Man nehme knapp 640 Quadratkilometer Land, ziehe es auf 65 km Länge, Breite 30 bis 5 Kilometer. Straßen gehören dazu, möglichst eng, um die Busfahrer anzuspornen. Rechts und links übervolle Müllcontainer-Gruppen, diese eingerahmt durch wild gelagerten Unrat, darunter Bettgestelle und Matratzen, um allen die Chance bedarfsgerechten Übernachtens anzubieten. Im Hintergrund Schrottautos, die man nicht den Afrikanern vor die Füße kippen musste, die stattdessen zum Basteln anregen. Dazu in Sichtweite von einander Apotheken, Supermärkte und Autoverleih-Stationen für diejenigen, die nicht basteln können. Die Fläche zwischen den Straßen und dem Meer ist zugebaut mit Unterkünften unterschiedlicher Art und Güte und unterschiedlichem Grad der Fertigstellung- von Ruine (vor Fertigstellung) bis Ruine (nach Fertigstellung). Und alles geworfen in das Ionische Meer, fertig ist: Korfu. Das Bild ist ein Zerrbild, auch wenn mancher dieses Bild als Bestätigung eigener Eindrücke registrieren wird. Auch Einheimische kritisieren – bisweilen noch heftiger – die erwähnten Missstände, so dass keiner sage, es ginge mir um unerlaubte kulturelle Aneignung. Auch im Detail ist vieles zu beanstanden. Das Achilleion, der Zufluchtsort der Kaiserin Elisabeth, ist geschlossen. Doch der Park könnte besucht werden, heißt es in den Informationen. Was nicht stimmt. Die zahlreichen Touristen versuchen, durch die Lücken zwischen den Metallstreben im Tor zu ihren Fotos zu kommen. Doch Selfies mit Elisabeths Statuen, Heinrich Heine wurde von Wilhelm II entfernt, sind schwierig. Aber der naheliegende Souvenirjob kommt so zu seinem Umsatz, was wohl der Grund für die fake news ist. Wir wollten eine Tagestour nach Albanien machten, buchten online bei Viator. Der Betrag von 100 Euro für zwei Personen, “incl. pick up at your hotel”, war sofort abgebucht. In einem Chat mit der Zentrale von Viator erfuhr ich, dass wir um 7:10 Uhr vor dem Restaurant Mandalena abgeholt würden. Um sicher zu gehen, rief ich den lokalen Vertreter in Moraitika an, der wies mich darauf hin, dass ich erst am Tag vor der Exkursion nach 15:00 Uhr Ort und Zeitpunkt des „pick ups“ erfahren würde. Tatsächlich: Die Info kam: 7:20 Uhr morgen früh, Restaurant Mandalena. Wir waren ab 7:00 Uhr zur Stelle, Viator weder um 7:10, noch um 7:20, auch um 7:30 Uhr nicht. Kein Chat, kein Telefonat. Man müsste Influencer sein, dann würde ich sowas vom Leder ziehen! Viator hat inzwischen das Geld zurücküberwiesen.
Die Griechen, und somit auch die Korfioten, sind unbeschreiblich liebenswerte und gastfreundliche Menschen. Alles vorab Beschriebene kann diese Feststellung nicht beeinflussen. Selbst in Tavernen, die den Touristenströmen ausgesetzt sind, regiert nicht der Ballermann sondern eine friedliche Gelassenheit, sogar außerhalb der gesetzlich festgelegten Ruhezeiten. Was man hört ist der Gesang der Grillen, die ständig dieselbe Strophe ihres Liedes von Sonne, blauem Himmel und blauem Meer singen.
Für viele Tavernen der Insel, in denen wir regelmäßig gut gegessen und getrunken haben, soll eine stehen, die Taverna Oasis in Strinilas, unterhalb des Pantokrator, des mit 911 Meter höchsten Bergs Korfus. Die Tische stehen unter einen 400 Jahre alten Ulme, ein leichter Wind macht die Sommerhitze erträglich, vieles was auf den Tisch kommt, fabrizieren Isabel und Spiros selbst, das selbst gewonnene Öl kommt zur Verwendung. Wir machten dort Rast, nachdem wir auf der anderen Seite des Pantokrator die verbrannte Flanke bis hinab zu der Albanien zugewandten Küste gesehen hatten. Ein Bild, das sich im Wortsinn ins Hirn gebrannt hatte und nichts mehr bedurfte als ein Ausruhen im Schatten. Dass Isabel aus Kolbermoor bei Rosenheim stammt und der Stimme des Herzens während eines Urlaubs folgte, war eine heiter stimmende Überraschung.
Einen anderen Ort der Ruhe fanden wir in Chlomos im Süden Korfus, die Taverne am Ort hatte geschlossen, aber auf einer Bank saß ein alter Mann, der freundlich nickend grüßte, ansonsten stumm war. Ihm gegenüber ein kleiner Laden, “Ionian Wind”, in dem ein Herr Selbstgefertigtes verkaufte. Da durfte man nicht mit leeren Händen wieder gehen, denn wer weiß, wann sich wieder ein Käufer nach Chlomos verirrt. Der freistehende Glockenturm der Kirche konnte gefahrlos betreten werden, und zwischen den beiden Glocken hindurch eröffnete sich ein unbegrenzter Blick über die Olivenwälder der Südspitze und weiter hinaus aufs Ionische Meer.
Auch dieser Orte, die das Griechische mehr verkörpern als jeder Tempel, gibt es viele. Die Insel ist klein, man suche auf der Karte Stellen, wo nichts ist, dann ist man da.
Natürlich gibt es auch die Plätze, die man gesehen haben muss, jeder folge seiner eigenen Rangliste. An erster Stelle die Inselhauptstadt Korfu, ein Weltkulturerbe, die bei den Einheimischen Kerkyra (wie die ganze Insel) heißt. Ihre Altstadt, ihre beiden Festungen gehören auf jeden touristischen Speisezettel, wenn man vor Staus keine Angst hat und sich vor der Suche nach einem Parkplatz nicht scheut, Parkhäuser oder –plätze gibt es keine.
Wer sich auf die Terrasse des Cafe Kanoni setzt, kann fast mit den Händen die Flugzeuge greifen, welche die Touristen zur Insel und wieder von ihr fort bringen. Es gibt nur eine Piste, Starts und Landungen folgen im Wechsel, mit der passenden App sitzt man fast im Tower.
Natürlich gehören die Buchten rund um Paleokastritsa mit ihren von der Brandung umfluteten Felsen, dem Kloster und der Burg Angelokastro dazu. Diese byzantinische Festung liegt wie der Horst eines Adlers auf einem Berg und hat es in die Rangliste meiner liebsten Ruinen (nach Rocca Calascio und Tantallon Castle) geschafft. Ein anderer besuchenswerter Hinweis auf Byzanz ist die Festung von Gardiki im Süden, und auch hier habe ich mich gefragt, warum so wenig über ihre Geschichte erzählt wird.
Man muss schon ins byzantinische Museum von Antivouniotissa gehen, um sich schlau zu machen. Aber wer fährt schon in den Süden, um Museen zu besuchen? Es ist ein Dilemma, man reist ins dolce Vita, aber wer reist ohne zu verstehen wohin, kann auch zu Hause bleiben oder in eine Therme fahren. Informative Schautafeln vor Ort könnten das Dilemma beseitigen. Jedenfalls ist Korfu nicht nur die siebtgrößte griechische Insel, die Nummer 13 im Mittelmeer, sie hat auch eine eigene, durchaus spannende Geschichte. Mussolini versuchte zweimal nach ihr zu greifen, weil sie ja eh venezianisches, also italienisches Land wäre. Es gibt – leider – auch deutsche Spuren. Russland und die Türkei verwalteten Korfu einige Jahre gemeinsam, aber Korfu ist nicht die Krim.
BU: Kerkyra, Altstadt; Copyright: hhh