendet wurde, einem Sieg der Bürger, und einer Bestätigung, dass die Hanse Städte vor Zugriffen der Fürsten und der Kirche schützen konnte.
Der Alte Kran am Stint zeugt von dieser Zeit, und man meint, wenn man dort an der Ilmenau bei einem Bier, einem Lüneburger Pilsener, sitzt, das Selbstbewusstsein der zumeist jungen Menschen um einen herum zu spüren. Der Stintmarkt mit seinen Giebel- und hohen Frachthäusern hat ein Flair, das man der Stadt nicht zugetraut hätte. Und sie hat noch mehr zu bieten: ein barockes Rathaus mit 41 Glocken aus Meißner Porzellan, St. Johannis aus dem 12. , St. Nicolai und St. Michaelis aus dem 15. Jahrhundert. Je mehr Menschen am Stint unser Interesse spüren, desto mehr wird von einigen Lokalpatrioten erzählt. Als wir dann im historischen Viertel zwischen dem Museum und dem Lüneburger Kalkberg, einem Naturschutzgebiet um den Wohlstand stiftenden Salzstock, stehen, merken wir, dass viele Gebäude schief stehen. Ist es aufgrund der silbrig glänzenden Wildsau und des Abbaus, den sie auslöste? Oder ist es das Lüneburger Pilsener? Wie auch immer, schief zu liegen ist keine Sünde.

Die 16-teilige Serie findet Eingang in eine Foto-Text-Ausstellung „Gesichter Deutschlands“ im öffentlichen Raum in Gräfelfing und in einen Katalog mit gleichem Namen. Der Katalog „Gesichter Europas- eine Reiseliebe“ ist mit der ISBN 978-3-942138-67-3 über die Buchhandlungen oder direkt beim GRÄV-Verlag zum Preis von 15 Euro zu beziehen.
Nächste Folge: Lüneburger Heide

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Hans-Herbert Holzamer

Autor Kurzvorstellung:

Freier Journalist und Autor

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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