In Zeiten des Krieges, der Bedrohung mit dem atomaren Armageddon, der alternativlosen Gewissheiten, mögen sie auch noch so irrsinnig sein, wird die Sehnsucht des gefühlsamen Menschen nach Romantik übermächtig. Und da fügt es sich, dass im nächsten Jahr ein Maler, Caspar David Friedrich, der ikonografisch diese Sehnsucht auf die Leinwand gebracht hat, seinen 250. Geburtstag feiert. Am 5. September 1774 wurde er in Greifswald geboren. Greifwald feiert deshalb das ganze nächste Jahr hindurch. Die Insel Rügen, wo einige seiner wichtigsten Bilder entstanden liegt in der Nähe. Am 7. Mai 1840 starb er in Dresden, nachdem er dort 40 Jahre als freischaffender Künstler lebte. Dresden feiert auch. In Kopenhagen wurde er zum Landschaftsmaler ausgebildet. Vermutlich feiern die Dänen auch. Dann feiern alle die, die mindestens ein Gemälde von ihm besitzen, Berlin etwa, auch Hamburg. Seine melancholischen Landschaften prägen das Bild der „deutschen Innerlichkeit“. Vielleicht feiern die Dänen doch nicht.
Mystiker oder Romantiker
Dabei weiß man wenig über ihn, und gestritten wird auch. Malte er eigenes Erleben, sind es verklausulierte Kommentare zur Politik seiner Zeit? Ist er ein religiöser Mystiker, ein verklärter Romantiker und Wegbereiter eines modernen Realismus?
Mehr als 300 Bilder hat er gemalt, viele gingen beim Untergang Dresdens verloren, einige beim Brand des Glaspalastes in München.
Ein berühmtes Bild taucht die Kirchenruine in Oybin in ein abendliches, märchenhaftes Licht. Zwar macht das Museum, das die Burg und das Kloster umfasst, um 18:00 Uhr zu, mit einer romantischen Reminiszenz an den großen Meister, Sohn eines Seifensieders und Kerzenziehers, in der Dämmerung wird also nichts. Aber die Mauern und Bögen, die Gänge und Hallen ergreifen auch bei Tageslicht die sehnsüchtige Seele. Und ziehen sie magisch hinein in die Zittauer Berge. Sie erinnern an die Capillas imperfectas des portugiesischen Klosters von Batalha und sind doch mystischer. Vielleicht sollte man Kirchen generell ohne Dach bauen.
Zur Reise nach Oybin bietet sich an die Zittauer Schmalspurbahn, gezogen von einer alten Dampflok. Sie verbindet Zittau mit Jonsdorf und Oybin, benötigt 43 Minuten, die Fahrt mit ihr ist schon selbst ein romantisches Erlebnis, aber ihr Fahrplan ist nicht regelmäßig und daher schwer kalkulierbar. Dann gibt es den Bus der Linie 16, der eine knappe halbe Stunde braucht.
Friedrich ging zu Fuß
Maler Friedrich ging übrigens von Dresden aus zu Fuß, erkundete das Elbtal, die Sächsische Schweiz und das Zittauer Gebirge. Voller Eindrücke, die er auf Skizzen und Aquarellen bannte, wanderte er zurück nach Dresden. So geht die Mär, das Kutsche Fahren war ihm angeblich zu schnell. Im Atelier entstanden dann die Bilder, die unsere Sehnsucht auslösen, auch diejenige, auf seinen Spuren zu wandeln – wenn auch mit der Bahn oder dem Bus. In Dresden gründete Caspar David seine Familie, hatte drei Kinder. Auf dem Trinitatisfriedhof ruht er sich aus.
Allein der Fußmarsch vom Parkplatz in Oybin hinauf zur Ruine ist für den Untrainierten schon eine Plage. Er führt an einigen Lokalen vorbei, die alle rufen, „kehre hier ein, schenke dir die Mühsal, du bist nicht Caspar David“. Aber der Lohn der Mühe ist gewaltig. Einmal ist der Weg selbst, an bizarren Felsformationen des Zittauer Gebirges vorbei, abenteuerlich. Der Blick zurück erfreut sich an dem Grün der Wälder. „Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge siehest dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, daß es zurückwirke auf andere von außen nach innen.“ Diese Empfehlung des Künstlers mag gelten, wenn man in der Kirche dann einen festen Stand hat, für den Aufstieg ist sie nicht empfehlenswert. Es gibt auch einen Pfad durch die Ritterschlucht und sogar einen Kletterweg zur Burg. Hierfür benötigt man einen kundigen Führer und Übung im Klettern. Nichts für mich, ich bin nicht schwindelfrei.
Ist man nach dem „normalen“ Treppenaufstieg auf dem Oybin, der Berg heißt wie der Ort, sieht man in der Ferne zwar das Braunkohlewerk Turów in Polen, aber es ist nur ein kurzer Blick in eine völlig unromantische Welt. Dann löst man das Ticket und betritt eine Welt, die indes nicht nur die des Caspar David Friedrich ist, sondern auch die des Kaisers Karl IV.
Haus eines Kaisers
Ein Kaiser hier? In der Klosterkirche und der Burg kündigt nichts von kaiserlicher Pracht. Nur kahler, profaner Stein der Wände, Gänge und die Bögen der riesigen Kirchenfenster. Goethe verglich sie mit Gedichten. So sitze ich in dem Kirchenschiff, alleine, blicke durch die leeren Bögen in den blauen Himmel. Die Sonne überträgt das Bild eines Bogens auf die Wand zu meiner Linken, so dass ein gelbes Fenster entsteht. Hier in der Kirche finden gelegentlich Konzerte und jedes Jahr die „Kaiserweihnacht“ statt. Auch zum 700. Geburtstag von Kaiser Karl IV. am 14. Mai 2016 war Trubel im gotischen Gemäuer. Doch jetzt ist es still. Am Ziel der Sehnsucht bin ich alleine, warte, dass mir Goethe ein Gedicht erzählt, und rekapituliere im Kopf, was ich mir angelesen habe, bzw. was davon noch übrig ist.
Kaiser Karl IV. war einer der bedeutendsten Persönlichkeiten des Spätmittelalters, seine Eltern sind der böhmische König Johann von Luxemburg und dessen Gemahlin Elisabeth von Böhmen. Mit 18 ernennt ihn sein Vater zum Markgrafen und er darf aus Paris, wo er zur Erziehung weilte, nach Böhmen zurückkehren. 1346 wird er zum König des Heiligen Römischen Reiches ernannt, nach dem Tod seines Vaters erhält er auch die Krone von Böhmen. Die Kaiserkrönung schließlich datiert auf das Jahr 1355.
Jetzt verstehe ich auch, warum so viele tschechische Besucher mir auf dem Weg zum Oybin begegneten. Karl IV ist auch und vor allem Teil ihrer Geschichte. Nach seinem Tod ging´s bergab: „Das einst hochgerühmte Königreich Böhmen schien die Gunst Gottes verloren zu haben“, schreibt der Chronist. Am 29.November 1378 stirbt der Kaiser an den Folgen einer Lungenentzündung.
Die Burg auf dem Oybin war eine Raubritterburg, bis Karl IV dort aufräumte. 1366 überließ er die Stätte dem Orden der Cölestiner. Dieser baute neben der Burg ein „Kaiserhaus“ und das Kloster, die der Kaiser für seine letzten Tage nutzen wollte. Aber er stirbt in Prag.
Lange Zeit ist es dann so ruhig wie heute. Immerhin wehrte Oybin erfolgreich einen Angriff der Hussiten ab und schützte den Prager Domschatzes von St. Veit.
Reformation und Gegenreformation beendeten das Klosterleben. Ein Blitzschlag und ein Felsabriss besorgten den Rest.
In allem Gott erkennen
Dann kamen die Maler, der Hofmaler Friedrich August des Dritten, Alexander Thiele, dann Adrian Zingg, Caspar David Friedrich, Carl Gustav Carus, Carl Blechen und viele andere. Sie wollten als edle Menschen in der Faszination des Oybin „in allem Gott erkennen, der gemeine Mensch sieht nur die Form, nicht den Geist.“ So Caspar David. „In jedem Bild gibt es einen leuchtenden Punkt. Der muss allein bleiben. Man kann ihn hinsetzen, wo man will, in eine Wolke, auf eine Wasserspiegelung, auf eine Mütze. Aber wichtig ist, dass diese Lichtstärke dann an keiner anderen Stelle des Bildes wiederkehrt.“
Es fällt mir schwer, diesen einzelnen Punkt in den Ruinen festzumachen. Bis ich die Anlage kurz vor 18:00 Uhr verlassen muss, malt die Sonne Flächen des Lichts und des Schattens, aber keine Punkte. Caspar David Friedrich schuf im Alter von 66 Jahren das Bild „Der Träumer“ nach seinen Skizzen von den Ruinen des Klosters. Aber die gotischen Bögen sind für ihn nur Projektionsflächen seiner Gefühle, wie auch im „Wanderer über dem Nebelmeer“, für das er Skizzen aus der Sächsischen Schweiz verwandte. Er malte nicht realistisch. Sicherlich ist es gerade diese Überhöhung ins Mystische, die den Oybin so bekannt gemacht hat. Das Gemälde „Der Träumer“ zeigt einen Mann, der auf einem Fenstersockel in den gotischen Ruinen sitzt, dahinter luftige Bäume. Kritiker sehen in ihm einen Menschen, der „kollidierende Gedanken sowohl über seine Gegenwart als auch über seine Zukunft hat. Trotz dieses verheerenden Zustands zeigt das Gemälde, dass der Mann niemanden hat, auf den er sich stützen kann.“ Obwohl ich das nicht in dem Bild sehe, respektiere ich jede Meinung, zumal sich viele Künstler von Caspars David Friedrich haben inspirieren lassen, ihrerseits ihre romantischen Gefühle in Bilder zu fassen. Daher halten ihn einige für den „größten deutschen Künstler aller Zeiten“. Dabei fanden seine Bilder zunächst keine Anerkennung. Warum sieht man seine Figuren von hinten und nicht ihnen ins Gesicht? So lautete die Kritik. Während des 18. Jahrhunderts fand seine Botschaft kein Echo. Stille und Natur waren nicht die Themen dieser Zeit. Dies änderte sich im 19. Jahrhundert.
Grimms Jungfernsprung
Ich habe die Kirchenruine verlassen und versuche mich, in den Resten der Burg zu orientieren. Denn hier spielt eine Sage, die von den Brüdern Grimm in dem Märchen „der Jungfernsprung“ verarbeitet wurde. Sie erzählt von einem lüsternen Mönch und einer Jungfrau, die vor ihm geflohen ist. Sie musste sich entscheiden, ob sie ihr Leben oder ihre Jungfräulichkeit opferte, entschied sich gegen das Leben und stürzte sich von einem Felsen. Sie überlebte. Es gibt diese Geschichte in drei Variationen.
Den Felsen der standhaften Jungfrau finde ich nicht, dagegen den Weg zurück in den Ort und kurz vor dem Parkplatz des Busses mit der Nummer 16 in eine Wirtschaft, die mir müdem Wanderer wie gerufen kommt.
Jeder, der im nächsten Jahr an Feiern zu Ehren Caspar David Friedrichs 250. Geburtstag teilnehmen kann, darf sich freuen, vor allem natürlich, wenn er sie hier in Oybin erlebt. Das Finale wird die Sonderausstellung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden „Caspar David Friedrich in Dresden“ bilden. Es wird von der Hamburger Kunsthalle, der Alten Nationalgalerie Berlin und den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ausgerichtet. Und im Jahre 2025 folgt eine große Retrospektive in New York.
Das Originalgemälde des Träumers, das „Ruinen des Oybin-Klosters“ heißt, ist im Besitz der Eremitage in St. Petersburg, Russland. Die wird gewisslich nicht feiern.
BU: Oybin, die Ruine der Klosterkirche; Copyright: hhh