Babbacombe, in der Nähe von Tornquai an der englischen Riviera, ist ein kleines Städtchen an der Südkante von Devin. Die Küste ist hoch und steil, der Blick geht weit übers Meer. Häuser und Promenaden sind gepflegt und mit Blumenbeeten verziert. Der Sonnenaufgang lohnt ein frühes Aufstehen, und im sauberen Meer trifft der kühne Schwimmer eine – zum Glück friedliche – Robbe, die er wohl beim Fressen im Tang gestört hat. Doch der Besuch gilt nicht der Provinz Devin, sondern von hier aus sollen für die 41 Mann starke Reisegruppe mit dem Bus die Exkursionen nach Cornwall und Umgebung stattfinden. Warum man keinen zentral gelegenen Ort in der Zielregion als Standort auswählte, entzieht sich der Kenntnis. Es gäbe keine Hotels, die groß genug wären, hieß es.
Mehr als 10 000 Menschen wählen pro Jahr diese Reiseform, denn Cornwall hat ein gutes Image, vor allem der Palmen wegen, die dort wachsen. Wir wollten es genauer wissen. Zudem galt es, ein Paradoxon zu hinterfragen: Obwohl Cornwall die ärmste Region des Vereinigten Königreichs ist und größter Subventionsempfänger der EU, hat man hier mehrheitlich das Ende begrüßt. Cornwall ist Brexit-Land.
Uns boten die Busfahrten nicht nur acht Mal die Gelegenheit, den Grenzfluss Tamar zu überqueren, sondern ausgiebig Zeit, das Erlebte aufzuschreiben. Mitreisende aus Deutschland, die im gleichen Hotel untergebracht waren, schwärmten sofort von der „Küste der Normandie“, die sie auf der anderen Seite des Meeres zu sehen glaubten. Es war indes nur die nächste Bucht. Vielleicht kommt es nicht so drauf an, wenn man ohnehin von den 11 Stunden eines Tages, die man Besichtigungen und Gesprächen mit Einheimischen widmen könnte, 7 im Bus verbringt.
Nach einer Woche Cornwall steht zur Überzeugung fest: Diese Grafschaft im südwestlichen Zipfel von England ist eine Destination für Individualreisende, die genug Englisch können, um mit den Einheimischen über die Details der Unterbringung zu reden, die genug Kleingeld haben, sich Übernachtungen in privat geführten Herrenhäusern, Cottages oder Country Houses leisten zu können und genug Speck auf den Rippen, um ein paar Tage auf Ernährung zu verzichten. Denn das Essen hier ist ein Graus, nur für das cornische Nationalgericht Stargazy Pie muss man – der Höflichkeit wegen – eine Ausnahme machen. Zwar schwärmen die gedruckten Reiseführer unisono von frischem Fisch. Das sollte auch logisch sein bei einem Land fast komplett vom Meer umschlungen, aber der catch of the day wird vermutlich direkt in der Londoner Gourmet-Gastronomie angelandet, hier verbleiben mit Fett und Mehl zu „Fish and Ships“ frittierte Fischreste.
Es gibt allerdings Orte, deren Besuch es lohnt, fast jedes Opfer zu bringen, auch das unvernünftig langer Busfahrten. St. Michaels Mount gehört dazu, das Minack-Theater, Lanhydrock, ein Park und ein Schloss, die das Leben einer bemerkenswerten Familie erzählen. Land`s End nicht, St. Ives nicht, Penzance und sein gepriesenes Meerwasserschimmbecken nicht, König Artus` Ruine in Tintagel ja, Clovelly ja.
Der Sage nach wurde König Artus in der in Resten erkennbaren und museal aufbereiteten Burg gezeugt. Für eine sorgfältige Besichtigung und einen Spaziergang zur Kirche oder an der felsigen Küste entlang fehlt dem Bus-Reisenden indes die Zeit. Vom gegenüber liegenden Schlosshotel Camelot gibt es eine wunderbare Aussicht über Meer, Ruinen und Felsen, die aber nicht entschädigen kann. Cream Tee und die wahnsinnig ungesunden Scones voller Butter, Honig und Marmelade gehören zum Schlossprogramm. Hier findet man die schlanken Engländerinnen (wie fast überall ) nur auf Bildern in der Hotelzeitung. Die realen Gäste sind – fast – alle für jeden antiken Stuhl im Hotel eine sitzbrecherische Herausforderung.
St. Michael´s Mount ist wie der Mont Saint Michel in Frankreich ein mit einem Schloss gekrönter Berg im Meer, der nur bei Ebbe zu Fuß erreichbar ist. Beide verdanken ihr Schicksal den Benediktinern, nahmen jedoch später unterschiedliche Bahnen des Schicksals. St. Michaels Mount spielte im Krieg Oliver Cromwells gegen den König eine Rolle. Heute ist er in Privatbesitz. Der Eintritt lohnt.
Weiter lohnende Ziele sind Clovelly und Dartmoor. Dass in dem Fischerdorf Clovelly Szenen zu dem Rosamunde-Pilcher-Film “Küste der Träume” gedreht wurde, liegt auf der Hand. In diesem an einem steilen Hang gebauten Nest tobt sich der englische Kitsch aus – und wirkt doch authentisch. In Dartmoor gehört ein Stopp auf dem Hochmoor zwischen wilden Schafen und Ponies und an der Postbridge zu dem, was jedem Busfahrer abverlangt werden sollte.
Um einen Überblick zu gewinnen, mag man dieser Bus-Reiseform etwas abzugewinnen. Aber nur deswegen. Die Reiseleiter sind generell gut vorbereitet. Auch auf dem Weg von und nach London werden mit Windsor, Salisbury, Stonhenge, Bath und Oxford höchst interressante Ziele angesteuert. Das Problem ist nur, dass die Busfahrten die Zeit fressen und man dann durch die Sehenswürdigkeiten gehetzt wird wie Reisende nach Jerusalem. Eine andere Herausforderung ist der historische und kulturelle Reichtum des Landes, dem man so nicht gerecht werden kann.
Jedenfalls, wenn man ein zweites Mal kommt, muss man sich auf ein Thema konzentrieren. Wer will, auf Rosamunde Pilcher. Oder Jane Austin, oder Daphne du Maurier. Man kann sich auf die Spuren der Kelten begeben oder noch tiefer in der prä-historischen Vergangenheit graben, kann in die Sprache Cornisch eintauchen, es gibt römische Spuren, das Erbe der Normannen ist präsent, dominierend die Zeugnisse des gregorianischen und viktorianischen Zeitalters. Nur die Angelsachsen waren hier nicht.
Cornwall ist eine Halbinsel, die sich im Westen zwischen Irland und Frankreich in den Atlantik streckt und im Osten von Devon gegenüber dem Rest Englands abgegrenzt wird. Grenzfluss ist der Tamar, den wir bald wie Pendler überquerten. Es ist durch den Atlantischen Ozean, den Ärmelkanal und die Keltische See von drei Seiten mit Wasser umgeben. Felsen und Strände wechseln sich ab, das Land hat mit dem 420 m hohen Brown Willy bereits seinen höchsten Punkt. Daher bieten sich Wanderungen oder Fahrradtouren an, jedenfalls dort, wo man Wege angelegt hat, was viel zu selten der Fall ist. Wenn das Wetter mitspielt. Das tut es allerdings nur selten, es ist zwar so Golfstrom-gemäßigt, dass Dattelpalmen erfolgreich angepflanzt werden konnten und die Gärten und Parks, wie die The Lost Gardens of Heligan subtropisch blumenbunt sind. Aber der häufige Niederschlag lässt es empfehlenswert erscheinen, die Exkursionen in wetteradäquate Portionen zu zerlegen.
Ähnlich wie das benachbarte Irland ist Cornwall reich an Schätzen einer durch brutale oder spinnerte Herren und mystische Geister geprägten Vergangenheit. Leider ist dieses touristische Angebot nur unzulänglich aufbereitet. In den historischen Monumenten, den Fogous, Cairns, Entrance Graves, den Gräbern und Ruinen oberhalb und unterhalb der Erde ist der unvorbereitete Gast so verloren wie der hier Bestattete. Die entwickelten Ziele sind private Investitionen, wie der westlichste Punkt des Vereinigten Königreiches, Land`s End, der aussieht wie das Fantasialand bei Brühl oder eines seiner Imitate an der polnischen Ostseeküste. Doch eine Tauchfahrt zu der auf dem Grund des Meeres liegende RMS Mühlheim wird nicht geboten. Nur das Minack-Theater der Frau Rowena Cade, das im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts wie ein Salamis des Nordens in den Felsen gemeißelt wurde, lohnt den Eintritt, waren doch griechische Kolonisten nicht hier. Dass man durch einen Laden gezerrt wird, nimmt man in Kauf.
Wer sich für die Megalithkultur interessiert, der kann die Hünengräber bei Bodmin und Penwith besuchen, muss allerdings zusehen, dass ihm aufgeschlossen wird. Das Land scheint ein wenig aus der Zeit und der Reichweite britischer Förderung gefallen. Das könnte noch schlimmer kommen. Insgesamt beziffert die Regionalregierung den finanziellen Vorteil aus EU-Programmen auf rund 60 Millionen Pfund im Jahr. Nach Angaben der BBC seien in den Jahren bis 2020 sogar insgesamt mehr als 400 Millionen Pfund geplant gewesen. „Vor der Abstimmung hat uns die ‘Leave’-Kampagne versichert, dass eine Entscheidung für den Austritt nicht die EU-Zuschüsse betreffe, dass Cornwall künftig in Sachen Investitionen nicht schlechter dasteht“, heißt es in einer Mitteilung der Provinzregierung, „wir hoffen auf eine eilige Bestätigung von den Ministern, dass dies der Fall ist.“ Die steht aus. In der Mitteilung lässt sich der Chef des Regionalrats, John Pollard, mit den Worten zitieren: „Nachdem wir jetzt wissen, dass Großbritannien die EU verlässt, werden wir schnelle Schritte unternehmen, um sicherzustellen, dass die britische Regierung die Situation Cornwalls in allen Verhandlungen schützt.“ Good luck.
Von Gerhard Fuhrmann In zahlreichen österreichischen Tourismusregionen wird die Wintersaison mit einem Ski-Opening eröffnet – in Obertauern beim Rock meets ... Weiterlesen