Ein Abend in Paphos, das Leben kehrt zurück

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„Komm` Melina, tanz mit mir“, so würde es vielleicht in Anlehnung an Alexis Zorbas in einer deutschen Strandbar klingen. Auf einer Terrasse des Coral Beach, westlich vom zyprischen Paphos am östlichen Mittelmeer gelegen, bringen Stalos und seine Band das Lied natürlich auf Griechisch zu Gehör. Es ist Freitag, zyprischer Abend, der zugleich ein griechischer Abend ist, das Buffet bietet von Seftalies über den Kleftikò bis hin zum Doukissa, was das mediterran-hellenistisch aufgeschlossene Herz begehrt, die Gäste tanzen in Essenspausen auf der Terrasse mit, unbeholfen zwar, aber sie erkennen den Klang und freuen sich. Ihre oft kleinen Kinder sitzen in sicherer Entfernung der geschleuderten Beine.

Beschränkungen sind aufgehoben

Die Gäste des Hotels genießen ihre persönliche Entfernung von den Krisen dieser Welt. Die zyprische Regierung hat die Corona-bedingten Einschränkungen aufgehoben, nur auf dem Hinflug bestand noch Maskenpflicht. Wäre nicht Putins Krieg in der Ukraine, es könnte wie früher sein, fast. Denn russische Gäste fehlen im Coral Beach wie auf der ganzen Insel. Sie machten 25 Prozent der Gäste aus. Direkte Flüge gibt es nicht mehr, und die Anreise via Istanbul und den von den Türken besetzten Norden ist schwierig. Trotzdem sind einige russische Gäste im Coral Beach, die sich in der Republik Zypern ein Haus oder eine Wohnung gesichert haben. Von 40 000 Russen ist die Rede, von denen die meisten in Limassol leben. Das war möglich, weil die Regierung aus der Verknüpfung von Investitionen in Immobilien und der Vergabe von Aufenthalts- und Reiseerlaubnissen im EU-Raum ein sehr einträgliches Geschäft gemacht hatte, bis Brüssel den Stecker zog. Zwei Flugzeuge hat beispielsweise Roman Avramovic, einer der mit Sanktionen belegte Oligarchen, in Zypern registriert, die jetzt an der Kette liegen. Nicht ohne Angst vor einer Ausweisung genießen viele Russen die gekaufte Freizügigkeit, und Abend im Hotel gehört dazu.

Auch das Klima reizt dazu. Paphos` Thermometer verzeichnen in diesen Tagen des Juni selten mehr als 30 Grad. Es ist eine klimatische Besonderheit, dass es hier im Winter 3 Grad wärmer, im Sommer dagegen 3 Grad kühler ist als etwa in Larnaca im Osten der Insel. Das sei auch der Grund, warum nur hier Bananen gedeihen und auch reichlich angebaut werden, erklärt ein Landwirt. Aber vermehrter Saharasand und Hitze-Schübe zeigten, dass der Klimawandel auch hier ein Thema sein sollte.

Briten statt Russen

Den Platz der ausbleibenden Russen haben, wie früher, die Briten eingenommen, die zumeist „all inclusive“  gebucht haben, das Meer meiden und sich am Pool schon morgens die ersten Biere „reinstellen“. Abends, so wie heute, sind sie dann schon so weit, den Sirtaki und die Rembetiko-Musik von Salos nicht mit eigenen Fan-Gesängen bereichern zu wollen.

Natürlich gibt es unzählige Sehenswürdigkeiten und Ausflugsmöglichkeiten von Paphos aus. Da ist der archäologische Park mit den Königsgräbern und dem Haus des Dionysos, das Schloss und der Hafen, die aus Anlass von „Kulturhauptstadt Europas“ sanierte Altstadt, die Neapolis mit Universität, medizinischem Zentrum und Wohngebiet des im vergangenen Jahr verstorbenen Michael Leptos. Ausflüge führen zum Felsen und zum Bad der Aphrodite, auf die Halbinsel Akamas, wo die chelonia mydas, auch Suppenschildkröte genannt, in der Lára-Bucht ihre Eier ablegt. Seit 38 Jahren kämpft die NGO BirdLife Cyprus, eine NGO, gegen Investoren-Pläne, das Naturschutzgebiet für Hotels und Urbanisationen zu öffnen, und für die Umsetzung der Habitat-Richtlinie der EU. Oder man fährt ins fast 2000 Meter hohe Trodos-Gebirge mit seinen Klöstern, einsamen Dörfern und verwunschenen Wanderwegen.

Gräberfund am Salzsee

Zypern, die viertgrößte Insel des Mittelmeeres, hat viele Sehenswürdigkeiten. Und infolge von Ausgrabungen werden es ständig mehr, wie jetzt am Salzsee von Larnaca der Gräberfund aus der späten Bronzezeit. Die oft geplünderten und entweihten Schönheiten im besetzten Norden sind von Paphos aus kaum zu erreichen. Und in der nur von Ankara anerkannten Pseudo-Republik „Türkische Republik Nordzypern“ Urlaub zu machen, kommt so wenig infrage wie ein Urlaub auf der Krim. Daher müssen sich Besuche im Norden auf Tagestouren von der seit dem 20. Juli 1974 geteilten Hauptstadt Nikosia aus beschränken. Deswegen musste ich mir auch bislang einen Besuch an einem Sehnsuchtsort, dem Kap des Apostels Sankt Andreas, versagen.

Rembetiko, das Lied der Trauer

Salos’ Musik klingt in den Ohren der nicht einheimischen Gäste als „typisch“ griechisch. Der Applaus ist ehrlich. Dabei ist es die traurige Musik der aus ihrer kleinasiatischen Heimat Vertriebenen. Und wenn im portugiesischen Fado die Saudade, die Sehnsucht nach dem verlorenen lusitanischen Weltreich, nachklingt, ist es im Rembetiko die Trauer darüber, die Türken zum Nachbarn zu haben. Auch Kreta, die Heimat von Alexis Zorbas, dem Sirtaki tanzenden Filmhelden, war lange Zeit unter osmanischem Joch. Und Griechenlands und Zyperns Freunde? Die Engländer waren jedenfalls keine, wie man in dem Buch „Bittere Limonen“ von Lawrence Durrell nachlesen kann. Und das Referendum zur Wiedervereinigung der Insel 2004, der so  genannte Annan-Plan, scheiterte auch daran, dass sich die Briten Wirtschafts-und Territorialrechte aufgrund ihrer beiden Stützpunkte absichern wollten. So beschreibt „die Zypern-Frage“ einen „eingefrorenen Konflikt“, und hört man den türkischen Präsidenten Erdogan dieser Tage, sind für ihn die Verträge von Lausanne und Montreux auch nur von relativer Bedeutung, soweit sie seinen Expansionsplänen nicht im Wege stehen. Bei einem Besuch im besetzten Varoscha 2021 drohte Erdogan unverhohlen, auch wieder militärisch auf der Insel einzugreifen. Die Lehren von Zypern 1974 und der Krim 2014? Konflikte gehören gelöst und nicht „eingefroren“. Der Kommentar von Henry Kissinger, dem ehemaligen Außenminister der USA, der auch „seine Meinung“ zur Ukraine hat, im Jahre 1974: „Our friends have gone too far.“ Er meinte damit, dass sich die Türkei mit fast 40 Prozent mehr als den konzedierten Prozentsatz der Insel griff.

Bis in die jüngste Vergangenheit gab es Gespräche zwischen griechischen und türkischen Zyprern, aber die Erfolgsaussichten werden immer schlechter. Im Norden geraten die türkischen Zyprer aufgrund der Siedlungsprogramme Ankaras in die Minderheit, Ersin Tatar der Chef der besetzten Gebiete, vertritt die Interessen der Türkei. Der Konflikt um die Gasvorräte im Mittelmeer mit der Türkei ist erstarrt, die Übergänge in den Norden waren bis zum 1. Juni diesen Jahres zur Eindämmung der Corona-Pandemie geschlossen worden. Zyperns Staatspräsident Nikos Anastasiadis zeigte sich bereit, erneut in Verhandlungen einzusteigen, macht aber zugleich klar, wo für ihn die Grenzen liegen: „Eine Zwei-Staaten-Lösung, wie sie die Türkei will, wird es nicht geben. Das wird weder von Europa und der internationalen Staatengemeinschaft noch von uns akzeptiert.“

Visionen und Gespenster

Auf der Terrasse des Coral Beach wird es ruhiger, die Kinder werden eines nach dem anderen von ihren Eltern weg und zu Bett gebracht. Die Engländer sind längst vom Bier zum Wein und zum Ouzo übergegangen. Die traurigen Botschaften der Lieder, die Salos zu Gehör brachte, bildeten für sie ohnehin nur eine klangliche Untermalung des Abends. Die Palmen hinter dem Pool erstrahlen vor dem schwarzen Nachthimmel im Licht der Lampen, die das Badebecken beleuchten sollen.

Natürlich sollten die Zyprer und die Griechen mehr der Zukunft zugewandt sein. Europäische Kulturhauptstadt des Jahres 2017 gewesen zu sein, war ein Versuch nicht nur für Paphos. Wirklich nachhaltig war er nicht. Die Europäische Union sichert gegen türkische Aggressionen ab, saniert die Straßen und Gemeinden, garantiert Reisefreiheit und Wohlstand, der Tourismus hat wieder Fahrt aufgenommen, alleine im postpandemischen April 2022 kamen fast 300 000 Touristen, der Veranstaltungskalender ist gut gefüllt. Die Regierung bastelt an EU-verträglichen Regelungen, um an ausländische „Firmenmitarbeiter“ das „residence permit“ verkaufen zu können, um so den Immobilienmarkt zu stützen, der derzeit vor allem ein Zweitmarkt ist. All das betrifft die „xenoi“, die Gäste aber zugleich auch Fremde sind. Die Seele der Zyprer (und der Griechen) wird nicht von Visionen der Zukunft erheitert, sondern von den Gespenstern des Gestern malträtiert, Rembetiko ist ihre Hymne. Die Teilung Zyperns bleibt eine Wunde, die man aber nicht um jeden Preis schließen will. Salos packt seine Instrumente ein, seine Tänzer verabschieden sich von den letzten Gästen. Alexis Zorbas grüßt von Kreta nach Zypern. Er lebt.

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Paphos, der zyprische Abend geht zuende.

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Hans-Herbert Holzamer

Autor Kurzvorstellung:

Freier Journalist und Autor

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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