Alles Abwärts – Erfahrungen in Leukerbad

„Dieser Weg war bis 1967 die Trasse der historischen Zahnradbahn-Verbindung von Leuk an der Rhone nach Leukerbad,“ erklärt David, als er mit seiner kleinen Radlergruppe und den E-Mountain-Bikes talwärts fährt. „ Für die Räder hätte sich wohl eine alternative Route gefunden, denn stellt Euch mal vor, was das für eine tolle, für Touristen spannende Bahnreise war.“ In den 60er und 70er Jahren jedoch wollte man von den alten und gewachsenen Substanzen nichts mehr wissen und richtete sich voll auf die Zukunft einer hochmodernen, boomenden Fremdenverkehrswelt aus. Dabei musste auch das in seinem Kern sehr idyllische Leukerbad so manche architektonische Bausünde erleiden, die im 21. Jahrhundert und mit dem heutigen Bewusstsein sicher zu verhindern gewesen wäre. Im Gasthof Sternen zeugen einige Schwarz-Weiss Fotos von der einstigen Bahngrandesse im traditionsreichen Walliser Thermalbad.

Die Kumme schlängelt sich talwärts
Die Kumme schlängelt sich talwärts

Der Radweg ist steil und steinig. Das Bremsen will wohldosiert sein, sonst blockieren die Reifen, wie es schon zuvor auf dem nassen Gras unterhalb von Albinen der Fall war. Doch ausgestattet mit Helm und etwas Geschicklichkeit konnte auch hier ein Sturz vermieden werden. Von Leuk führt die Route durch weitläufige Weinberge nach Varen. Hier endet der deutschsprachige Teil der Schweiz. Im nächsten Ort Rhone abwärts, Salgesch, wird bereits französisch gesprochen. Das Wallis stellt mit 40% der gesamten Schweizer Weine den größten Anteil der Weinproduktion des Landes, die zudem nur in geringem Umfang in den Export geht. „Das ist schade, denn unsere Weine sind eigentlich recht gut.“ Beata Wenger bewirtschaftet mit ihrer Familie einige Weinberge links und rechts der hier noch nicht kanalisierten Rhone, die jedoch nur im Nebenerwerb. Damit bleibt die Menge des hergestellten Weines überschaubar. Dennoch erstaunt die Vielfalt der angebauten, darunter einige sehr alter Rebsorten. „Unser Highlight ist vielleicht der süße Eiswein.“ Den serviert sie zum krönenden Abschluss der mittäglichen Brotzeit mit feiner Weinverkostung hochwertiger Rebensäfte für die angesichts der recht hohen Temperaturen und der guten Wetterbedingungen doch ein wenig ins Schwitzen gekommenen Biker.

Mit dem E-Bike auf der ehemaligen Bahntrasse
Mit dem E-Bike auf der ehemaligen Bahntrasse

Dann geht es strampelnder Weise wieder in die Höhe. Es gilt über zahllose Serpentinen und einige kurze Tunnels mehr als 700 Höhenmeter zu überwinden bis das 1411 Meter hochgelegene Leukerbad erreicht ist. Nun erweist sich der Hilfsmotor des Mountain-Bikes – Profis dürfen darüber gern die Nase rümpfen – als glorreiche Einrichtung, wenngleich dieser das Gewicht des Rades erheblich erhöht. Unter Zuschaltung des E-Antriebes mittels einfacher Tastaturbedienung am Lenker fliegen selbst ungeübte Radfahrer geradezu mit traumwandlerischer Leichtigkeit den Berg hinauf. Eine begrüßenswerte Einrichtung dabei ist die Möglichkeit den eingebauten Akku während der Fahrt aufzuladen. Verbrauchte Energie bremst man sich so quasi wieder zurück. Für eventuelle technische Defekte am High-Tech-Drahtesel sollte man allerdings einen Fachmann in Reichweite haben, sonst werden nämlich die Bergetappe zur echten Quälerei und der lokale Bus zur lebensrettenden Hilfestellung.

Der Belgier David erklärt die Schweizer Alpen
Der Belgier David erklärt die Schweizer Alpen

David aus dem belgischen Dendermonde beschreibt voller Enthusiasmus seine schweizerische Hochgebirgswahlheimat. Sein flämischer Akzent vermischt sich perfekt mit dem Walliser Schwyzerdütsch und niemand würde wohl darauf kommen, dass er ursprünglich dem westeuropäischen Flachland entstammt. Und längst ist er von den Einheimischen voll akzeptiert. Die staunten ein halbes Jahrhundert zuvor nicht schlecht als der amerikanische Schriftsteller James Baldwin 1951 im Ort auftauchte. Ein Farbiger in Leukerbad – ein ausgesprochen exotisches Bild, eine Sehenswürdigkeit. Doch Baldwin war mehrmals im Ort, logierte in einem der typischen Holzhäuser, die das romantisierte Schweizer Alpenidyll so nachdrücklich repräsentieren, und schrieb an seinem Roman „Go tell it on the Mountain“.

Brunnen mit Thermalwasser mitten im Ort
Brunnen mit Thermalwasser mitten im Ort

Leukerbad profitiert schon seit mehreren Jahrhunderten von der glücklichen geologischen Fügung gleich mehrere Thermalquellen zu besitzen, die der Mensch therapeutisch zu nutzen verstand. Das mit teilweise über 50 Grad heiße Wasser, speist diverse Kur- und Heilbäder, die problemlos den Übergang vom schnöden medizinisch verordneten Bad zu modernen Wellnessoasen schafften. Neben heißen Bädern locken Saunalandschaften, Badewelten, Wasserrutschen und Innen- und Außenpools vor beeindruckender Kulisse. Der bereits sehr frühzeitige Fremdenverkehr, der bis um das Jahr 1501 zurückverfolgt werden kann, verschaffte Leukerbad um 1889 als erstem Ort im Wallis die Versorgung mit elektrischem Strom. Verächtlich wird das 1.500 Seelen Städtchen, obwohl es der vermutlich größte Wellnessort der Alpen ist, gerne als Dorf im Loch verspottet, dabei dürfte jedoch einiger Neid mitschwingen, denn die einzigartige Lage umringt von mächtigen Felsmassiven ist mehr als sehens- und erlebenswert. Da stört es nur wenig, wenn die Sonne morgens etwas später den Dorfplatz erreicht und ihn abends vorzeitig wieder verlässt. Die Felsen ringsum glühen lange vor und nach, während zarte Wolkenfetzen sich hier und da sinnlich an die scharfkantigen Klippen schmiegen. Schon Thomas Cook, britischer Wegbereiter der modernen Gruppenreise, faszinierten vor 150 Jahren die außergewöhnlichen Besonderheiten Leukerbads.

Die Schafe haben keine Probleme beim Laufen, ihre zweibeinigen Begleiter schon eher
Die Schafe haben keine Probleme beim Laufen, ihre zweibeinigen Begleiter schon eher

Oberhalb von Leukerbad verläuft mit dem Gemmipass einer der historisch bedeutsamsten Alpenüberquerungen, den sich schon die Römer zu Nutze machten. In jüngerer Zeit waren es vor allem bekannte Schriftsteller von Goethe bis Mark Twain, die die Wege des Passes Wege querten und ihre Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke zu Papier brachten. Spektakulär präsentiert sich insbesondere der letzte steile Abstieg aus 2.350 Metern hinunter zum Ort. Abenteuerlich bis halsbrecherisch gewundene, gleichzeitig sehr schmale Serpentinen führen hinab. Sie verlangen Bergwanderern hohe Konzentration und sicheres Auftreten ab. Twain beschrieb den Pfad als einen der merkwürdigsten Wege, den er je sehen hat, der sich in Korkenzieherkurven an ungeheuren Steilwänden talwärts windet, der Ellbogen rechts direkt am Felsen, während links das senkrechte Nichts gähnt. Anfang September kommt es alljährlich gerade hier zum großen Schafabzug. Gut 800 Schafe unterschiedlicher Rassen verbringen etwa drei Sommermonate auf den kargen Höhenweiden und werden gemeinsam über den Gemmipass talwärts getrieben. Dabei geht es so eng zu, dass die Tiere im Gänsemarsch hintereinander laufen müssen, aber auch wild umherspringen und ordentlich drängeln, um ihre gewohnte Gruppe wieder zu erreichen.

Das Etappenziel ist fast erreicht
Das Etappenziel ist fast erreicht

„Manchmal,“ berichtete Monika Duran, hauptberufliche Schäferin aus Leuk, „hängen dort oben auf den Bergen die Wolken so hartnäckig tief, dass wir nicht alle Schafe gleichzeitig herunter treiben können.“ Mit 120 Tieren stellt sie eine der größten Herden, die alle in und um Leuk beheimatet sind. Einen Zwischenstopp legt die blökende Karawane nach der lautstarken Überwindung des kurvigen Parcours zunächst auf einem Dorfanger am Ortsrand und anschließend auf dem Rathausplatz ein. Dabei kreuzt die wollene Karawane einmal quer durch den Ort, gesäumt von zahllosen Schaulustigen. Aufgewirbelter Staub, niedliches Glöckchengebimmel, Hufgetrappel und die eine oder andere klumpige Hinterlassenschaft vermischen sich mit dem Klicken zahlreicher Kameras bevor die Schafe den weitläufigen Pferch vor dem Rathaus erreichen, der schon reichlich Volksfestatmosphäre verströmt. Akkordeonspieler und Alphornbläser sorgen für den kulturellen Rahmen, während an diversen Ständen Speisen und Getränke angeboten werden. Monika Duran schwingt hier mit anderen Schäferfrauen das Zepter, reibt den aromatischen Raclette-Käse, der auf großen Grillöfen allmählich weich und geschmeidig wird, und röstet Bratwürste. Beata Wenger schenkt dazu ihren Wein aus. Gegen 16 Uhr ziehen die Vierbeiner, Hirten und Hütehunde weiter zu Tal. Dann aber ohne großes Publikum.

Frisch aufgeschnittener Raclette-Käse
Frisch aufgeschnittener Raclette-Käse

Info:
Schweiz allgemein: Schweiz Tourismus, Tel. 00800 100 200 30, www.MySwitzerland.com
Leukerbad: www.leukerbad.ch

Anreise:
Schnellste Verbindung aus dem Norden Deutschlands ist der Flug mit Swiss nach Zürich (www.swiss.com, Preis ab EUR 97) und Weiterfahrt mit den Zügen der SBB (www.sbb.ch). Eine Alternative kann auch die Anfahrt mit der Deutschen Bahn über Freiburg und Basel darstellen (www.db.de, Preis ab EUR 79).

Unterkunft:
Das Parkhotel Quellenhof liegt gleich gegenüber des modernen Thermalbades Alpentherme, mit dem Quellenhof-Pass bekommen die Gäste u.a. Zugang zur Therme und zu den Gemmibahnen, Skipass für den Torrent sowie ein 5-Gänge-Menü im hauseigenen, hervorragenden Restaurant. Mit etwas Glück führt der Chef des Hauses am Abend durch seine ausgewählten Korn- und Branntweinschätze, Preis für DZ ab SFR 176 (www.parkhotel-quellenhof.ch).

Essen und Trinken:
Im Restaurant Sternen in der Ortsmitte werden die typischen Schweizer Käsegerichte, Fondue und Raclette, in angenehmer Atmosphäre kredenzt. Zu den Spezialitäten gehört das Fondue Walliser Art verfeinert mit Tomaten und Kräutern und serviert mit gekochten Kartoffeln. Gruyere-Käse und Walliser Bergkäse sind auch die Grundlage für das aromatische Bierfondue mit dunklen oder hellem Brot. Preis pro Rechaud für zwei Personen ab SFR 25. www.sternen-leukerbad.ch.
Das Restaurant im Hotel Waldhaus genießt in Gourmetkreisen einen großen überregionalen Bekanntheitsgrad. Je nach Jahreszeit kommen feinste regionale Produkte auf den Tisch, wie Pilz- oder Wildgerichte. Aber auch Bodenständiges ist auf der Karte zu finden. Sehr zu empfehlen das deftige Rösti Waldhaus mit Speck und Spiegeleiern und gratiniert mit Raclettekäse. Preis SFR 25,50. Als süße Sünde gibt es zum Dessert Eisspezialitäten mit Kastaniencreme, Preis SFR 12. www.hotel-waldhaus.ch.
Ausgezeichnete Walliser Weine direkt vom Erzeuger sind beim Weingut Wenger in Varen zu verkosten und käuflich zu erwerben. www.wengerweine.ch.

Schafabzug:
Das Herabführen der Schafe von den Almwiesen über den Gemmipass bis nach Leuk findet alljährlich am zweiten Sonntag im September statt. Leukerbad veranstaltet dazu ein kleines Volksfest kulinarischen Genüssen und musikalischer Unterhaltung in der Ortsmitte. Bereits Ende Juli gibt es das traditionelle Schäferfest auf den Almwiesen am Daubensee.

Aktivitäten:
Der Gemmipass ist Teil des ausgedehnten Netzes an Wander- und Spazierwegen, die natürlich nicht alle ein derart extremes Gefälle besitzen. Bergsteiger und Free Style Kletterer kommen in höchstem Masse auf ihre Kosten. Das Daubenhorn verfügt über den längsten Klettersteig der Schweiz mit dem Schwierigkeitsgrad ED (Extreme Difficult). Für Mountainbiker und Radler stehen 19 verschiedene, ausgeschilderte Routen zur Auswahl. Räder, auch mit Unterstützung durch E-Antrieb, können in der Sportarena von Leukerbad gemietet werden. www.leukerbad.ch.

Unterstützt von Schweiz Tourismus, Leukerbad und der Deutschen Bahn

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Udo Haafke

Autor Kurzvorstellung:

freiberuflicher Foto-Designer und Bildjournalist, Autor diverser Bildbände, Kalender und Reiseführer, Ausstellungen im In-und Ausland, freie Mitarbeit bei verschiedenen Tageszeitungen im Bundesgebiet.

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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