Dem Himmel ein Stück näher

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Alm-Biwak auf der Villanderer Alm: Dem Himmel ein Stück näher. Foto: Matthias Hofer, Alpinist.it
Alm-Biwak auf der Villanderer Alm: Dem Himmel ein Stück näher. Foto: Matthias Hofer, Alpinist.it

Im südlichen Eisacktal wartet auf sportliche Gäste ein einzigartiges Naturerlebnis mit permanentem Dolomitenblick: Mit den Schneeschuhen geht’s auf die Alm, übernachtet wird im Biwak-Zelt.

Plötzlich ist es still. Der scharfe Wind, der eben noch ununterbrochen Eiskristalle auf die Zeltwand schoss, hat sich mit einem Mal gelegt. Die Ruhe tut gut. Und mit einem Mal geht das Einschlafen wie von selbst, hier oben im kleinen Biwak-Zelt auf rund 2065 Metern Meereshöhe. Eingemummelt in zwei fette Schlafsäcke ist es sogar schön warm, trotz der Eiskristalle, die bei Minus 18 Grad Außentemperatur die Innenseite des Zelts bedecken. Alm-Biwak-Camp heißt das Abenteuer, dass der Tourismusverein Klausen, Barbian, Feldthurns und Villanders seinen Gästen nun im zweiten Jahr hintereinander anbietet. Versprochen wird den Gästen ein unverfälschtes Südtiroler Naturabenteuer. Und das ist es auch – von Anfang bis Ende.

Start des zweitägigen Camps ist morgens um zehn Uhr bei der Gasserhütte (1.756 m), oberhalb des Örtchens Villanders, die noch mit dem Auto erreichbar ist. Wer pünktlich da sein möchte, nächtigt am besten tags zuvor dort im Granpanorama-Hotel Stephanshof, von dessen Balkonen man bereits einen kleinen Vorgeschmack auf die bevorstehende Ausblicke auf zahlreiche Dolomitengipfel bekommt.

Schneeschuh-Einweisung durch Ski- und Bergführer Hias

Schneeschuhwandern auf der Villanderer Alm: Unterwegs zwischen Latschen und Zirben, Foto: Heiner Sieger, schönessüdtirol.de
Schneeschuhwandern auf der Villanderer Alm: Unterwegs zwischen Latschen und Zirben, Foto: Heiner Sieger, schönessüdtirol.de

Matthias Hofer, Villanderer Ski- und Bergführer, gibt der Gruppe von zehn Personen an der Gasserhütte eine kleine Einweisung in die Nutzung der Schneeschuhe. „Hias“ steht auf seiner selbstgestrickten Wollmütze und so will er auch gerufen werden. „Wir machen jetzt erst mal eine kleine Runde zum Aufwärmen und steigen dann gemächlich durch den Wald zur ersten Station auf, der Mair in Plun-Hütte. Dort gibt’s a Kloanigkeit zum Essen“, erzählt er. „Von da gehn mir weiter zu unsern Biwak-Zelten bei der Stöffl-Hütte.“ Nachdem alle Stöcke richtig eingestellt sind geht’s auch schon los.

Zum Glück hat der Winter Mitte Januar doch noch Einzug im südlichen Eisacktal gehalten und so haben wir reichlich Schnee unter den breiten Tatzen. Der knirscht ordentlich während der knapp zweistündigen Wanderung auf kleinen Pfaden durch den Lärchen- und Zirbenwald. Jeder geht in seinem eigenen Rhythmus. Anstrengend ist es noch nicht, aber hier geht es ja auch nicht um Tempo-Rekorde sondern um den puren Naturgenuss. Immer wieder bleibt Hias stehen und wartet, bis die Hinteren aufschließen. Die Schneekristalle glänzen in der wärmenden Vormittagssonne und die Zirben verströmen ihren typischen Duft. Die frische Luft tut gut. Am Wegesrand steht ein kleines Marterl und ruft den Wanderer zum Gedenken auf. „Am 20. August 1900 verunglückte hier Josef Scheibenstock. Er verletzte sich durch die Sense u. starb an Verblutung. Man bitte um ein Vaterunser.“ So etwas Anrührendes findet man wohl nur in Südtirol.

Nach der Mair in Plun-Hütte wird es ernst

Marterl am Wegrand: "Man bitte um ein Vaterunser", Foto: Heiner Sieger, schönessüdtirol.de
Marterl am Wegrand: “Man bitte um ein Vaterunser”, Foto: Heiner Sieger, schönessüdtirol.de

Auf der Mair in Plun Hütte stärkt sich die Gruppe mit ein paar Schmankerln wie Spinatknödeln, Bratkartoffeln mit Speck und Spiegelei, dazu einen würzigen Krautsalat. Der eine oder andere nimmt noch die Einladung der Wirtin an und kippt einen selbst aufgesetzten dunkelbraunen Nusseler, den typischen Südtiroler Walnuss-Schnaps. Dann wartet die nächste Etappe, die schwierige, spannendere und teilweise atemberaubende Wanderung auf die Stöffl-Hütte. Nach etwa 15 Minuten macht Hias, der auch Ausbilder der Südtiroler Bergrettung ist, halt und ruft die Gruppe zusammen. „Jetzt wird es ernst“, lacht er. „Von nun an müssen wir gut zusammenbleiben, wir kommen in offenes Gelände. Die Stärkeren gehen am Besten gleich hinter mir und treten eine Spur für die anderen.“

Villanderer Alm: Die Granden der Dolomiten sind zum Greifen nah, Foto: Matthias Hofer, Alpinist.it
Villanderer Alm: Die Granden der Dolomiten sind zum Greifen nah, Foto: Matthias Hofer, Alpinist.it

Die Landschaft verändert sich schlagartig, denn wir haben die Baumgrenze erreicht. Fortan stellen sich nur noch vereinzelte Latschenbüsche dem eisig-frischen Wind in den Weg. Wir verlassen die gespurten Wege und steigen in tiefen Schnee ein.

Und es wird auch gleich steiler. Nach den ersten Schritten ist klar, was Hias gemeint hat. Je näher man im Windschatten des Vordermannes bleibt, desto angenehmer. Die Mütze tief ins Gesicht und den Schal bis zur Sonnenbrille hochgezogen, arbeiten wir uns Schritt für Schritt voran. Ab jetzt ist es richtig sportlich, aber auch nicht unangenehm. Nur ein völlig neues Gefühl, fast schon meditativ. So ähnlich müssen sich Bergsteiger wie Reinhold Messner auf ihren Touren auch fühlen. Allein mit sich und seinen Gedanken, der Sonne, dem Schnee und dem Wind, der durch die Ösen der Skijacke pfeift, stapft man konzentriert bergan.

Ziel in Sicht: Die Stöffl-Hütte auf der Villanderer Alm, im Hintergrund Sellastock Langkofel und Plattkofel, Foto: Heiner Sieger, schönessüdtirol.de
Ziel in Sicht: Die Stöffl-Hütte auf der Villanderer Alm, im Hintergrund Sellastock Langkofel und Plattkofel, Foto: Heiner Sieger, schönessüdtirol.de

Die Granden der Dolomiten sind zum Greifen nah

Alle fünfzehn Minuten etwa legt Hias eine Pause ein, jede ein Erlebnis. Denn jetzt, bereits über den Bäumen, lässt sich das einzigartige Dolomitenpanorama noch besser genießen. Vom Peitlerkofel über die Geislerspitzen, Schlern, Sellagruppe, Lang- und Plattkofel bis zu Rosengarten und Latemar sind fast alle Granden des Weltnaturerbes zum Greifen nah. „Die Villanderer Alm ist optimal geeignet zum Schneeschuhwandern. Sie ist nicht so steil und man kann immer wieder neue Spuren gehen“, sagt Hias.

Er kennt sich aus, denn als junger Bursch war er hier oben, auf der drittgrößten Hochalm Südtirols, jahrelang als Hirte unterwegs. Heute, als Bergführer, nimmt er voller Stolz Touristen zu den schönsten Plätzen seiner Heimat mit.

Über sanfte Hügel, durch leichte Senken und weite Schneefelder nähert sich die Gruppe nach etwa drei Stunden dem Ziel. Auf einer Kuppe hinter der Stöffl-Hütte hat Hias fünf knallrote Zweier-Biwak-Zelte aufgebaut. Das Thermometer zeigt jetzt um halb fünf Minus zwölf Grad. Hier darf jeder, der möchte, die Nacht verbringen. Als Ausweichstation dient das Bettenlager in der hundert Meter entfernten Hütte. Und dahin geht es dann auch zum Aufwärmen, nachdem alle noch das zarte rosa Abendlicht über den Dolomiten nach dem Sonnenuntergang genossen haben.

Abendstimmung über der Stöffl-Hütte, Foto: Heiner Sieger, schönessüdtirol.de
Abendstimmung über der Stöffl-Hütte, Foto: Heiner Sieger, schönessüdtirol.de

In der Stöffl-Hütte wird es richtig zünftig

Hier wird es dann bei Bier, Rotwein und einem feinen Vier-Gänge Menü richtig zünftig. In der urigen Hütte feiert gerade eine Gruppe Einheimischer, darunter der Eisacktaler Mundartsänger Sepp Messner-Windschnur, einen Geburtstag. Natürlich muss der Sepp zu vorgerückter Stunde einige seiner Lieder auf der Gitarre zum Besten geben. Als er „Helau, helau mein Land Tirol, Du bist mir alles wert“ anstimmt, klatscht und singt die ganze Hütte beseelt mit.

„Bei der Idee des Alm-Biwak ging uns darum, eine Initiative zu schaffen, die die Besonderheiten unserer Landschaft und Almgastronomie zusammenführt, die naturnahe Bewegung als Hauptthema hat und es jederman und jederfrau ermöglicht, in der wunderbaren Natur etwa ganz Besonders zu erleben, ob bei einer leichten oder einer mittelschweren Tour“, erzählt Alex Hamberger, Direktor des Tourismusvereins. „Der Kontakt mit der Natur bedeutet ja immer auch ein sich selbst entdecken. Und das ist an diesen Wochenende für die Gäste das eigentliche Ziel.“

Drei Schlafsäcke sind wärmer als einer

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Ski- und Bergführer Matthias Hofer war als Bub Hirte auf der Villanderer Alm, Foto: Heiner Sieger, schönessüdtirol.de

In der Tat. Der Höhepunkt der Selbstentdeckung beim Alm-Biwak steht dann irgendwann auch bevor.

Nach einer Unterweisung in der richtigen Nutzung der drei Schlafsäcke – ein dünner Inneninnen-Schlafsack aus Baumwolle sowie ein weiterer Innenschlafsack und ein überdimensionaler Außenschlafsack, der bis über den Kopf reicht – führt Hias die mit Stirnlampen und den Schlafsäcken gerüsteten Teilnehmer zu den Zelten. Inzwischen hat es 18 Grad Minus. Eisiger Wind peitscht über die Kuppe. In der Ferne zeichnen die Zacken der Dolomiten bizzare Formationen in den Nachthimmel. Doch dafür haben die Meisten jetzt kein Auge mehr. Die Zelteingänge müssen vom Schnee freigeschaufelt werden. „Ihr müsst von drinnen den Außenreißverschluss bis unten zuziehen, sonst weht es Euch den Schnee herein“, gibt Hias vorm Schlafengehen noch einen letzten wichtigen Rat.

Bergführer Hias schaufeld das Biwakzelt frei, Foto: Heiner Sieger, schönessüdtirol.de
Bergführer Hias schaufeld das Biwakzelt frei, Foto: Heiner Sieger, schönessüdtirol.de

Dann verschwindet einer nach dem anderen in seinem Zelt. Kaum zu glauben, aber wenn man sich einmal in den drei Schlafsäcken zurecht gefunden hat, ist es auf einen Schlag richtig warm und die erste winterliche Biwak-Nacht wirkt gar nicht mehr so feindselig wie eben noch im windigen Freien. Dann kommt der Schlaf.

Der Morgen danach ist ein erhebendes Gefühl. Ich stecke den Kopf aus dem Zelt, spüre die Kälte und bin hingerissen, von dem was ich sehe: eines der schönsten Naturschauspiele – über den Dolomiten geht gerade die Sonne auf und bestrahlt einen neuen Tag. Ergriffen genieße ich den Blick – und fühle mich auf meinem frostigen Logenplatz dem Himmel ein Stück näher.

Die Recherche wurde unterstützt durch den Tourismusverein Klausen, Barbian, Feldthurns und Villanders.


Zusatz-Info:

Das Camp wird rund um die Uhr durch ausgebildete Ski- und Bergführer betreut, die Verköstigung erfolgt in der nahe gelegenen Stöfflhütte, die auch als Rückzugsort dient. Das Paket ist ab einer Übernachtung und pro Person buchbar.

Wer zwei Nächte bleibt, startet zu einer weiteren geführten Schneeschuhtour auf den Jocherer Berg (2.390 m) oder die St. Kassianspitze (2.581 m).

Erstmals können auch Kinder beim Naturabenteuer auf der Villanderer Alm dabei sein – mit Übernachtung im Bettenlager in der Stöfflhütte und Kinderbetreuung an den Wochenenden. Schneeschuhe und Stöcke gibt es kostenlos zum Ausleihen, die Ausrüstungsliste und alles weitere auf www.biwakcamp.com.

Die Stöffl-Hütte im Morgendunst, Foto: Heiner Sieger, schönessüdtirol.de
Die Stöffl-Hütte im Morgendunst, Foto: Heiner Sieger, schönessüdtirol.de

 

 

 

 

 

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Heiner Sieger

Autor Kurzvorstellung:

Seit 40 Jahren Journalist schreibe ich über aktuelle und brisante Themen in den Bereichen Digitalisierung, Wirtschaft, Gesundheit und Reise. Nach Stationen bei renommierten Tageszeitungen und Magazinen bin ich heute hauptberuflich beim WIN-Verlag in der Vogel Communications Group Chefredakteur der Magazine Digital Business Cloud, E-Commerce-Magazin und Digital Health Industry. Meine private Leidenschaft gehört dem Thema Reisen. Und irgendwann wurde ich dann auch Chefredakteur von Reise-Stories. So oft es der Beruf erlaubt, bewege ich mich Richtung Berge und Meer, stelle Restaurants und Hotels auf die Probe und entdecke Entertainment ebenso wie ruhige und unendeckte Fleckerl.

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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