Wandern im Bayerischen Wald – wie sich die Natur auch ohne menschlichen Beistand behauptet
Bild oben: Der Rachelsee – in der Eiszeit enstanden
Auf ihn ist wirklich Verlass. Pünktlich um 9,26 kommt der rote bullige Igelbus mit der Nummer 7595 – über ihn wird noch zu reden sein – angerollt.Die meisten Passagiere, die jetzt in der kleinen Ortschaft Riedlhütte einsteigen, wollen nach Gfäll. Die Station tief im Wald ist Ausgangspunkt einer der vielen grandiosen Wanderungen, die der Bayerische Wald bietet; die von Gfäll führt auf den Großen Rachel (1453m), den höchstenBerg im Nationalpark Bayerischer Wald, der nur noch vom
Großen Arber um drei Meter übertroffen wird. Doch während der Rachel im ruhigen, naturbelassenen Schutzgebiet liegt, das 1970 zum ersten Nationalpark Deutschlands ernannt wurde, geht es am außerhalb des Schutzgebietes liegenden Arber, auf den eine Bahn fährt und der im Winter ein beliebtes Skigebiet ist, meist hoch her.
Der Nationalpark hingegen mit den drei markanten Bergen Falkenstein, Rachel und Lusen verspricht Ruhe und engen Kontakt zur Natur. Mit dem tschechischen Nationalpark Šumava bildet er das größte zusammenhängende Waldgebiet Mitteleuropas. Die Natur darf sich auf beiden Seiten der Grenze ungestört entfalten; so ist in einigen Gebieten dichter Urwald herangewachsen, was einzigartig in Deutschland ist.
Wanderer merken das recht bald, wenn sie tiefer eindringen in diesen Nationalpark, wie bei der Rachelwanderung, einem Rundkurs über den Gipfel des Berges zurück zum Ausgangspunkt. Wer die Variante im Uhrzeigersinn wählt, schafft die rund 500 Höhenmeter von Gfäll vorbei am Waldschmidthaus zum Gipfel auf steilen Wegen und Pfaden in
gut 90 Minuten, taucht dabei jedoch erst kurz vor dem Gipfel in tiefes, dichtes Gehölz ein. Sinnvoller erscheint es, sich in entgegen gesetzter Richtung auf den Weg zu machen und sich somit dem Rachelgipfel erst allmählich zu nähern. Der anfängliche breite Forstweg durch hohe Bergmischwälder geht nach etwa 30 Minuten in einen schmalen, von dicken Gesteinsbrocken markierten Pfad über. Aus dem dichten Buschwerk rechts und links des Weges ragen immer wieder graukahle, tote Baumstämme ohne Äste in den Himmel – Folgen des gefrässigen Borkenkäfers. Doch die Natur ist stärker; dies zeigt sich an den üppig nachwachsenden Nadel- und Blattbäumen, vor allem Fichten, Ahorn, Linden. Und bestätigt die
Entscheidung der Nationalparkverwaltung, sich nicht einzumischen. “Die wegweisende Entscheidung des damaligen Forstministers Hans Eisenmann in den 1980er Jahren, auf die Kraft der Natur zu vertrauen und nicht an das Schreckgespenst des sterbenden Walds zu glauben, gibt uns heute die Möglichkeit, die Vielgestaltigkeit und Dynamik mitteleuropäischer Urwälder zu erleben,” erläutert Maria Hußlein vom Besuchermanagement der Nationalparkverwaltung. “Ein abgestorbener Baum ist mitnichten tot, er ist Teil des Ökosystems Wald und bietet unzähligen Arten Lebensraum, insbesondere Urwaldkäfern und Totholzpilzen, die aus unseren Wirtschaftswäldern praktisch verschwunden sind. Und seltene Vögel, wie der Dreizehenspecht, dessen Lieblingsspeise der Borkenkäfer ist, und der Habichtkauz, der dicke, auf etwa fünf Metern abgebrochene Baumstümpfe als Nistplatz braucht, sind im Nationalpark omnipräsent.”
Wie stark die Natur lebt, ist deutlich am Rachelsee zu beobachten, der von Gfäll nach rund 80 Minuten erreicht wird. Das alte Volkslied „Still ruht der See“, Ende des 19. Jahrhunderts von Heinrich Pfeil geschaffen, kommt einem in den Sinn angesichts des tief
von Felswänden eingerahmten Sees, der während der Eiszeit entstand und somit zu den ältesten Seen Deutschlands gehört. Um den bis zu 13 m tiefen See ist ein dichter, kaum zu durchdringender Urwald gewachsen, der nur auf einem Lehrpfad umrundet werden kann. Zwischen den abgestorbenen Baumstämmen an den steilen Hängen treibt dichtes Grün nach oben, Büsche und jungen Bäume – ein erstaunliches Schauspiel in diesen harten Klimazeiten.
Ein prächtigen Blick auf den See und seine Umgebung bietet die rund 45 Minuten weiter oben spektakulär auf einem
Felsvorsprung ruhende Rachelkapelle. Wie erzählt wird, hat ein königlich-bayerischer Forstbeamter die Kapelle Ende des 19. Jahrhundert aus Dankbarkeit dafür gebaut, dass er nicht über die Rachelwand abgestürzt war, weil sein Pferd im dichten Nebel weigerte, noch einen Schritt weiterzugehen.
Pferde täten sich heute generell schwer dort oben in rund 1300 m Höhe. Je näher der Gipfel rückt, desto steiniger und steiler wird der Pfad. Zwischen Heidelbeersträuchern und Sumpf-Reitgras, Reischgras genannt, wirken die abgestorbenen Stämme und Stümpfe wie unwirkliche Skulpturen. Nach einer treppenartigen Passage vorbei
an der Bergwachthütte sind es nur mehr wenige Meter zum felsigen Gipfel, von dem der Blick bis zum Großen Arber und bei Föhn angeblich bis zur Alpenkette samt der Zugspitze reicht.
Nach Erholungs- und Brotzeitpause unterm Gipfelkreuz ruft das Waldschmidthaus nur wenige Gehminuten weiter unten. Die Hüttenwirte Sigrid Kick und Rudi Holzapfel genießen wegen ihres schmackhaften, gehaltvollen Kaiserschmarrns einen guten Ruf. Mit einem Haferl Kaffee ein köstlicher Genuss, den man sich nach der rund fünfstündigen Wanderung nicht entgehen lassen sollte.
Genügend Zeit bleibt. Die Igelbusse fahren alle dreißig Minuten von Gfäll über Spiegelau zurück nach Riedlhütte. Igelbusse? So heißen die roten Busse, die im gesamten Bayerischen Wald verkehren. Und zwar schon seit mehr als 20 Jahren. „Die ersten Testläufe wurden in den 90-er Jahren gemacht,“ so Ina Mayer von der Tourismus Information St. Oswald-Riedlhütte (www.ferienregion-nationalpark.de).„Wegen der etwas gedrungenen Form der Busse stellte so mancher Betrachter wohl eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Igel fest. Die eigentliche Namensgebung erfolgte jedoch später – angeregt durch das Märchen „Der Hase und der Igel“, in dem der schlaue Igel dem schnelleren Hasen immer zuvor kommt. Mit den Igelbussen ist es ähnlich. Egal, wohin man im Nationalpark wandert, die Igelbusse sind immer schon da und warten auf die Wanderer.“ Eine tolle Marketing-Idee war geboren! Und was kostet das? Dazu nochmals Ina Mayer: „Für sämtliche Fahrten mit den Bussen, aber auch mit der Waldbahn, die das Verkehrsnetz komplettiert, bekommt jeder Gast von seinem Gastgeber die Nationalpark-Card, einen Freifahrtschein, mit dem er während seines Aufenthalts sämtliche Busse und die Bahn gratis benutzen kann, so oft er will. Genau deswegen kann man bei uns sein Auto wirklich zu Gunsten der Umwelt getrost stehen lassen.“
Vom Waldschmidthaus führt ein breiter Kiesweg zurück nach Gfäll. Abwechslungsreicher ist jedoch der Klingenbrunner Rachelsteig, der gut fünf Minuten weiter unten abzweigt; er schlängelt sich sanftin den Wald hinein zwischen Buchen und
Fichten hinunter bis zur Schutzhütte Emeiriegel, einer der vielen Unterstände im Bayerischen Wald, die bei überraschendem Wetterwechsel vor Regen schützen und Bergrettern, die von Hilfesuchenden über die Nummer 112 gerufen werden, eine gute Orientierung bieten. Unterhalb der Hütte stößt der Pfad auf eine breite Forststraße, von der in rund 20 Minuten Gfäll erreicht wird. Und was steht dort mitten im Wald auf dem breiten Kiesplatz und wartet– der Igelbus 7595. Auf ihn ist wirklich Verlass.
Informationen:Ferienregion Nationalpark Bayerischer Wald,Tourist-Info St. Oswald-Riedlhütte, Schulplatz 2, 94566 Riedlhütte, Tel:+49 8553 8919203, sankt-oswald-riedlhuette@ferienregion-nationalpark.de, www.sankt-oswald-riedlhuette.com.