Sie ist nur wenige Monate im Jahr geöffnet und gehört zu den Straßen, die man in den USA gefahren sein muss: die Going-to-the-Sun Road in den Rocky Mountains. (Text und Fotos: Markus Tischler)
Irgendwann wirkt es auf mich wie Hohn, dieser Hinweis an den Fassaden der Holzhäuser. Bei „Sportsachen“, muss ich feststellen, handelt es sich in den Geschäften in den kleinen Orten am und im Glacier Nationalpark meistens um Angel- und Jagdzubehör und Ausrüstung fürs Wandern. Ich will aber nicht angeln und nicht jagen und auch nicht wandern. Ich bin auf einem Fahrrad unterwegs, aber weder in West Glacier, Apgar oder später in St. Mary kann ich etwas entdecken, was Ähnlichkeit mit einem Radhemd hat. Pech, ich hätte daheim gerne so ein Mitbringsel am Leib getragen. Ein bisschen Selbstbeweihräucherung darf schließlich schon sein, wenn man die Going-to-the-Sun Road im Glacier Nationalpark im US-Bundesstaat Montana mit dem Rad gemeistert hat. Schließlich sind Radfahrer hier eher selten anzutreffen, weil das Radfahren auf der kompletten Sunroad nur wenige Wochen im Jahr ganztags möglich ist. Zum Beispiel nach dem Labor Day, der immer auf den ersten Montag im September fällt. Davor gilt ab dem 15. Juni eine Sperrzeit von 11 Uhr bis 16 Uhr. (*)
Warum das so ist, wird schnell klar: zweispurige Straße, schmaler Seitenstreifen, reichlich Autos auch in der Nachsaison. Und doch werde ich später sagen, dass es herrlich war. Nein, verdammt herrlich sogar und jeden vergossenen Schweißtropfen wert.
Nur Felsen, wildes Land
„Die Straße, die zur Sonne geht“: Sie gilt als eine der schönsten Strecken in den Rocky Mountains. Sie ist, wie andere Passstraßen auch, ein Meisterwerk an Baukunst. Ein Meisterwerk deshalb, weil von 1911 bis 1934 dauerte, den insgesamt 80 Kilometer langen Highway fertigzustellen. Alte Bilder, die ich mir in einem Buch in einem Laden in Apgar angesehen hatte, ließen nicht einmal ansatzweise erahnen, mit was für Schwierigkeiten die Arbeiter damals zu kämpfen hatten. Die Straße ist eben einfach da, und als ich ein paar Kilometer hinter dem Lake McDonald den langen Anstieg hinauf zum Logan Pass beginne, gelingt es mir nicht, mir die Straße einfach wegzudenken und vorzustellen, wie es damals hier ausgesehen haben mag. Keine Rampe, kein Asphalt. Nur Felsen, wildes Land. Unzugänglich.
Nun gut, es liegt vielleicht auch daran, dass das Fahrrad und Gepäck zusammen rund 45 Kilogramm wiegen und die Straße nun zwischen fünf und sechs Prozent ansteigt. Ich könnte auch sagen: Es wird ziemlich anstrengend. Der Parkplatz am Aussichtspunkt „The Loop“ bietet sich daher an für die erste längere Pause. Zumal sich überall noch die Spuren eines länger zurückliegenden Waldbrandes zeigen. Es mögen mehrere tausend tote Bäume sein, die Stämme schwarz oder silbern, die Äste kahl, die im Tal und an den Hängen stehen, während um sie herum am Boden langsam neues Leben heranwächst. Sollte man gesehen haben. Nicht nur hohe Berge können beeindrucken.
„The Loop“ heißt „The Loop“, weil es sich um eine 180-Grad-Kehre handelt. Was folgt, ist etwas für Fans von Nervenkitzel: enge Straße, links Felsen, rechts meistens eine kleine Steinmauer. Dahinter Abgrund. Hin und wieder gibt es kleine Buchten zum Ausweichen. Es geht die Garden Wall entlang. Hoch und höher. Manchmal sehe ich, wie Autofahrer den Daumen nach oben strecken, wenn sie mich passieren. Und dann: Baustelle. Halten, absteigen, warten vor den Autos. Ich stelle mich zu zwei älteren Herren, die auf Rennrädern unterwegs sind. „Auf dieser Straße wird immer irgendwo gebaut“, sagt einer. Dann rauscht der Gegenverkehr vorbei. Dauert es fünf Minuten? Oder auch zehn? Dann dürfen wir endlich los, nach den Autos freilich. Die beiden Herren kommen gut voran, obwohl es keinen Asphalt mehr gibt, nur noch eine feste Lehmdecke. Rund vier Kilometer geht das so. Irgendwann kommt mir wieder eine Kolonne von Fahrzeugen entgegen, dann wieder werde ich von gefühlt 50 Autos überholt.
Das Senioren-Duo habe ich da schon längst aus den Augen verloren. Aber ich brauche ja auch nicht zu rasen, anderseits kann ich es auch nicht mehr. Möchte jetzt eigentlich nur noch oben am Logan Pass ankommen und mich aufwärmen, denn auf dem Weg zur Sonne gibt es an diesem Tag nur wenig Sonne zu sehen. Dafür ist die Aussicht dramatisch, aber mir ist kalt. Oben am Pass radele ich am Passschild vorbei, ein Erinnerungsfoto wird es nicht geben. Danach geht es bergab. Nicht mit mir, aber der Straße. Wunderbar, ich genieße die Kilometer bis nach St. Mary. Hier scheint sogar wieder die Sonne. Tut gut, wenn auch nur für ein paar Stunden.
Gegen den Wind nach Many Glacier
Es gibt zwei Campingplätze, die weitgehend leer sind. Die Nacht wird frostig. Als ich am nächsten Morgen aus meinem Zelt krieche, hat mein Nachbar bereits ein Lagerfeuer entfacht. Zwei Stunden später sitze ich wieder auf dem Rad und bin auf dem Weg nach Babb und einem Abstecher zum kleinen Ort Many Glacier.
Vermutlich wird Many Glacier auch in 50 Jahren noch Many Glacier heißen, auch wenn es keine Gletscher mehr zu bestaunen gibt. Außer auf Bildern in der Many Glacier Lodge. Bin müde und durchgefroren. 30 Kilometer im kalten Wind, da sinke ich nun in der Lobby in einer der Sessel, die rings um den großen Kamin stehen. Brad, mein Zeltnachbar auf dem Campingplatz in St. Mary, hat morgens davon geschwärmt. „Ich sitze da oft und trinke ein Bier.“ Nun gut, ich halte einen Kakao in den Händen. Muss ja noch zurück zum Campingplatz. Eine Stunde Aufenthalt, dann sitze ich wieder auf dem Rad. Die kleine Wanderung am Swiftcurrent Lake entlang habe ich schnell mal aus meinem Programm gestrichen. Wo ein Weg ist, ist nicht immer auch ein Wille.
Nach einer weiteren Nacht in St. Mary mache ich mich auf den Rückweg über die Going-to-the-Sun Road. Das volle Programm eben, wo ich schon einmal hier bin. Jetzt also fahre ich von Ost nach West. Der Anstieg auf der Ostseite ist leichter. Blauer Himmel, Sonne. Am Logan Pass mache ich nun auch ein Erinnerungsfoto. Dann geht es wieder bergab. Herrlich. Beeindruckend. Autofahrer möchte hier echt nicht sein. Wer am Steuer sitzt, kann eigentlich nur Straße gucken und nicht Landschaft. Sonst fährt man in einer der vielen Kurven vermutlich irgendwann geradeaus weiter vor lauter Staunen. Um 18 Uhr bin ich wieder auf dem Campingplatz in West Glacier. Die nächste kalte Nacht. Was ich nicht ahne: Drei Tage wird die Westseite der Going-to-the-Sun Road für den Verkehr ob der Baustelle komplett geschlossen. Ich glaube, das nennt man Glück.
(*) Es handelt sich hier um einen Tourenbericht aus dem Jahr 2012. Die genannten Daten sind aktuell – und die Straße immer noch da!