“Per Traditiones ad Futurum” - Dies steht in grossen Buchstaben am neuen Eingang der Medizinischen Hochschule von Tbilisi. Georgien erwacht als Reiseziel. Im März 2023, an der ITB Berlin, der grössten Reisemesse der Welt, war Georgien offizielles Gastland und präsentierte sich als Kulturdestination mit dem Motto “infinite hospitality”.
Wer als Tourist nach Georgien möchte hat auf jeden Fall ein grosses Menu zur Hand, aus dem man die unterschiedlichsten Aktivitäten oder Reiseziele auswählen kann.
Alles kein PRoblem
Weine und Bars
Den neuen Trend der “natürlichen Weine” erleben und von einer Weinprobe zur nächsten reisen? Kein Problem. Viele Lokale in Tbilisi bieten “wine tasting” an, es gibt spezialisierte Weingeschäfte in der Stadt. Aber viel interessanter ist es, auf dem Land einen der vielen Weinbauern zu besuchen, die ihren Wein in den im Boden eingelassenen grossen Tongefässen, den “Kvevri” gären und reifen lassen und auch ihre Produktion verkaufen. Das ist Tradition. Wer es nicht ganz so rustikal möchte kann neuerdings auch auf einigen Weingütern mit gut ausgebauter Hotellerie übernachten. Ich kann mir denken, das ist der “Fortschritt”, von dem es demnächst mehr geben wird. Aber ich hoffe, dass dennoch die Tradition erhalten bleibt.
Nachts die coolsten Bars in Tbilisi erkunden, die manchmal in alten, ehemals eleganten Wohnungen versteckt sind? Auch kein Problem.
Sich treiben lassen
Sich durch die sicheren Strassen und Gassen in Tbilisi treiben zu lassen, vorbei an zerfallenden Holzhäusern, gläsernen Hochhäusern, liebevoll restaurierten Holzbalkonen, Verkehr, alten Kirchen, Gemüseständen, Bäckereien mit warmem Käsegebäck, modernen Geschäften mit den angesagten Marken hinter grossen Schaufenstern und darüber alte Wohnungen in Betonhäusern, denen die Zeiten der Sowjetunion noch anzusehen sind? Kein Problem.
Religion, Gesang, Kunst und ESSEN
Tiefe Religiosität erleben, im Alltag oder in den Kirchen? Kein Problem. Für uns scheint es ungewohnt, in Georgien Alltag, auch wenn natürlich nicht alle tiefreligiös sind oder sich an alle Regeln halten. Aber man sieht es immer wieder: Auf der Strasse, wenn ein Jugendlicher mit “baggy pants” und Käppi seine Kopfhörer abnimmt und sich bekreuzigt, weil er gerade an einer Kirche vorbeigeht. Oder in einem der unendlich vielen orthodoxen Kreuzkuppel-Kirchen, wenn alle Frauen und Mädchen ein Kopftuch aufsetzen, oder gar ein am Eingang erhältliches Tuch um ihre Hüften wickeln, weil selbst lange Hosen nicht in die Kirche gehören, oder strenge Mönche und Priester in etlichen Kirchen darauf wachen, dass keine Fotos gemacht werden.
Ob wohl solche Traditionen in der Zukunft, wenn noch mehr “Fortschritt” einzieht, erhalten bleiben?
Georgische Musik entdecken, sei es im privaten wie im öffentlichen Raum? Selbstverständlich. Für mich beeindruckend: der Chorgesang, die Harmonien, die Melodieführung. “Orientalisch” ist es nicht, “griechisch” auch nicht, und auch nicht “russisch”, georgisch halt - und ergreifend. Junge Georgier mögen die traditionellen Volksgesänge vielleicht nicht besonders: im U-Bahn-Schacht blieb niemand vor den eher schrammelden Musikern stehen. Doch Lieder werden mitgesummt, gefilmt und beklatscht wenn eine Band auf der Strasse, elektrisch verstärkt, diese Lieder, mit Georgia-Pop vermischt, in höchster Präzision anstimmt. Und wir konnten die Volkslieder auch beim Mittagessen mit einer Musikerfamilie bestaunen und auf uns wirken lassen.
Alte Fresken in Kirchen bewundern, sei es Russische aus dem 19. Jahrhundert, oder Reste von Georgischen aus dem 11. Jahrhundert, oder zeitgenössische Kunst in einer der neueren Kunstgalerien? Auch das geht natürlich.
Tradition erlebt man auch beim Essen in einer Gastfamilie. Einige “guest houses” gibt es bereits, auch in abgelegeneren Gegenden. Dort kann man als Reisender gut übernachten und im Esszimmer der Familie sehr gutes Essen bekommen, während der junge Enkel nebenan im Wohnzimmer die hohen Ebenen eines Videospiels erobert. Tradition und Fortschritt.
schAFE, SPIONE UND hangare
Den morbiden Charme eines ehemaligen Fliegerhorstes “Big Shiraki” auf sich einwirken lassen; die rostigen Stahltore eines der vielen, mit Gras bewachsenen, Flugzeughangare betasten; mit dem Auto auf der ehemaligen Start-und Landebahn fahren, schnell natürlich und ohne Schlaglöcher, dafür Grasbüschel zwischen den einzelnen Betonplatten? Auch das geht. Und jederzeit meint man: gleich landet ein Hubschrauber, und es findet hier irgendwo der Austausch zwischen Spionen zweier Länder statt. An diesem regnerischen Tag dachte ich das jedenfalls. Filmgesellschaften scheinen dieses Gelände noch nicht entdeckt zu haben. In den 1950er Jahren wurde die Anlage gebaut, aber sie wird seit 1992 nicht mehr genutzt, allenfalls als Weideland.
und nun?
Ich hatte mich mit meinen erwachsenen Kindern einer Gruppenreise angeschlossen, mit hervorragend deutsch sprechender Reiseleiterin. Wir erkundeten den östlichen Landesteil. Ich hätte auch allein das Land im Mietauto bereisen können. Immerhin ist Georgien in etwa so gross wie Bayern, hat aber nur 3.7 Millionen Einwohner, von denen etwa ein Drittel in der Hauptstadt leben. Das recht gut ausgebaute Strassennetz, wenn auch manchmal kurvig, eng oder holprig, durchzieht weite Landschaften und teils sehr hohe Berge. Immer wieder möchte man anhalten und fotografieren. Das ginge wohl auch mit einem Elektro-Auto. Nicht nur sah ich etliche Teslas, auch einige öffentliche Ladesäulen, und sogar einen e-BMW, der von Frankreich aus bis nach Georgien gefahren war.
Wandern ginge natürlich auch, sowie Vogel- oder Tierbeobachtung. Teils unberührte Natur verteilt sich auf mehr als 40 Schutzgebiete. Aber man kann nicht alles machen, jedenfalls nicht in einer Woche. Den westlichen Landesteil, die Schwarzmeerküste, mehr Wein und gutes Essen: das werde ich hoffentlich auf einer anderen Reise erkunden können.
Die Rundreise habe ich privat bei Georgia Insight gebucht; sie fand um die Osterzeit statt. Die Reisegruppe war mit 12 Teilnehmern klein und nett. Bei diesem Veranstalter habe ich auch einen privaten Tagesausflug zu Dritt nach Armenien gebucht, um dort zwei alte Klöster aus dem 10. Jahrhundert zu besuchen.
Der Hinflug war ab Zürich via Istanbul mit Turkish Airways; aber es gibt auch direkte Flüge ab Frankfurt oder München.