Der größte Feind des chinesischen Grenzsoldaten auf dem Wachturm ist nicht das gegenüberliegende Russland, sondern die Einsamkeit. Solch treffende Statements ziehen sich durch das hochinteressante Buch. In der Ich-Form beschreibt der Autor seine persönlichen Erlebnisse in öffentlichen Verkehrsmitteln, beim Besuch von Familien und Instituten in bekannten Städten oder verlassenen Dörfern der Region.
Am Amur stoßen auf einer Länge von zweitausend Kilometern China und Russland aufeinander. Sören Urbansky ist vom Baikalsee bis zum Japanischen Meer durch die abgelegene Grenzregion gereist. In seiner fesselnden Reportage vom «Schwarzen Drachen», wie die Chinesen den riesigen Grenzfluss zu Russland nennen, erzählt er mit untrüglichem Gespür für sprechende Details von den großen tektonischen Verschiebungen der beiden Imperien.
Wo der Norden Chinas sibirisch wird und der Südosten Russlands zunehmend chinesisch, stehen die beiden autoritären Staaten Rücken an Rücken zueinander. Bis zum Zweiten Weltkrieg rangen hier Sowjetunion und Japan um Vorherrschaft. Auf der Suche nach Spuren der Geschichte ist Sören Urbansky auf eine erstaunliche chinesisch-russische Gegenwart gestoßen. In seinem wunderbar anschaulich erzählten Buch berichtet er von prosperierenden chinesischen Metropolen auf der einen Seite und erstarrten russischen Orten auf der anderen Seite des Flusses – vor wenigen Jahrzehnten war das Gefälle noch umgekehrt. Er besucht Städte wie Harbin im Nordosten Chinas, einst «Moskau des Ostens», und Wladiwostok, das erträumte russische San Francisco, und ist zu Gast bei einfachen Menschen, die fließend Chinesisch und Russisch sprechen und ihre Soljanka mit Stäbchen schlürfen. Sein einfühlsamer Bericht kommt den Profiteuren und Verlierern der Grenze ganz nahe und erlaubt gerade dadurch ungewöhnliche Einblicke in den Zustand der beiden Großmächte und ihr spannungsvolles Verhältnis.
Der Autor Sören Urbansky leitet das Pacific Regional Office des Deutschen Historischen Instituts in Washington. Er studierte, forschte und lehrte in Frankfurt a. d. Oder, Harbin (China), Kasan (Russland), Berkeley (Kalifornien), Peking, Cambridge, Freiburg und München.
Auf ansprechende Weise bei wachsamem Blick auf wichtige Szenen gelingt ihm ein spannender Reisebericht über eine wenig bekannte Region zwischen der Mongolei, China, Russland und Nordkorea.
Auch in der Bestenliste von ZEIT, ZDF und Deutschlandfunk Kultur:
Sören Urbansky: An den Ufern des Amur – DIE VERGESSENE WELT ZWISCHEN CHINA UND RUSSLAND
Verlag C.H.Beck; ISBN 978-3-406-76852-1, erschienen im Februar 2021, 375 S., mit 1 Karte, Hardcover Euro 26,- als E-Book Euro 19,99
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