Die Sonne lässt die letzten Schneereste verschwinden. Auf mattbraunen Wiesen sprießt frisches Grün. Genau die richtige Zeit, Outdoor-Vergnügen zu planen. Berge oder Meer? Meer oder Berge? In meiner Kindheit ging es in den Ferien immer in die Berge. Bekanntlich liegen die schönsten Erlebnisse direkt vor der Haustür – oder zumindest nur ein paar Fahrstunden weiter. Also auf ins Tiroler Ötztal.
Text: Birgit Werner mit Fotos von Andreas Bienert
Das raue Tal ist gesäumt von kargen Steilwänden, tosenden Wildbächen und imposanten Dreitausendern, die darauf warten, unsere Grenzen auszutesten. Wer will, kann, muss aber nicht. Für mich sind es vor allem die berauschenden Momente in der Natur. Panorama tanken, Naturschauspiele und sattgrüne Landschaften bestaunen. Im längsten Seitental Tirols kann man der wilden, ursprünglichen Natur unglaublich nahe sein und auf Erlebnisreise gehen: zu Wasser, am Felsen und auf dem Fahrrad.
“Vorwärts”, “Rückwärts” und “Stopp”
Gleich am Eingang zum Tiroler Ötztal kommen wir nicht an der Area47 vorbei. Gemeint ist das im wahrsten Sinne des Wortes. Immerhin ist die Area47 der größte Outdoor-Freizeitpark des Landes. Seit dem Opening 2010 macht sie ihrem Status als ultimativer Outdoor-Freizeitpark im Zentrum von Europa alle Ehre. Auf dem Wasser, am Bikesattel oder im Hochseilgarten – der Mix an Actionangeboten inmitten einer wilden Naturlandschaft ist einmalig.
Wildwassertour in der Imster Schlucht
Wir sind zum Rafting in der Imster Schlucht verabredet. Guide Tom, Ire und kerniger Rugbyspieler mit viel Humor, beeindruckenden Muskeln und mega sympathisch, empfängt die Gruppe am Ausgangspunkt. Er macht uns gleich klar, dass Rafting ein Teamsport ist. Die Tour startet wie immer mit dem obligatorischen Umstyling mit Neoprenanzug, Neo-Socken, Schwimmweste und Helm.
Gemeinsam schleppt unser Team das Boot zum Startpunkt und bringt es in Position. Schnell noch anbaden, Sicherheitsanweisungen anhören, Materialcheck und rauf aufs Wasser. “Vorwärts”, “Rückwärts” und “Stopp” sind die Befehle, die uns Tom vom Heckruder zuruft. Das türkis leuchtende Wasser springt, rauscht und gurgelt an bleichen Kiesbänken entlang. Die Ufer sind von Wald und saftigen Wiesen gesäumt. Vorbei geht’s an der urwüchsigen Landschaft Tirols auf einer rund 14 Kilometer langen Strecke von Imst nach Heiming. Dabei lassen wir natürlich keine Welle aus.
Nur wenige Minuten nachdem wir das Boot zu Wasser gelassen haben, manövriert Tom in die ersten Stromschnellen. Bis zum Grad drei reicht deren Stärke auf dem Inn. Damit ist die Imster Schlucht nicht nur Wallfahrtsort für Rafter, sondern auch bestes Terrain für Rafting-Anfänger. “Vorwärts”, schreit Tom, als wir mit der Bootsnase voran in die erste Wasserwalze knallen. Eiskalte Wassermassen klatschen uns in die Gesichter, die Jungs am Bug kreischen. Sofort geht der einheitliche Schlag im Team-Paddeln verloren.
Wer paddelt, bleibt
Jetzt muss es zackig gehen: “Vorwärts”, schallt es von hinten. Der bestimmende Ton verfehlt nicht seine Wirkung. Wir gehen die nächste Welle aggressiver an. Vorher hatte uns Tom erklärt, dass so verhindert wird, dass das Boot in den stehenden Wellen steckenbleibt und sich quer zur Strömung stellt. “Es kann schnell passieren, dass wir kentern”. Unser beherztes Manöver zahlt sich aus: Nass und heil gleiten wir aus der Welle. Auf den restlichen Kilometern bis zum Ausstieg in Haiming warten noch einige abenteuerliche Stellen, die wir aber mit Bravour meistern. Momentan führt der Inn nicht so viel Wasser wie sonst. Unterwegs mündet von rechts die Ötztaler Ache in den Inn. “Dieser Fluss ist enger, schwieriger zu befahren”, weiß Tom. Erst wenn ihr den Teil hier bewältigt habt, könnt ihr diese Monster-Stromschnellen schaffen.
Uns hat es für den Anfang gereicht. Wir hatten alles, was das Adrenalinherz begehrt. Es blieb sogar Zeit zum Baden und um sich einfach mal neben dem Boot den Inn heruntertreiben zu lassen.
Kraftplätze zum Auftanken
Romantisch, gemütlich und einfach nur schön: von Umhausen Richtung Niederthai gehts zur www.wiesle.at
Das Ötztal ist mir schon deshalb ans Herz gewachsen, weil es ein Platz ist, den ich immer wieder auf andere Weise entdecken kann, wie auf dem rund 57 km langen Ötztal Radweg. Er zweigt ab von einem der längsten Radwege Europas – dem Innradweg – und führt über 50 Kilometer in die Bergwelt der Ötztaler Alpen. Von Haiming auf 670 Metern startend, verläuft er durch das gesamte Ötztal und gewährt immer wieder verschiedene Blickwinkel in das lange Tal, bis er in Sölden auf 1.377 Metern endet. Die Route durchläuft beinahe alle Ortschaften und ist wohl der abwechslungsreichste Radweg, den das Tal zu bieten hat. Auf Etappe 2 von Oetz nach Umhausen locken zahlreiche Highlights wie der Habicher See, die Kapelle Maria Schnee und natürlich der Stuibenfall, der größte Wasserfall Tirols.
159 Meter herabstürzendes Naturschauspiel
Wer den Wasserfall hautnah erleben will, versucht es mit dem Klettersteig, der in Umhausen-Niederthai startet.
Wir sind verabredet mit Martin Scheiber, dem Organisationschef vom Stuiben Trailrun. Wenn Martin nicht gerade einen Klettersteig hinauf oder runterläuft, ist er mit dem Rad durch seine Heimat unterwegs. Uns will er heute seine geheimen Bikerouten rund um den Stuibenfall zeigen.
“Der Stuibenfall im Ötztal ist schlichtweg spektakulär”, betont er, „den müsst ihr gesehen haben.“ Es sind übrigens die Schleier aus Sprühnebel, die dem Wasserfall seinen Namen geben, fügt er hinzu. “Sein tosendes Wasser kommt vom Zwieselbachferner und Grastalferner”. Mit 159 Metern Fallhöhe ist er der höchste Wasserfall Tirols. Entlang der gigantischen Wassermassen führt ein Klettersteig, originell angelegt und stellenweise extrem ausgesetzt in die Höhe.
Mit dem Fahrrad starten wir außerhalb der Ortschaft Umhausen. Vorbei gehts am Ötzidorf durch den schattigen Wald. Immer wieder begegnen wir dem gurgelnden Horlachbach, genießen die wunderbare Ruhe und unberührte Natur. Atmen klare Bergluft und folgen Martin auf seiner Route zum Stuibenfall.
Nach etwa zwei Stunden Fahrzeit hören und sehen wir schon den tosenden Wasserfall. Auf der ersten Plattform angekommen, genießen wir das grandiose Naturschauspiel bereits in vollen Zügen.
Die geballte Naturkraft, die sich über markante Felsstufen in die Tiefe stürzt, zieht uns sofort in ihren Bann.
Wir lassen unsere Räder stehen und machen uns zu Fuß weiter hinauf auf den Weg. Irre, wie groß der Wasserfall von hier wirkt. Rechts sehen wir die aufwändige Stahltreppe, die in der Luft hängt. Wie das wohl zum Wandern sein wird? Eine neue Wege- und Stufenkonstruktion macht den Stuibenfall hautnah erlebbar. Vom Zustieg führt eine 80 Meter lange Hängebrücke zur Stufenkonstruktion. Über 700 Stufen und fünf Aussichtsplattformen führen vorbei an den tosenden Wassermassen hinauf zum oberen Ausstieg. Noch ein paar Schritte über den Zufluss des Wasserfalls und noch wenige Meter abwärts zu einer Aussichtsplattform. Von hier erleben wir einen gigantischen Blick in die Tiefe. Von der Seilbrücke können wir auch die Klettersteiggeher hautnah beobachten.
Berauscht vom Adrenalin
Gestern noch unterwegs mit dem Bike auf chilligen Touren – und kaum 24 Stunden später ausgerüstet mit E-Bike, Protektoren und Sturzhelm sind wir mit Lukas, unserem Guide, auf dem Weg in die Bike Republic Sölden. Es ist das größte Trailprojekt Europas und ein riesiges Erlebnis- und Trainingsspielfeld, das sich über Berge, Ebenen und Täler erstreckt: immer im Blick ein hochalpines Gletscherszenario.
Wir haben unseren ersten Stempel. Auf jedem Trail ergattern wir einen neuen und der repräsentiert jeweils ein Visa. Ab einer bestimmten Anzahl gesammelter Trail-Visas gibts unterschiedliche Goodies.
Kreuz und quer durch die Bike Republic zieht sich ein Streckennetz mit vielen Höhepunkten wie Shaped Lines oder Naturtrails. Die natürlich gewachsenen Pfade weisen in der Regel eine maximale Breite von einem Meter auf und sind gespickt mit Hindernissen wie Wurzeln und Steinen. 17 unterschiedliche Naturtrails mit einer Gesamtlänge von ca. 34 Kilometer winden sich in Sölden durch alpine Landschaften und tiefe Wälder. Vorsicht, hier ist mit Wanderern zu rechnen. Die trifft man auf den Shaped Lines eher nicht an. Die 14 verschiedenen Lines, die ökologisch nachhaltig geschaffen sind, zeichnen sich durch Steilkurven, Wellen und Sprünge aus und werden ausschließlich bergab befahren. Dass es hier richtig zur Sache geht, weil man ordentlich Geschwindigkeit aufnimmt, haben wir selbst getestet.
Los geht’s an der Talstation der Gaislachkogelbahn, die unsere Räder sehr komfortabel und sicher zur Mittelstation (2.174 Meter) transportiert. Wer die Giggijochbahn nimmt, den bringt die Bahn bis in die Höhe auf 2.283 Meter.
Als wir sehen, wie andere Biker die Lines hinabschießen und teils meterweit über Schanzen fliegen, wird es uns ganz mulmig. Da soll ich runter? Ja, beruhigt mich Lukas, am Babyhang üben wir die Grundposition, die Blicktechnik und das Bremsen. Aha. Niemand kann das besser als Lukas Grüner. Der ehemalige Snowboardcross-Spezialist und Juniorenweltmeister hat nicht nur im aktiven Sport jede Menge Preise gesammelt, sondern weiß auch, wie und wo es langgeht. „Ihr werdet auf jeden Fall sicher die Line runterfahren“, schmunzelt der gebürtige Ötztaler.
„Mach den Gorilla“
“Na klar, kann man Online Videos anschauen und nachmachen”, betont er. Entsprechende Fortschritte würde man sicher erzielen. “Allerdings habt ihr bei einem Kurs größere Erfolgserlebnisse. Durch ständiges Feedback kann man seine Haltung immer wieder korrigieren”, spricht Lukas aus Erfahrung.
Wir üben nun, im Stillstand zu balancieren, feilen an der Körperhaltung bei einer Vollbremsung und fahren unter Anleitung durch eine mit bunten Plastikhütchen angezeigte enge Kurve.
Super, es stellt sich das erste Mal das Gefühl eines Lernerfolges ein: Mit unserem theoretischen Wissen, wann der Blick wohin gerichtet wird, wie die Kurve angefahren und wann wieder in die Pedale getreten wird, rollt es sich geschmeidiger durch immer engere Kehren.
“Klasse, weiter”, ruft uns Lukas auf dem Weg aus der Kurve hinterher. Es zahlt sich doch aus, Grundlagen auf einem Babyhang zu üben.
Nach dem ersten Vormittag auf dem Babyhang fahren wir das restliche Wochenende im Gelände.
Am ersten Nachmittag holpern wir in Grundposition mit Gorilla-Haltung über Naturtrails und Lines zwischen Bergwiesen hinab, hören Manöverkritik, korrigieren und merken, bei jeder Runde geht es schon schneller, lässiger. Und ja, Lukas hatte recht, mit einem auf dem Können angepassten Training kommen wir sicher unten an. Berauscht vom Adrenalin.
Die GAHE LINE ist eine der längsten und abwechslungsreichsten Lines der BIKE REPUBLIC SÖLDEN. Über 7,5 km zirkelt sie sich von Hochsölden ins Tal. Schnell, flott bedeutet „Gahe“ im Ötztalerischen. Hier kann man es richtig laufen lassen. Kondition sollte man für die fulminante Flow-Fahrt allerdings mitbringen, denn vom Sonnblick in Hochsölden bis nach Grünwald ist man 7,5 Kilometer unterwegs – aber es gibt auch genügend Rastplätze auf der Strecke.
Eugens Obstlerhütte – direkt an der Skiabfahrt 21, 22. Von hier kann man gemütlich ins Tal fahren
Über alle Berge
Wir hatten auf unserer Abenteuerreise durch das Ötztal nur drei Tage Zeit – nicht besonders lang, dafür aber umso eindrücklicher. Von Ötz bis nach Sölden sind es zwar nur 30 Kilometer auf direktem Weg, die aber sind so abwechslungsreich, wenn man links und rechts des Tales die vielen Verlockungen wahrnehmen möchte, dass man sich dafür besser gleich mehrere Tage Zeit lassen sollte. Am letzten Tag unserer Ötztalreise hat uns Lukas die ruhige Seite des Tals gezeigt.
Die Brunnenbergalm – Ankommen und Genießen
Die knackige und kurze Auffahrt zur ältesten bewirtschafteten Alm Tirols auf 1.973 Meter führt vorbei an Bergkiefern, knorrigen Zirben und Lärchen. Diese kurzen Genusskilometer lohnen sich auf jeden Fall, denn oben angekommen, werden wir mit einem herrlichen Ausblick und echten Schmankerln belohnt! Während wir “Söldens Stille” genießen, lassen wir unser Erlebtes Revue passieren und sind uns einig, wir kommen wieder.
Infos für die Reiseplanung
Wo kann man übernachten?
Posthotel Kassl, in Ötz: Wo einst König Ludwig aus Bayern nächtigte, haben wir uns nach unseren Unternehmungen königlich erholt und kaiserlich gegessen.
Unbedingt noch machen
Ötztalerei in Umhausen – Martin Scheiber, Tausendsassa und unser Bikeguide zum Stuibenfall kreiert nicht nur wahrscheinlich das beste Eis im Ötztal, sondern auch seine hausgemachten Burger aus regionalen Zutaten sind ein echter Gaumenschmaus.
Ötzi-Dorf Umhausen – Archäologischer Freizeitpark mit vorgeschichtlichen Bauten und Darstellung des Alltagslebens einer kleinenDorfgemeinschaft zur Zeit des berühmten Eismannes “Ötzi”
007 – Elements – Die neue cineastische James Bond Installation im Inneren des Gaislachkogels in Sölden auf 3.050 Meter Seehöhe. Die Installation konzentriert sich auf den Kinofilm “Spectre” und jene Szenen, die in Sölden gedreht wurden.
Naturpark Ötztal – Er umfasst als übergreifendes Dach ein Netzwerk von Schutzgebieten im Ötztal. und erstreckt sich von der Talsohle bis hinauf in alpines und hochalpines, von Gletschern geformtes Gebiet. Höchster Punkt ist die Ötztaler Wildspitze mit 3.774 m. Die Bergdörfer Vent (Wiege des Alpenvereins) und Obergurgl (höchstes Kirchdorf Tirols) sowie Niederthai/Umhausen und Gries/Längenfeld liegen im Herzen des NATURPARK ÖTZTAL und sind ideale Ausgangspunkte zur Erforschung des Gebiets.
Copyright: Text von Birgit Werner – Fotos von Andreas Bienert