Die „drey scheenschte Dääg“ im Jahr sind spannend anders als Karneval und Fasching.
Von Norbert Linz (Text und Bild) ///
Bild oben: kilometerlang der Zug beim Morgenstreich
Gespannte Ruhe. Tausende warten auf den 4-Uhr-Schlag der Turmuhr des Basler Münsters. Hunderte Fasnachtscliquen in fantasievollen Kostümen und Masken harren, in Formation aufgestellt, in den engen Gassen der Altstadt auf das Kommando ihres Tambourmajors. Jetzt! Schlagartig wird die Straßenbeleuchtung der ganzen Innenstadt abgeschaltet. Das Kommando ertönt: „Morgestraich, vorwärts, Marsch!“
Der Vortrupp mit Stecklaternen und der bis zu vier Meter hohen „Zuglaterne“ in Form einer beleuchteten Plakatwand setzt sich langsam in Bewegung. Auf ihr steht das „Sujet“, ein mit Ironie und Biss behandeltes aktuelles Thema. Es folgen zum Takt der Trommeln die hellen Pfeiftöne der Piccoloflöten.
So eine Clique kann schon mal über 60 Personen umfassen. Im Dunkeln schauen sie aus wie Glühwürmchen: Jeder trägt auf der Kopfmaske eine farbige Mini-Laterne, ein „Kopfladäärnli“. Beim getragenen Rhythmus der Fasnachtsmärsche bewegen sich die Cliquen im Landsknechtsschritt, 90 Schritte pro Minute, fast feierlich durch die dunklen Straßen.
An den Rändern in dichten Reihen die „Zivilisten“: ungeschminkt, ohne Pappnasen und Narrenkappen. Keiner schunkelt, keiner grölt – so sehen es die Spielregeln vor.
Diese erläutert Felix Rudolf von Rohr, langjähriger Obmann des Basler Fasnachts-Comités. Mit dem stimmungsvollen Morgenstreich am Montag nach Aschermittwoch beginnt mit 200.000 Besuchern die größte Schweizer und die einzige protestantische Fasnacht der Welt. Wie für viele Basler sind es auch für den Obmann die „drey scheenschte Dääg“ (drei schönsten Tage) im Jahr. Es beteiligen sich über 20.000 Masken in ca. 500 Cliquen. Unüberhörbar mit dabei sind die gut sechzig Guggenmusiken, personenstarke Blasorchester in ausgefallenen Kostümen.
Sie haben am Montag wie am Mittwoch Nachmittag ihren großen Auftritt bei den Umzügen, hier „Cortège“ genannt. Eine besonders originelle „Guggemusig“ sind die „Glaibasler Schränz Brieder (Kleinbalser Blasbrüder). Ihr imposantes Stammkostüm „Alte Tante“ in Pink und Schwarz karikiert eine Biedermeier-Dame aus der Oberschicht mit elegantem Reifrock. Diese pompöse Kostümierung koste jeden Mitspieler etwa 1000 €, erklärt in einer Spielpause am Straßenrand Posaunist Michel. Die Clique macht schon seit 1961 Musik und hat um die 50 aktive Mitglieder. Schmunzelnd ergänzt er: In dieser Maske merke niemand, dass die meisten Musiker Männer sind…
an der Piccoloflöte – früh übt sich …
Bei der Cortège kommen von den zahlreichen Themenwagen Räppli-Wolken (Konfetti) und ein Dääfeli-Regen (Bonbons). Die Zuschauer werden mit Orangen und Mimosen-Sträußchen als Frühlingsvorboten beschenkt. Nicht zu zählen sind die vielen Cliquen der Trommler und Pfeifer. Sie haben ihre individuellen Auftritte am Dienstagabend nach dem Kinderumzug im „Gässle“. Während die lauten „Gugge“ auf den großen Plätzen Konzerte geben, streifen die Cliquen ohne Plan pfeifend und trommelnd durch die malerischen Altstadtgassen am Spalenberg und Münsterhügel. Für viele das absolute Highlight der Fasnacht.
Nicht selten kommt es regelrecht zu Staus bei der Vielzahl der Spielmannszüge. Geduldig warten sie musizierend, bis sie weiter marschieren können. Mit dabei auch Kleinstgruppen, von den Baslern liebevoll spöttisch „Schyssdrägg-Zygli“ genannt. Fast berührend wirkt es, wie einzelne Trommler unerkannt allein ihre Runden ziehen.
In der Bäumleingasse pfeifen einige Hexen mit schwarzem breitkrempigem Schlapphut und spitzer weißer Nase einen ihrer 20 Märsche. Sie nennen sich „Le Befane“, die guten Hexen.
Welche Überraschung, als sie für eine Verschnaufpause ihre Larven, so heißen hier die Masken, abnehmen. Es kommen neben fröhlichen Frauen auch Männer zum Vorschein. Etwa Daniel, ein Software-Entwickler, der seit elf Jahren dabei ist. Astrid, eine Kindergärtnerin, gibt dem guten Dutzend Hexen jede Woche Piccoloflöten-Unterricht. Und erzählt vergnügt, dass man beim Gehen und Spielen in der Maske in einen „Flow“ gerät, der unglaublich entspannt.
In der Nähe liegt der Münsterplatz mit „dLatäärne-Usstellig“, der riesigen Laternen-Ausstellung. Vor allem abends wirkt sie eindrucksvoll durch die Beleuchtung. Die Menschen drängeln sich durch die Reihen der aufgestellten Plakat-„Laternen“, diskutieren die im Dialekt aufgezeichneten kritischen Themen aus Politik, Kultur und Gesellschaft und freuen sich an Pointen und „Versli“.
Einen starken Spiegel der Gesellschaft liefern die „Schnitzelbänggler“, die in kleinen Grüppchen – es gibt rund Hundert – in den Abendstunden von einem Cliquenkeller zum nächsten ziehen. Vollmaskiert genießen sie in ihrer Anonymität Narrenfreiheit. Nach Art der mittelalterlichen Bänkelsänger singen sie, von einer Gitarre begleitet, in Basler Mundart ihre Spottverse. Illustriert wird der „Bangg“ mit Bildtafeln, den „Helgen“.
Eine bekannte Schnitzelbank sind „D Stroofrichter“, die zu Fünft in schwarzer Amtsrobe, mit weißer Gesichtsmaske und riesiger Wuschelperücke auftreten. Der Texter ist seit 25 Jahren Rolf Zwicky, von Beruf Verkaufstrainer. Zum „Brain Trust“, wie er es nennt, gehören die mit auftretenden Söhne Tobias und Fabian, an der Gitarre Freund Thomas.
Eine wichtige Rolle hat noch Lut mit dem Stab, der Helgen-Anzeiger. Die Strafrichter treten jeden Abend etwa in acht Lokalen auf. Schallendes Gelächter nach der Pointe fast jeder Strophe. Zum Schluss verteilen sie ihre langen „Zeedel“, die geistreiche Persiflage zum Nachlesen – wie „sinn-voll“ ist doch die Basler Fasnacht!
Information:
Die dreitägige Fasnacht beginnt immer am Montag nach dem Aschermittwoch.
www.basel.com
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Die Recherche erfolgte auf Einladung von Basel Tourismus.