Biker, Kaiser und Tod

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Der Kyffhäuser in Thüringen

Ein Ort voller Projektionen. Und es sind die unterschiedlichsten gedanklichen Entwürfe, die man sich hier vorstellen kann. Zwei seien gegenübergestellt. Da sind zunächst die Biker. Man trifft sie auf der Straße, bergauf und bergab, die Räder ihrer laut röhrenden Gefährte liegen in den Kurven so schräg auf dem Teer, dass die Masse einer zerquetschten Fliege vielleicht genügt, den Rädern den Halt und den Bikern das Leben zu nehmen. Passiert oft genug, dass was passiert. „Schwerpunkt beim Unfallgeschehen auf der B85 im Bereich des Kyffhäusergebirges bleibt der Nordhang mit den 36 Kurven“, sagt der Unfallbericht. Die Verwaltungsbehörden Thüringens versuchen Jahr für Jahr erneut, sich als Schutzengel der Biker und der durch den Lärm genervten Einheimischen und Touristen zu generieren, und sperren an bestimmten Tagen die Straße zum Kyffhäuser. Der Verband der Biker, auch er in der angenommenen Funktion eines Schutzengels versucht, genau das regelmäßig im Klagewege zu verhindern. Es gehe doch nur um die „schwarzen Schafe“, die es auszusortieren gelte, teilt er mit. Da wir an diesem Tag nur Biker gesehen haben, die sich um Verkehrsregeln, um Überholverbote und Geschwindigkeitsbeschränkungen, so viel wie ein schwarzes Schaf scherten, muss der Verband da etwas falsch verstanden haben. Im „Burghof Denkmalwirtschaft“ haben wir die Umsorgten getroffen, ohne Integralhelm und oft auch ohne Jacke, so dass man die Tattoos auf ihren oft weniger schön als ausgreifenden Körpern bewundern konnte. Bekanntlich sollen Tattoos externe Gefahren für das eigene Wohlbefinden bannen. Zu wessen Denkmals-Füßen sie das Bier in ihre verzierten Körper gossen, war wohl nur den wenigsten bekannt. Dabei hatte der Schöpfer des Kyffhäuser-Ehrenmals einiges mit ihnen gemein. Wilhelm I, erster Kaiser der nach den Einigungskriegen geeinten Deutschen, der sich gerne von den Geschichtsschreibern „der Große“ hätte nennen lassen, wollte auch hoch hinaus – wie sie – auf die Spitze des Kyffhäusergebirges, von wo aus er einen nahezu kompletten Rundblick über „sein Reich“ hatte, und wie die Biker wollte er den Tod nicht durch die Befolgung von Sicherheits-Regeln zwingen, das machen Untertanen, die man heute Loser nennt, auch nicht durch Bemalung des eigenen Körpers, dann hätte er ihn ja ohne Rüstung zur Schau stellen müssen, sondern durch Darstellung einer Ahnenfolge über die Jahrhunderte. Unten, im Sockel des Kyffhäuser-Denkmals als Relief Friedrich I, Barbarossa, darüber zu Pferd er selbst, Wilhelm I. Oben, zum in den Himmel ragenden Abschluss, die deutsche Kaiserkrone, Symbol eines für die Ewigkeit geschaffenen Reiches. Auch wenn der Hohenzoller sicherlich nicht wusste, was ein Biker ist, uns sterblichen Nachgeborenen sind die Beziehungen evident: Die Kaiserkrone ist der Motorradhelm, Wilhelm auf dem Pferd ist der Biker selbst auf seiner Maschine. Und Ahnvater Friedrich I ist das eigene Idol. Denn was gibt es stolzeres unter dem helmbewehrten Haupt als einen möglichst langen, roten Bart? Und genau das heißt „barba rossa“, Rotbart. Der Verband der Biker könnte sich mit einer entsprechenden Erklärungshilfe nützlich machen. Sinnvoll wäre auch, darauf hinzuweisen, dass Kyffhäuser nicht von Kiffen kommt, sondern von Cuffese, was Kopf bedeutet. Aber wer braucht sowas schon, wenn er über dem Körper einen Integralhelm hat – oder eine Krone. Und noch einen Hinweis könnte der Verband geben, den auf eine Zukunfts-Projektion: Kaiser Barbarossa in seinem nahe gelegenen Grab wartet zwar auf seine Erweckung, wenn die krächzenden Raben verschwunden sind. Aber mit Motorradlärm ist das nicht zu schaffen, und ein Adler auf der Motorradjacke genügt nicht. Der Schalldämpfer kann also im Auspuff bleiben, und der Kaiser muss auf einen echten Adler warten, der die Raben verscheucht. Erst dann kann er sein Grab verlassen und oben auf Erden Ordnung schaffen.
Die 16-teilige Serie findet Eingang in eine Foto-Text-Ausstellung „Gesichter Deutschlands“ im öffentlichen Raum in Gräfelfing und in einen Katalog mit gleichem Namen. Der Katalog „Gesichter Europas- eine Reiseliebe“ ist mit der ISBN 978-3-942138-67-3 über die Buchhandlungen oder direkt beim GRÄV-Verlag zum Preis von 15 Euro zu beziehen.
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Hans-Herbert Holzamer

Autor Kurzvorstellung:

Freier Journalist und Autor

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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