Die Flussläufe der Spree mit ihren schier endlosen Verzweigungen gehören zur historischen Kulturlandschaft im Spreewald. In der sorbischen Küche dagegen prägen seit jeher die Gurken das Leben der Einheimischen. Ob kulinarisch oder kulturell, kaum sonst irgendwo sind Traditionen und Brauchtum so präsent wie in dieser erholsamen Region im nordöstlichen Brandenburg.
Gerade mal 100 Kilometer von Berlin entfernt liegt Lübbenau, das Tor zum Spreewald. Der Schriftsteller Theodor Fontane bezeichnete die Haupt- und Residenzstadt mitten im Unesco-Biosphärenreservat Spreewald einst als „Vaterland der sauren Gurken“. Kahnfährmann Roland Wentow findet das nicht übertrieben. Immerhin sei Brandenburg nach Bayern das zweitgrößte Gurkenanbaugebiet bundesweit. Aber natürlich sei die Spreewaldgurke, die seit über 20 Jahren unter EU-Schutz steht, die wahre Köstlichkeit.
Auf seinen Rundfahrten tischt der Fährmann Gurken-Kostproben in verschiedenen Geschmacksrichtungen auf, von salzig über süß-sauer bis scharf eingelegt. Während Wentow durch die Fließe stakst, erzählt er Geschichten aus dem Spreewald. „Bei uns gehen die Uhren immer einen Tick langsamer“, sagt er. Das liege an dieser einzigartigen Landschaft mit ihrem weit verzweigten Wassergeflecht, das die Einheimischen Fließe nennen. Ein Teil davon, etwa 270 Kilometer, ist mit Kähnen und Paddelbooten befahrbar, dem Fortbewegungsmittel schlechthin in dieser Gegend. Selbst die Post wird hier per Boot ausgetragen. Alles in gemäßigtem Tempo.
Mit dem Kahn über die Fließe in Brandenburg
Früher seien die Kahnfahrten durch die Fließe noch Schwerstarbeit gewesen. Die massiven Kiefernholzkähne per Hand durch die Wasserläufe zu staken kostete jede Menge Kraft. Inzwischen sind die Holzkähne durch die leichteren Aluminium-Boote ersetzt. „Wenn die vollbeladen sind, geht ohne Muskelkraft trotzdem nichts“, versichert der Fährmann. Da kämen einige Zentner an Gewicht zusammen. „Bei Strömung haut das ganz schön rein“, betont Wentow. Das nehme er aber gerne in Kauf, wenn er mit zwei Kilometern pro Stunde lautlos durchs Wasser gleiten und dabei seinen Ausflugsgästen seine Heimat näher bringen kann. Theodor Fontane hat das vor 140 Jahren auf seine Art beschrieben: „Und das dem Netze dieser Spreekanäle nichts von dem Zauber von Venedig fehle, durchfurcht das endlos wirre Flussrevier in seinem Boot der Spreewald-Gondolier“.
Schon in jungen Jahren lernen die Einheimischen gekonnt durch die Kanäle zu gondeln. Die meisten besuchen später noch eine „Fährmannschule“, um auch in kniffligen Situationen, wenn sich bei Strömung oder in Engstellen mehrere Kähne in die Quere kommen, sicher durch das Wassergeflecht navigieren zu können. Mit eigener Muskelkraft, versteht sich, denn der Motor kommt in den Spreewald-Gewässern nur bei Hochwasser zum Einsatz.
Mit zwei Kilometer pro Stunde durchs Flussrevier gleiten
Wir sind zum Glück an einem sonnigen Tag auf unserer Halbtagestour durch Brandenburg unterwegs. Das Heimatmuseum Lehde ist unser erster von mehreren Stopps unterwegs. In dem Freilandmuseum, das einem sorbischen Dorf aus dem 19. Jahrhundert nachempfunden wurde, können wir uns einen Einblick in das damalige Leben der Einheimischen machen. Schon im sechsten Jahrhundert hat sich der sorbische Volksstamm als Nachfahren der Slawen im Spreewald angesiedelt.
Die rund 60.000 Sorben, die heute in dem Landstrich leben, in dem Brandenburg und Sachsen aufeinander treffen, sind Teil der ethnischen Minderheit der beiden Bundesländer. Ihre Lebensart ist eng mit der einzigartigen Natur verbunden. Nirgendwo sind ihre Traditionen so präsent wie hier im Spreewald. Die eigene Sprache, die in Kindergärten und Schulen gelehrt wird, sei bei den Jüngeren im Alltag allerdings keine Selbstverständlichkeit mehr, bedauert die Museumsmitarbeiterin, die in ihrer Alltagstracht in einem der historischen Bauernhäuser des Museums von sorbischer Folklore, dem traditionellen Handwerk und nicht zuletzt vom Aberglauben erzählt. Vom Schlangenkönig „Wuzowy Kral“ etwa. Symbolisiert durch zwei gekreuzte Schlangenköpfe auf den Giebelhäusern soll er das Böse von den Bewohnern fernhalten.
Während Sinnbilder wie diese der Vergangenheit angehören, sind die zweisprachigen Ortsschilder und Wegweiser rund um die Spreewaldgemeinden nach wie vor allgegenwärtig. Die eindrucksvollen Trachten dagegen werden als Teil der Folklore nur noch zu besonderen Anlässen getragen oder eben im Museum präsentiert
Gurkensuppe und Leinöl zu Kartoffeln und Quark
Weiter geht es zum Gasthaus Wotschofska, eines der ältesten und urigsten Wirtshäuser im Spreewald in Brandenburg. Auf der umfangreichen Speisekarte entdecken wir Pellkartoffeln mit Quark und Leinöl, das traditionelle Gericht der Einheimischen. Wie die Spreewaldgurke ist das Leinöl, das seit Jahrhunderten aus dem heimischen Flachsanbau gewonnen wird, aus der bodenständigen Küche der Region kaum wegzudenken. Vor allem aber die Vielfalt an eingelegten Gurken und Gerichten rund um die Gurke wie kalte Gurkensuppe oder süß-saure Schmorgurken mit Speck und Kartoffeln lässt sich auf den Einfluss der polnischen und schlesischen Küche zurückführen. Zudem gedeihen die Gurken auf den feuchten Spreewaldböden bestens. Gut, dass die ersten Siedler damals Gurkensamen im Gepäck hatten.
Schon vor mehr als hundert Jahren hat die einzigartige Natur Tagesausflügler aus Berlin und Dresden in den Spreewald gelockt. Im Lübbenauer Schlosspark, der sich, eingebettet im Biosphärenreservat Spreewald, am Rande der Altstadt ausbreitet, kann man noch heute beschaulich schlendern und den Alltag hinter sich lassen. Nach einer Kaffeepause im Schlosscafé geht es ins Spreewald-Museum im historischen Torhaus. Während die Sonderausstellung zur DDR-Planwirtschaft mit dem Titel „Es gab ja nüscht“ die Engpässe beim „Shopping in der DDR“ darstellt, findet man im Museumskaufhaus alles Denkbare.
Technikfans erfahren in der Spreewaldbahn-Abteilung viel Wissenswertes zu den Verkehrsmitteln, von Eisenbahn bis zu den Kähnen, die hoffentlich noch lange durch diese Wald- und Wasserlandschaft staksen können. Nicht nur die geringeren Niederschläge und die höhere Verdunstung durch den Klimawandel wird zum Problem. Auch das fehlende Grubenwasser aus dem still gelegten Lausitzer Braunkohle-Tagebau, das bisher in das Biotop Spreewald geleitet wurde, trägt zur Austrocknung bei. „Niedrigwasser in den Kanälen und Fließen macht uns schon jetzt zu schaffen“, ist immer wieder von den Fährleuten zu hören, die von den Häfen in Lübbenau sommers wie winters ihre Touren starten.
Informationen über Brandenburg
Tourismusverband Spreewald, www.spreewald.de
Lübbenau – das Tor zum Spreewald, www.luebbenau-spreewald.com
Anreise A 13, A 15 (Abfahrt Dreieck Spreewald)
Kahnfahrten von mehreren Abfahrtsstellen ganzjährig möglich
Abendliche Konzertfahrten Juli bis September
Für romantische Naturen empfiehlt sich die
Mondscheinfahrt oder eine Tour im „Kahn der Sinne“
www.grosser-hafen.de
Bootsverleihe ebenfalls ganzjährig
„Gurkenmeile“ am Großen Hafen
Freilandmuseum Lehde und Spreewaldmuseum Lübbenau,
www.museum-entdecker.de
Gasthaus Wotschofska, www.gasthaus-wotschofska.de
Schloss und Park Lübbenau, www.schloss-luebbenau.de
Text und Fotos: Renate Wolf-Götz
Das könnte Sie auch interessieren: