Es ist schwieriger geworden. Bis vor kurzem waren Kreuzfahrten das am schnellsten wachsende Segment im gesamten Tourismus. Die wirtschaftlichen Verwerfungen durch die Coronakrise sind jetzt unübersehbar. Immer mehr und noch größere Schiffe waren als Vergnügungszentren zumeist in wärmeren Meeren unterwegs. Einige wurden dabei schwimmende Krankenhäuser. Die Coronakrise zwingt zur Neubesinnung. Nischenmärkte haben jetzt bessere Chancen.
Die fast 90 Jahre alte Seacloud in voller Besegelung
Albert Ballin in Hamburg war ein genialer Visionär zur deutschen Kaiserzeit. Auf Schiffen zum Vergnügen zu fahren wäre doch ein Unsinn, war die gegebene Meinung. Als eines von acht Kindern trat er in die Geschäftsführung einer Reederei ein, die hauptsächlich Auswanderungspassagen nach Nordamerika durchführte. Da aber während winterlicher Bedingungen diese Schiffe weniger ausgelastet waren, führte er erstmals 1891 eine Vergnügungsreise ins Mittelmeer durch, die gleich ausgebucht war. Dies gilt als Geburtsstunde einer damals sogenannten Lustfahrt, denn die praktischen Zwecken dienenden Transatlantiktouren hatten mit Vergnügen wenig zu tun. Der Begriff Kreuzfahrt ist dann 1913 üblich geworden. 1926 wurde das erste Schiff mit einem Schwimmbad an Bord vorgestellt. Zwei Jahre später gab es als absolutes Novum eine Expeditionsseereise nach Spitzbergen in der Arktis. Im Jahre 1947 schließlich starteten Holländer ein Hotelschiff, unterwegs auf einem Fluss – die Flusskreuzfahrt war geboren.
Wilder Strand im The Baths National Park in der Karibik
Kalorien und Casinos
Auch der weltweite Erfolg des Filmes zum Untergang der Titanic konnte das Wachstum dieser Entwicklungen in den letzten zwei Jahrzehnten nicht bremsen. Diese Art zu reisen passte in die Anspruchswelt vieler Reiselustiger. Schiffe wurden immer größer, Umweltbelastung und Spannungen mit Hafenstädten wie etwa Venedig, Palma de Mallorca oder Dubrovnik blieben nicht aus. Vor allem in der Karibik sind die weißen Riesen mit Tausenden Gästen aus Nordamerika von Insel zu Insel unterwegs – quasi schwimmende Vergnügungsparks. Eine Welt für sich, die keine wirkliche Begegnung mit der dortigen Kultur stattfinden lässt. Das größte Schiff der Welt wurde zuletzt in Wismar in Auftrag gegeben. Ein Kasinoschiff für 9000 Chinesen in Viererkabinen. Eigentlich soll es dieses Jahr vom Stapel laufen. Auch hier liegt die gleiche Geschäftsidee zugrunde: die Gäste haben alles an Bord, gehen kaum mehr an Land – wenn dann mit Zugewinn für die Reederei. Bekannte Schiffe stehen zudem im schlechten Ruf, Einheimischen auf beliebten Inseln das Geschäft zu erschweren. Eigens gecharterte Busse fahren Gäste bei Landausflügen. Taxen ist es oftmals durch Tricks und Vorschriften im Hafen unmöglich gemacht, selbst tätig zu werden. Lokale Fremdenführer verlieren dabei oft ihre Jobs, da die Schiffe ihr eigenes Personal mitbringen. Abends geht es zurück an Bord zu kalorienträchtigen Schlemmereien und Bespaßung. Es ist doch so bequem wenn man sich um nichts zu kümmern braucht und einfache Ansprüche erfüllt werden.
Eine Matrosin aus Brasilien macht ihre Ausbildung
Private Luxusyacht, Kriegsschiff und schließlich weiße Segellegende
Da ist seit fast 90 Jahren eine Segellegende mit spannender Vergangenheit auf dem Ozean unterwegs. Eigentlich nur zum Vergnügen läuft die Luxusyacht „Hussar“ schon 1931 in der Kieler Howaldtswerft vom Stapel. Eigentümerin ist Merriweather Post – die reichste Frau Amerikas – damals Inhaberin des Nahrungsmittelkonzerns General Foods, der später mit Kraft zum größten Lebensmittelkonzern der Welt fusioniert. Die knusprigen Corn Flakes fanden reißenden Absatz. Insofern könnte man sagen: die Seacloud ist aus Cornflakes, nicht aus Kruppstahl gebaut. Gerade frisch verheiratet mit dem ersten ihrer vier Ehemännern, mit Edvard Francis Hutton, sollte das Schiff während der oft monatelangen Vergnügungsreisen gleichzeitig den bestmöglichen Schutz für ihre kleine Tochter bieten, das einzige Kind. Schillernde Persönlichkeiten aus Hollywood , Politik und Gesellschaft gaben sich an Deck ein Stelldichein. Beste Voraussetzung für ein kapitalstarkes Netzwerk. Die besorgte und verwöhnte Mutter jedoch gönnt sich nicht nur das Luxusleben, sondern unterstützt Heilsarmee und die Boyscout Organisation in den USA. Mit dem Ausbruch des Krieges aber wird alles anders. Die Hussar wird als Kriegsschiff eingesetzt mit dem Namen 999, ihrer Masten beraubt, grau in Tarnfarbe gestrichen und Kanonen kommen an Bord. Vor der Küste Grönlands dient sie als Wetterstation. Nach Kriegsende wird der Eigentümerin das Schiff zurück gegeben und drei Jahre lang in Stand gesetzt. Schließlich verkauft sie es 1955 an Trujillo, den tyrannischen Diktator der Dominikanischen Republik. Jener wird bei einem Attentat erschossen und das Schiff liegt sieben Jahre in Panama in der tropischen Sonne vor Anker. Drei Reeder der Hansestadt erwerben es. Erst 1978 wird die Hussar von einem deutschen Kapitän nach Hamburg geholt.
Der Dining Room wie ein gemütliches Wohnzimmer
In den Kieler Howaldtswerken beginnt die Restauration. Der Großsegler wird nachgerüstet für 64 Passagiere und bekommt den alten Namen Seacloud zurück. Dina Merrill, Marjorie Merriweathers Tochter besucht das Schiff wieder. Die Firma Seacloud Cruises in Hamburg verkauft ihre Seereisen an geschichtsbewusste Gäste. Dieses Jahr wird die legendäre Seacloud 90 Jahre alt. Das Schwesterschiff Seacloud II trat vor 20 Jahren ihren Dienst an, etwas größer zwar mit gleich viel Luxus, aber nicht mit dem historischen Ambiente. Noch Ende diesen Jahres wird die Seacloud Spirit als dritter Großsegler der Reederei vom Stapel laufen. Jedoch soll sie zunächst im Winterhalbjahr nur rund um die Kanarischen Inseln unterwegs sein, da vermutlich zahlreiche Interessenten derzeit eher eine kürzere Fluganreise vorziehen. Generell befahren die drei Windjammer im Sommer Nord- und Ostsee, sowie das Mittelmeer und die Kanaren, und in der Wintersaison die karibischen Gewässer zwischen den kleinen Antillen, Kuba und Panama. Dabei ist die Seacloud als der historische der drei Großsegler: eine schwimmende Legende aus hochinteressanten Zeitenwenden, jedoch mit ursprünglichem Mobiliar und gediegener Innenausstattung.
Eine der sogenannten Eignersuiten der Sea Cloud
Unter vollen Segeln über die Meere
Es ist noch früh am Morgen. Segel werden gesetzt. Auch weibliche Matrosen klettern den 63 Meter hohen Mast hoch und steigen gut gesichert seitlich auf die Rahen. Es herrscht typisches Passatwetter, blauer Himmel, weiße Wolkenfetzen und konstanter Nordostwind vor St. Lucia in den kleinen Antillen. Gleich sind alle 3335 Quadratmeter Segel gesetzt. Unten auf Deck werden frische Fische gerade von der Küche abgeholt, gekauft von einheimischen Fischern im Hafen. Im Maschinenraum stehen zwei deutsche Dieselmotoren mit zusammen 2500 PS bereit, um bei Bedarf den Wind zu ersetzen. Gleichzeitig werden dort unten täglich ca. 25.000 Liter Frischwasser durch Osmose aus dem Meerwasser erzeugt. Sobald die Segel alle gesetzt sind, beginnen Besatzungsmitglieder mit laufenden Instandhaltungen: Schleifpapier, Messingputzmittel, Klarlack kommen zum Einsatz. Gäste blicken zurück nach St. Lucia. In der Lidobar wird Rumpunsch serviert. Passagiere aus aller Welt tauschen sich noch aus über den vorherigen Rundgang durch den tropischen Dschungel zwischen Orchideen, Helikonien, schwirrenden Kolibris und rauschenden Wasserfällen. Über dem Schiff kreisen Möwen und ab und zu springen Delfinen neben der Seacloud aus den Wellen.
Wilder Ingwer auf St. Lucia
Ein Kolibri im Dschungel
Informationen: Die Schiffe Seacloud und Seacloud II gehören weltweit zu den Top 4 der Boutique-Schiffe (50 bis 250 Passagiere) gemäß „Berlitz Cruising and Cruise Ships Guide“ von 2020. Die meisten Seereisen erfordern eine Fluganreise.
Direktflüge zu Zielen auf die Kanaren, ins Mittelmeer oder in die Karibik bietet z. B. Condor. In Kürze werden Flüge zu den Sommerzielen wieder aufgenommen; www.condor.de;
Reiseliteratur: National Geographic hat einen 463 Seiten starken Band mit Landkarte über die karibischen Inseln zum Preis von Euro 27,99 veröffentlicht. Näheres bei www.verlagshaus24.de, der Website von Geranova Bruckmann; im selben Verlag erschien der Bildband „Highlights Karibik“ mit 192 Seiten und vielen praktischen Hinweisen zum selben Preis; https://verlagshaus24.de/highlights-karibik
Gesundheitshinweise: Impfungen sind selten vorgeschrieben. Allgemein gilt hygienische Vorsicht wie auch sonst in den Tropen.
Und ein ganz aktueller Hinweis für Reisebüros und Vermittler: Sea Cloud Cruises zahlt Reisebüros eine Aufwandspauschale für stornierte Angebote aufgrund der Coronakrise. Im Vertrieb wird diese Maßnahme sehr gelobt. „Die derzeitige Lage lasse leider keinen Spielraum für eine Kulanz bei den ausgefallenen Provisionen“, schreibt Sea Cloud Cruises weiter. Dennoch sei man sich der angespannten Liquiditätslage der Reisebüros bewusst. Viele Gespräche hätten ergeben, „dass jeder Betrag zählt“. Deshalb habe man sich entschieden, einen Beitrag zu leisten, „auch wenn dies natürlich nicht die entfallene Provision ersetzt“.
Es gibt also keinen Zweifel, dass sich diese Marktnische über die Krise hinweg behauptet.
Näheres unter www.seacloud.com