Diese Tränen rührten. In der “Seemannskneipe” saß Ilse aus Butzbach und weinte. “Und dafür bin ich fast 600 Kilometer gefahren.” Dafür, wofür? Ich verstand nicht ganz. “Na, um hier nach Poel zu kommen. Ich weiß nicht einmal, wie man das ausspricht.” “Poel spricht man Pöl, mit langem Ö. Also nicht Po-el, auch nicht Pohl, das E ist kein Dehnungs-E.” Die Tränen der Frau aus dem Hessischen wurden nicht weniger. “Hier sind ja nur Rentner”, schluchzte die Mittvierzigjährige. “Rentner finden Sie überall.” Mein Mitleid hielt sich in engen Grenzen. Sie hätte sich ja vorher informieren können. Es stimmte auch nicht. Poel ist eine Insel, mit fast 40 Quadratkilometern die siebtgrößte unter allen deutschen Eilanden, auf der jeder findet, was er sucht. Natürlich bevorzugt sich selbst. Denn es ist eine ruhige Insel. Es ist ein Stück Mecklenburg mit der Besonderheit, dass dieses Stück von Meer umgeben ist. Nur ein Damm mit einer Brücke verbindet es über den Meeresarm Breitling mit dem Festland.
Foto ganz oben: Land und Wasser, Blick über den Heidensee
Der größte Vorteil liegt in der Kleinheit. Der Weg zum Meer ist immer der nächste. Die Strände von Gollwitz, Timmendorf, Hinter Wangern und am Schwarzen Busch sind klein, fein und gepflegt. Wie uns die Wirtin in unserem Hotel, dem Hotel zur Seemöwe in Kirchdorf, erläuterte, ist die Einheit, mit der auf Poel Entfernungen gemessen werden, “2 Kilometer. Sie können alles erlaufen.” Das stimmte zwar nicht immer, aber mit dem Fahrrad erreicht man jeden Fleck.
“Und”, gab ich mein Wissen an die Hessin weiter, “wenn Sie über dem Festland noch die Wolken hängen sehen, hat der Wind hier schon jede Dunkelheit und allen Regen fortgeblasen. Das tut er mit ihren Tränen bestimmt auch. Machen Sie es wie ich, bestellen Sie sich Krabben oder einen Dorsch, schön gebraten, dazu eine Wismarer Wumme, wenn dieses Bier vorrätig ist, und dann herrscht Sonnenschein, und die 500 Kilometer von Butzbach tun Ihnen nicht mehr leid. “Aber Poel ist doch keine richtige Insel, wenn da ein Damm zum Festland führt.” “Sylt hat auch einen Damm.” “Ja, Sylt.” Die Dunkelblonde aus Butzbach schnaufte vernehmlich. “Usedom hat sogar zwei”, belehre ich sie, “und ist trotzdem eine Insel.” “Usedom?” “Das ist eine Insel Richtung Osten, auch in der Ostsee.” Die Nase geschnäuzt, der Dorsch und ein Bier bestellt, die Wumme gab es nicht, hatte sich die Unglückliche etwas beruhigt. “Wissen Sie, ich glaube, Sie wollten gar nicht nach Poel, Sie suchten eine Marke, eine Art preiswertes Sylt.” “Wie kommen Sie da drauf? Ich habe im Reisebüro einfach nach einer billigen Unterkunft auf einer Insel gefragt.” “Weil mir es umgekehrt ging, ich bin auf der Landkarte über die Insel Poel gestolpert und wollte dann unbedingt auf diesen mir unbekannten Fleck.” “Das ist Ihre Entscheidung. Gibt es denn Prominenz hier?” “Natürlich, Poel hat eine Königin.” “Oh, das ist ja interessant, in einem richtigen Schloss?” Die unglückliche Butzbacherin blühte auf. “Das Poeler Schloss gibt es leider nicht mehr. Als es 1620 mit elf Meter hohen Wällen fertig ist und Schwedens König Gustaf I. Adolf hier mit großem Gefolge seine Braut, Prinzessin Marie Eleonore von Brandenburg, zur Vermählung abholt, hat es eine leider nur kurze Blüte.” Ilse schaut und staunt. “Dann kommen die Dänen, Wallenstein, die Schweden, die Brandenburger. Am Schluss ist vom Schloss nichts mehr übrig. Sie können aber ein Modell besichtigen.” “Sie nehmen mich nicht auf den Arm?” “Großes Ehrenwort.” “Und die Königin?” “Gibt es, es ist die Rapskönigin, sie heißt Lisa Thiele.” Böse Blicke treffen mich. “Auf Sylt gäbe es wenigstens eine Champagnerkönigin.” “Aber Raps hat eine schönere Farbe.” “Was gibt es hier sonst noch?” “Leuchttürme und eine Kirche.” “Eine Kirche haben wir in Butzbach auch.” “Aber keine aus dem 13. Jahrhundert wie die in Kirchdorf mit einem 47 Meter hohen Kirchturm. Sie steht übrigens dort, wo früher das Schloss stand.” “Die Markuskirche in Butzbach ist sehr schön.” Ilse zeigte Lokalpatriotismus. “Aber Leuchttürme gibt es da bestimmt nicht.” “Natürlich nicht. Was gibt es hier sonst noch?” “Der Poeler Schlosswall bildet den Rahmen für die Freilichtbühne, auf der im Sommer Konzerte stattfinden. Auch in der Kirche gibt es ein Programm. Sollten Sie sich wirklich für Kirchen interessieren, empfehle ich Ihnen einen Besuch von Wismar. Etwas eindrucksvolleres als St. Marien, die Heiligen-Geist-Kirche, St. Nikolai und St. Georgen finden Sie in ganz Europa nicht. Dort kamen mir die Tränen.” “Toll, das Sie auch weinen können. Und was soll ich Ihrer Meinung nach die Woche, die ich gebucht habe, hier machen, wenn ich nicht nach Wismar fahre?” “Seele baumeln lassen, Radfahren, Surfen, Nordic Walking, über die Salzwiesen laufen, mit einem Ornithologen eine Tour machen. Vielleicht begegnet Ihnen ein Kranich. Was soll ich Ihnen noch sagen? Schwimmen, Bernstein suchen, Reiten, oder einfach auf den Sonnenuntergang warten. Den Wellen und den Möwen lauschen. Das Inselmuseum lohnt einen Besuch. Ach, machen Sie doch, was Sie wollen. ” “Nein, ist schon, in Ordnung.” Ilse aus Butzbach wollte mich nicht verärgern. “Aber heute Abend. Mein Dorsch ist gegessen, das Bier getrunken. Was mache ich jetzt?” “Kommen Sie mit.” Ich wusste, dass Frank Plagge und seine Acoustic Cowboys nach ihrem Auftritt im Rahmen des Mecklenburg-Festivals vor einer Spelunke am Kirchdorfer Yachthafen noch mit Freunden gemütlich beisammen saßen. Wir trafen sie fröhlich mit ihren Gitarren unter einem sternenklaren Himmel an. Nach ein paar Bierchen mehr durfte Ilse sogar einige Songs von Bon Jovi und Puddle of Mudd mitsingen.
Ich könnte mir gut vorstellen, dass Ilse in einer Woche, wenn sie die fast 600 Kilometer lange Heimreise nach Butzbach antreten muss, wieder die Tränen kommen.
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