Entgrenzter Sound zwischen Parks und Berghütten

Immer noch gilt das 1983 gegründete Südtirol Jazzfestival (30.6.-9.7.2023) von seiner Programmauswahl wie von seinen Aufführungsorten her bei den Jazz-Fans als ein ganz besonderer Event. Mit einem innovativen und stilistisch entgrenzten Sound und mehr als 30 attraktiven Locations: in Parks und im Wald, in Weingütern und Berghütten, vor und in Felswänden, an Seilbahnstationen, in Museen und Industrieanlagen. Bisher haben in rund 400 Konzerten über 1500 Musiker aus allen Kontinenten gespielt.

Nach dem 40. Festival im vergangenen Jahr beginnt eine neue Ära. Fast zwei Jahrzehnte hatte Klaus Widmann als Präsident und künstlerischer Leiter das Festival maßgebend geprägt. Jetzt übergibt er es an die nächste Generation, an drei langjährige Mitstreiter, die in Zukunft für die künstlerische Leitung verantwortlich sind. Das Trio Cucco, Tubaro und von Pretz verbindet die Begeisterung für zeitgenössischen Jazz. Sie haben Bands und Solisten aus der jungen experimentellen europäischen Szene eingeladen, die in 54 Konzerten spielen in Bozen, Meran und Brixen, im Vinschgau, in Bruneck und in den Dolomiten sowie auf dem Rittener Hochplateau.

“Basislager” Bozen

Nach wie vor ist der Kapuzinerpark in Bozen das „Basislager“. Dort findet auch die „Opening night“ am 30. Juni statt. Beginnend mit dem in der spanischen Szene bekannten Saxophonisten Juan Saiz und seinem Quartett. Seine energiegeladene Musik orientiert sich an avantgardischen Strömungen und am musikalischen Impressionismus. Es folgt die Berliner Sängerin und Pianistin KID BE KID, die altbekannte Genregrenzen spielerisch-virtuos auflöst zusammen mit der Gesangsakrobatin Leila Martial, die seit Jahren eine der wichtigen Vertreterinnen des französischen Jazz ist. Abschließend kommt noch vertrackter und doch sinnlicher Future Jazz des Trios Sinularia mit flirrenden Melodien –  Musik, die einfach Spaß macht!

Ein weiteres Highlight: Austria-Jazz vom Feinsten ist am 2. Juli um 14 Uhr auf 2050 Metern in der Gardenacia-Schutzhütte in den Dolomiten zu hören, bei Schönwetter auf der Terrasse. Das Trio Brecher-Raab-Schuster zählt zu den Spitzenvertretern des österreichischen Jazz, darunter ein Solotrompeter der Wiener Volksoper. Am nächsten Tag spielen die drei Bergfexe auf der Puezhütte bei Wolkenstein in Gröden.

Auch am 3. Juli tritt am späten Vormittag im Zentrum Brixens das italienische Musikerkollektiv „Fat Honey“ des Rappers Lorenzo Sighel auf. Der Sound der drei ironiegeladenen Künstler basiert auf dem aufmüpfigen Poetry Slam des Hip Hop, verbunden mit Funk und Jazz – ein bemerkenswertes Hörerlebnis! Am gleichen Abend ist ein europäisches Spitzenensemble im Bozener Kapuzinerpark zu hören: das Trio Gard Nilssen Acoustic Unity. Das vom norwegischen Drummer Gard Nilssen gebildete Trio überzeugt durch blühende Improvisationen und ein kraftvolles Spiel voller Temperament und mit tanzbarem Puls. Eine Reihe von Musikalben liegt vor.

Open Jazz in Brixen

Antoine Boyer, ein international bekannter Gitarrist, kommt vom Gypsy-Jazz, ist aber auch klassisch ausgebildet. Zusammen mit seinem Quartett kreiert er einen „Open Jazz“, wie er es nennt. Mit dabei die fantastische Mundharmonikaspielerin Yeore Kim. Sie treten am 2. Juli in Brixen in der Erhardgasse auf.

Am gleichen Abend kurz vor Mitternacht gibt es eines der von Kennern geschätzten sieben Late-Night-Konzerte im Batzen Sudwerk in Bozen – sozusagen als „schrägen“ Abschluss des jeweiligen Jazztages. Mit einer neuen Band gastiert der österreichische Bassist Lukas Kranzelbinder: mit der südkoreanischen Drummerin Sun-Mi Hong und der iranischen Klarinettistin Mona Riahi. Man darf gespannt sein, wie das klingt… 

Jazzverkostung in der Brennerei

Zu einem Wiedersehen mit Boyer und Kim kommt es in Tramin an der Weinstraße südlich von Bozen am 5. Juli  um 11 Uhr  in der meistprämierten Brennerei Italiens, vorher mit Verkostung.  Das Duo konzentriert sich hier auf Standards und Eigenkompositionen. Abends zeigt sich, was die Jazz-Kaderschmiede des Konservatoriums Amsterdam an exzellenten Künstlern ausbildet. Der einfallsreiche dänische Gitarrist Teis Semey gehört zusammen mit Drummerin Sun-Mi Hong zu der Generation, die heute den Amsterdamer Sound prägt. Ihre Band  mixt einen skandinavisch getönten tanzbaren Cocktail, der aber auch lyrisch-kontemplative Seiten hat.  

Oben auf dem Ritten bietet am 7. Juli vormittags auf der Aussichtsterrasse des Parkhotel Holzner die virtuose Cellistin Mabe Fratti aus Guatemala ein Solokonzert mit experimentellen Eigenkompositionen und freier Improvisation. Um den Klang in Form zu bringen, verwendet sie Cello, Stimme und Synthesizer. In einem anderen sehr gepflegten Hotel, dem Parkhotel Laurin in Bozen, findet am Abend des 7. Juli im riesigen Park ein Konzert des Joanna Duda Trios unter der Leitung der polnischen Pianistin Joanna Duda statt. Seit einigen Jahren feilen sie an einer neuen elektro-akustischen Musik mit stark rhythmischen Komponenten. Beigemischt sind Anleihen aus Barock und Romantik. Abgerundet wird der sphärische Sound durch Naturgeräusche und synthetische Klänge.

Geisterpferd in der Franzensfeste

Die im 19. Jahrhundert entlang der Brennerstraße erbaute riesige Militärfestung Franzensfeste dient heute als Museum und Veranstaltungsort. Originell ist es, wenn der risikofreudige US-Saxophonist Dan Kinzelman mit seinem Trio am 8. Juli unter dem Namen „Fort Jazz“ eine „musikalische  Begehung“ der Gänge, Gewölbe und Kasematten veranstaltet. Das Avantgarde-Trio erweitert sich um 15 Uhr zum Sextett „Ghost Horse“. Das 2017 in der italienischen Untergrundszene gegründete Geisterpferd schafft aus elementaren Modulen und repetitiven Motiven eine Plattform, auf der die sechs Musiker ihr Solo-Spiel gedeihen lassen.

Let Spin ist ein in London und Berlin lebendes Post-Jazz-Quartett, das am 8. Juli im Bozener Hotel Mondschein spielt. Zehn Jahre Zusammenarbeit hat es zu einem gefeierten Live-Act in der europäischen Szene gemacht. Die explosive Mischung stilistischer Einflüsse und ihr Focus auf Improvisation führen zu gewagten Live-Auftritten, bei denen sich die Combo in Gebiete vorwagt, die selbst für die Musiker unvorhergesehen sind.

Info:

Der Konzertkalender mit Terminen, Locations und Line-ups findet sich unter https://www.suedtiroljazzfestival.com/program/                               www.suedtiroljazzfestival.com                                                                                           Tel. (+39) 0471 98 23 24   info@suedtiroljazzfestival.com

Die meisten Konzerte sind kostenlos, im Übrigen liegen die Preise zwischen 10 und 20 €, reduziert: zwischen 5 und 12 €. Für Musikstudierende kosten alle Ticket je 5 €.

© alle Fotos: Südtirol Jazz Festival

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Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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