Die Entdeckung der Langsamkeit

Juist ist die Ruhe selbst. Auf der Insel scheint die Zeit anders zu laufen, zuweilen sogar stehen zu bleiben.

Bild oben: Juist vom Wasser aus

VON DOMINIQUE SCHROLLER

Der Wind treibt eine Feder vor sich her. Als unsichtbare Kraft lässt er sie über den Sand tanzen, dann schweben und trägt sie über das Meer davon. Im gleichmäßigen Rhythmus rollen die Wellen auf den Strand zu, brechen, bilden weiße Schaumkronen und verlieren sich zwischen den winzigen Steinchen. Sie prickeln unter den Fußsohlen wie ein wohltuendes Peeling. Muscheln knacken und knirschen dazwischen. Ihre Formen und Farben in großer Vielfalt locken immer wieder, sich zu bücken, eine aufzuheben und in der Hand zu drehen.

Die Insel ist die Ruhe selbst. Foto: Dominique Schroller
Die Insel ist die Ruhe selbst. Foto: Dominique Schroller

Ein Spaziergang über die langen Sandstrände von Juist entspannt die Seele. Die Insel ist die Ruhe selbst. Die Zeit läuft hier anders, zuweilen scheint sie sogar stehen zu bleiben. Ihr Rhythmus ist der Viertakt der Pferdehufe auf dem unebenen Pflaster. Taxis und Busse sind mit zwei PS unterwegs, das Bier und die Post kommen ebenfalls mit Pferd und Wagen. „Wir haben ein Transportkonzept, das auf den ostfriesischen Inseln einzigartig ist“, sagt Marketingleiter Thomas Vodde mit unverholenem Stolz. Autos sind tabu, Lärm und Geschwindigkeit lassen die Gäste auf dem Festland zurück.

Die Entschleunigung beginnt bereits beim Ablegen von Norddeich. Die Fähre lässt sich von einem bis zum anderen Ufer anderthalb Stunden Zeit. Geruhsam entfernt sie sich von der Küste – gemächlich rückt die Insel näher. Nach und nach tauchen erst die grünen Dünen und dann die typischen roten Backsteinhäuser mit den weißen Fenstern auf, bis der Schiffsbug Kurs auf den beschaulichen Hafen mit den sanft schaukelnden Booten und dem segelförmigen Aussichtsturm nimmt. Von dort oben liegt den Gästen die grüne Insel zu Füßen, während der Wind an Haaren und Kleidern zerrt.

Mit Blick auf Strand und Meer lernt die Seele fliegen. Foto: Dominique Schroller
Mit Blick auf Strand und Meer lernt die Seele fliegen. Foto: Dominique Schroller

Vom Hafen bis zum Ostende sind es rund vier Kilometer, die sich gut mit dem Rad bewältigen lassen. Links ziehen die Dünen vorbei (betreten streng verboten), rechts fallen die Salzwiesen flach zum Meer hin ab. 80 Prozent der Insel sind Naturpark und das soll auch so bleiben. „Wir setzen auf Nachhaltigkeit. Der Rat hat beschlossen, dass die Insel sich bis 2030 klimaneutral versorgen soll“, betont Vodde. Dafür sollen die Häuser Solarzellen bekommen, die Windräder für die Stromerzeugung sich allerdings in Norddeich drehen. Das Festland ist im Dunst nur zu erahnen. Kleine  Propellermaschinen starten vom winzigen Flughafen im Osten in seine Richtung. Von der Startbahn aus man kann bis zur Spitze der schmalen Landzunge spazieren.

Zwischen Sand und Seegras verlieren sich die die Spuren der Zivilisation. Nur ab und zu durchbricht der Schrei eines Watvogels die beruhigende Stille. Seltene Exemplare brüten hier und daher ist das äußerste Ende des Eilands in den Sommermonaten für sie reserviert. Am Strand entlang führt der schmale Pfad in einem großen Bogen zu den geparkten Rädern zurück.

Vom einsamen Osten geht es in den wilden Westen der Insel. Dort wartet nicht Buffalo, aber Domäne Bill. Unterwegs grasen vereinzelt Schafe, wo sonst nur Pferde weiden. Fasane streifen vorsichtig durch das hohe Gras.  eingebettet in Dünen und umgeben von wogendem Schilf funkelt der Hammersee wie ein Saphir in der Sonne. Die Süßwasseroase der Insel schrumpft langsam. Das Land erobert die Wasserfläche schleichend zurück.

Bevor sich auch im Westen scheinbar endloser Sandstrand erstreckt, lockt das Lokal Domäne Bill mit einer inseltypischen Stärkung: Ostfriesentee und Rosinenstuten. Die köstlich duftenden Scheiben sind zwei Finger dick und tellerbreit. Die Gäste bekommen ihn ofenwarm serviert, so dass er nicht nur die Butter zum Schmelzen bringt (die Variante mit Leberwurst ist nur etwas für eingefleischte Nordlichter). Der Teig ist luftig, die Rosinen geben ihm Süße und die Butter unterstreicht das Gesamtaroma. Ein Genuss, der zusammen mit dem heißen Tee samt Kluntjes und Sahne für die 6,5 Kilometer lange Rückfahrt in den Ort stärkt. Dort sind die Geschäfte von 10 bis 18 Uhr geöffnet und machen von 13 bis 15 Uhr Mittagspause – ganz entspannt eben. Der Supermarkt  versorgt Insulaner und Gäste mit dem Lebensnotwendigen, die vielen kleinen Läden bieten Kreatives, Außergewöhnliches und Originelles wie Zeit in Dosen. Die können Besucher mitnehmen. Wenn die Zeiger der Uhr zu Hause wieder atemlos zu rennen beginnen, dann können sie sich an die Leichtigkeit der Feder erinnern, die über den Sand tanzt und sich davon tragen lässt.

Weitere Infos:
ostfriesland.de

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Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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