Norbert Linz
Eine Rundreise durch Apulien
In Trani, der apulischen Kleinstadt am Meer, unter Palmen am weiten Hafenrund sitzen und einfach nur schauen:
auf die schaukelnden Fischer- und Segelboote, auf die in der Sonne strahlenden alten Palazzi und Häuser aus Pietra Tranese, einem blendend weißen Kalkstein. Und, leicht erhöht, auf die eindrucksvolle „Königin der Meereskathedralen“ S. Nicola Pellegrino mit ihrem eleganten Campanile: eine der schönsten Kirchen apulischer Romanik.
So kann eine Auszeit mit Kultur genussvoll beginnen in einer „Cittàslow“, der in Italien gegründeten Bewegung zur Verbesserung städtischer Lebens-qualität.
Am frühen Nachmittag kommen die Fischerboote vom nächtlichen Fang zurück. Seit 19 Jahren ist auch Fischer Nicola mit seinem Kutter „Marilena“ dabei. Mit dem heutigen Fang ist er nicht zufrieden. Fast nur Jungfische: Knurrhahn, Dorade, Schellfisch, Seewolf und Tintenfisch. Zusammen mit seinem 18-jährigen Sohn Salvadura sortiert er den Fang und übergießt die Fische kübelweise mit Wasser. Gleich beginnt der Verkauf direkt am Hafenufer.
Volles Leben herrscht am Abend in den Gassen der leicht ansteigenden malerischen Altstadt. Sie ist mit EU-Geldern vorbildlich restauriert und bestens gepflegt. Stimmungsvoll platzieren sich die zahlreichen Restaurants auf den weißen Stufenterrassen der Piazzette und in den Innenhöfen der Pa-lazzi.
Von Trani aus sind Ziele der Region in Tagestouren leicht zu erreichen. Mit Lothar, dem professionellen deutschen Reiseleiter, geht es auf den Spuren des Staufer-Kaisers Friedrich II. zum imposanten Castel del Monte, dem UNESCO-Weltkulturerbe.
Schon von weitem ist auf einer Anhöhe der honiggelb leuchtende Repräsentationsbau zu erkennen. Lothar erklärt das Baukonzept: Immer wieder tritt die Acht als Zahl des kosmischen Gleichgewichts auf – ein Oktogon mit acht achteckigen stumpfen Türmen und einem achteckigen Innenhof. Schmunzelnd zeigt er noch einen für jene Zeit ungewöhnlichen Komfort: Toiletten mit Wasserspülung.
Wie auf einer Perlenkette liegen an der apulischen Adria die alten Hafen-städte aufgereiht. Der Orienthandel und die Konjunktur der Kreuzzüge machten sie reich. Alle beeindrucken mit ihren romanischen Kathedralen in weißem Kalkstein: von Barletta über Trani bis zur Provinzhauptstadt Bari. In einer knappen halben Stunde fahren wir mit dem Zug von Trani ins pulsierende Bari – ohne Parkplatzsorgen, kein Quälen durch unschöne Vor-städte!
Wichtigster Ort in der Bari vecchia, der verwinkelten Altstadt, ist natürlich die Prachtbasilika S. Nicola mit den Reliquien des Hl. Nikolaus. Der Reiseleiter erzählt von einem raffinierten Wirtschaftscoup. Den wohltätigen Bischof aus dem kleinasiatischen Myra hatte die orthodoxe Kirche über Jahrhunderte als ihren bedeutendsten Wundertäter gefeiert. Doch 1087 raubten Bareser Seeleute die heiligen Gebeine und brachten sie nach Bari. Der Raub hat sich gelohnt: Der bald einsetzende Wallfahrtstourismus wurde eine einträgliche Einnahmequelle für die Stadt. Die Namen der 62 Seemänner stehen auf einer Tafel an der Außenfassade der Basilika.
Der originellste Ort findet sich in den schmalen Gassen rund um den Arco Basso. Hier produzieren Frauen jeden Alters, lustig schwatzend, vor ihren Wohnungen die berühmte Bari-Pasta: Orecchiette, vor allem für umliegende Restaurants und die Touristen. Auch Francesca sitzt an einem kleinen Tisch und formt mit einem geriffelten Messer die Öhrchennudeln. Die Technik habe sie von ihrer Mutter gelernt, sagt sie lachend. Für ein Kilo Orecchiette brauche sie etwa eine halbe Stunde. Die trocknen dann in kurzer Zeit in der Sonne auf großen rechteckigen Sieben.
Unser Bus fährt weg von der Küste in das Valle d´Itria. Das liebliche Tal prägen Oliven- und Mandelhaine. Und die rund 5000 Trulli mit ihren Zipfelmützen-Dächern aus waagrecht geschichteten Steinplatten. Eigentlich schlichte weiß gestrichene Bauernhütten aus rohem Feldgestein, die im Trulli-Zentrum Alberobello tipp-topp gepflegt sind. Schließlich gehört man zum Weltkulturerbe.
Antonio besitzt so ein charmantes Trullo, heute ein Souvenirladen. Wie fast alle hat auch er auf dem dunklen Steindach ein aufgemaltes Symbol. Jedes Jahr erneuere er mit Kalkfarbe das Venuszeichen mit dem Handspiegel: Es bringe Glück, sagt er mit Augenzwinkern!
Auf dem Weg in den Salento, den sonnenverwöhnten Stiefelabsatz zwi-schen Adria und dem Jonischen Meer, lohnt ein Besuch der „Weißen Stadt“. Zwischen Wein- und Ölbaumkulturen sind schon aus der Ferne auf drei Hügeln die schneeweiß gekalkten Würfelhäuser von Ostuni zu sehen, gekrönt von der ockerfarbenen Silhouette der Kathedrale: Steile Treppen, enge Gassen – Portale, Durchgänge, Balkone. Ein Bilderbuchstädtchen.
Wir steuern die kleine Hafenstadt Otranto an. Die verträumte Altstad schmiegt sich an ein mächtiges Kastell. Das Highlight ist in der Kathedrale das 800 qm große Bodenmosaik aus dem 12. Jahrhundert mit riesigem Lebensbaum, biblischen und allegorischen Figuren.
Mitten im Gassengewirr das „Il Cantico dei Cantici“. Betrieben wird das Terrassenlokal seit 30 Jahren von Francesca mit Sohn Matteo und Tochter Katja, der begnadeten Köchin. Sie bietet mit „Burrata con Verdura“, eine sahnig-cremige apulische Käsedelikatesse mit Oliven, marinierten Auberginen und Zucchini. Ein Ge-dicht: der zart gedünstete Mönchfisch mit Kapern und pikantem Beiwerk.
Wenn in Apulien – dann auch Wein- und Olivenölprobe! Nördlich von Otranto auf dem Landgut „il contadino“ kehren wir ein bei der Familie Merico zur Verkostung ihrer Weinproduktion. Natürlich auch des rubinroten „Primit-ivo“, den sie zusammen mit dem kräftigen „Negroamaro“ in Eichenfässern zu ihrem Spitzenwein „Frassanito“ ausbaut: herrliche Aromen von Nelken und Zimt sowie süßlich-würzige Noten!
Etwas südlich von Otranto bei Uggiano La Chiesa besichtigen wir eine unterirdische Ölmühle. Seit 1688 wurde hier fünf Meter unter der Erde – die riesigen Mahlsteine bezeugen es – bei kühler Temperatur Olivenöl produziert. Wieder oben lässt uns Giuseppe d´Alba seine drei Sorten probieren, zusammen mit Olivenbrot. Je früher die Ernte, so lernen wir, desto grüner das Öl: Eine gewisse Schärfe und Bitterkeit sind Qualitätskriterien.
Ein schöner Abschluss der Rundreise ist im Landesinneren Süditaliens Ba-rockhauptstadt Lecce. Im autofreien eleganten Centro storico leuchten in der Sonne die goldgelben Fassaden der Palazzi und Kirchen aus der Blütezeit des Baubooms im 17./18. Jahrhundert. Baumaterial ist die pietra leccese, ein feinkörniger Kalkstein aus der Region. Erst durch ihn kam es zu dem speziellen üppigen Lecceser Barock mit seinem überschwänglichen Formenreichtum. Wie Reiseführer Lothar erklärt, konnte das frisch aus dem Steinbruch kommende Material ganz leicht mit dem Messer bearbeitet werden. An der Luft härtete es aus und nahm den honigfarbenen Ton an.
Beim privaten Bummel durch die gepflegten Gassen rund um die zentrale Piazza Sant´Oronzo stößt man gleich um die Ecke in der Via Trinchese auf die exquisite Gelateria Natale: Sie produziert, auch nach der Meinung der Einheimischen, das beste Eis der Stadt – allein Schokolade ist mit sechs köstlichen Varianten vertreten. Wenn dies kein stimmiger Abschied von „Bella Italia“ ist!
Info:
Beste Reisezeit: April – Juni, September – Oktober.
Rundreisen u.a. bei www.studiosus.com/smart-and-small: “Apulien. Entschleunigung am Stiefelabsatz.” Mit kompetenten Studiosus-Reiseleitern. 8 Tage, maximal 15 Teilnehmer. Mit Linienflug, im DZ mit Frühstück, fünf Essen, allen Gebühren und Reiseliteratur p.P. ab 1695 €.
gute Reiseführer zu Apulien:
Jacqueline Christoph: Dumont Reise-Taschenbuch. Mit 10 Entdeckungs-touren, persönlichen Lieblingsorten und separater Reisekarte, 296 Seiten; Gratis-Download: Updates und aktuelle Extratipps.
Andreas Haller: Michael Müller Verlag – individuell reisen. 194 Farbfotos, zahlreiche Stadtpläne. Mit neun Wandervorschlägen (incl. GPS-Datendownload). Herausnehmbare Karte, 418 Seiten.
Peter Amann: Reise Know-How. Handbuch für individuelles Entdecken. Mit zahlreichen Tipps und Exkursen. 552 Seiten.
Vis-à-Vis (Dorling Kindersley): 500 Farbfotos, 3-D-Zeichnungen und Grundrisse sowie Themenfeatures. Beigefügt: Mini-Kochbuch. 240 Seiten.
Bettina Dürr: Marco Polo. Kompakte Informationen, Insider-Tipps, heraus-nehmbare Karte, 140 Seiten.
(c) Text und Fotos: Norbert Linz