Ein raues Klima, karge Böden und die wenigen Früchte dieser Erde reichten kaum aus, um die Menschen am Fuß der Dolomiten zu ernähren. Und weil die Winter kalt und einsam waren, schnitze man sich im Grödnertal nützliche Dinge wie Löffel oder Schüsseln aus dem Holz eines großen Waldes, der die Talsohle schon immer umgab.
Aus den eher bescheidenen Versuchen, sich durch den Verkauf dieser Haushaltswaren den Lebensunterhalt aufzubessern, entwuchs mit Beginn des 17. Jahrhunderts eine Kunst. Schon bald schnitze man Kruzifixe, Krippen und ganze Altäre – Ferdinand Stuflesser gehörte 1875 zu den ersten Künstlern, die eine Werkstatt aufbauten und fortan die Schnitzkunst aus dem Südtiroler Tal bekanntmachten.
Schon bald entstanden in der kleinen Werkstatt in St. Ulrich Skulpturen und komplette Altäre – nicht nur aus Holz, sondern auch aus Marmor und Bronze. Inzwischen fertigt mit Filip und Roberto die fünfte Generation der Familie im Grödnertal Skulpturen, auch Mosaiken und ganze Kircheneinrichtungen und liefert sie in die gesamte christliche Welt.
Päpstlicher Hoflieferant
Bestaunen kann man diese Schnitzwerke unter anderem in der Cattedrale di San Lorenzo in Grosseto in Italien, in der Marienkirche von Davos und in der bekannten St. Patrick’s Cathedral in der Fifth Avenue in Manhattan. Auch zum Vatikan pflegen die Holzschnitzer gute Kontakte: Der Heilige Vater Benedikt XVI. (Joseph Ratzinger) zelebrierte auf einem Stuflesser-Bronze-Altar beispielsweise eine Heilige Messe in Velletri bei Rom. Pius X. hatte die Werkstatt sogar zum „Päpstlichen Hoflieferanten“ ernannt. Aber auch der Seitenaltar in der Pfarrkirche von St.Ulrich wurde von den Künstlern des Familienunternehmens gefertigt – was aufgrund der vielen Holzschnitzer der Region durchaus beachtenswert ist. Immerhin leben rund 120 Familien am Fuß der Seiser Alm von der Holzbildhauerei.
Filip und Roberto sind überzeugte Grödner und Vertreter der dortigen Kunst: „Holz atmet und lebt, es verändert sich im positiven Sinne mit der Zeit“, erklären sie beide. Zum Einsatz kommen in ihrer Werkstatt renommierte Hölzer wie Zirbelholz (von der Kieferfamilie) und Lindenholz als Weichhölzer, Eichenholz oder Kastanienholz als Harthölzer.
Natürlich werden in der Branche inzwischen viele Figuren mit der Hilfe von Pantographen vorgefertigt, die Schnitzrohlinge danach von Meisterhand allerdings weiterverarbeitet. Das ermöglicht den Schnitzern, auf eine gewisse Stückzahl zu kommen, und die Figuren dann auch entsprechend günstiger anbieten zu können. Der Pantograph arbeitet wie eine Schnitzmaschine, er fertigt Schnitzrohlinge in Form von Rohduplikaten, die anschließend von Hand nachgeschnitzt werden – mit Liebe zum Detail für charakterstarke Gesichter oder den schwungvollen Faltenwurf eines Gewands. Rein handgefertigte Skulpturen sind an einem von der Handelskammer Bozen eingeführten Metallplakette und einem dazu gehörigen Zertifikat (Gütesiegel „Gardena Art“) zu erkennen.
Kreuzwegstationen für USA
In der Stuflesser-Werkstatt entsehen nur Einzelstücke, die vom Holzblock bis zur fertigen Statue handgefertigt werden. Dafür verantwortlich zeichnen erfahrene Schnitzer, Tischler, Maler und auch Dekorateure. Stefan und Vater Pius Malsiner gehören ebenfalls zum Team der Werkstatt. Mit viel Liebe erklären sie ihre Kunst, setzen ebenso geschmeidig wie kraftvoll die Schnitzeisen- und Messer, Stech- und Hohlbeitel an und formen aus dem weichen Holz ihre Kunstwerke: Für eine Kirche in Spanien gerade eine Skulptur der Heiligen Theresa von Avila und die zwölf Stationen des Kreuzwegs mit riesigen Figuren für eine Kirche in den USA.
Pius formt ein Modell der Heiligen Familie aus Kunststoff (Plastilin), das später mit Bronze ausgegossen wird. Für das Modell benötigt er „nur“ drei Tage, drei Monate dauert es schließlich, bevor das Gesamtwerk fertig ist. Meist dienen gemalte Skizzen oder Fotos als Vorlage für die Modelle und späteren Holz- oder Bronzefiguren.
Handwerk mit langer Tradition
Geradezu ins Schwärmen kommen Filip und Roberto Stuflesser, wenn sie von der Tradition ihres Handwerks – vor allem aber der Familie – erzählen. Rund 140 Jahre, nachdem Ururopa Ferdinand ein erstes Mal sein Messer an einen Holzblock ansetzte, hat sich viel verändert in dem aber immer noch idyllischen Dorf. Die dort lebenden Ladiner nennen ihr Tal „Gherdëina (Val Gardena). Es gehört neben dem Gardertal (Alta Badia) zu den beiden rätoromanischen Tälern Südtirols mit ladinischer Sprache. Abseits der großen Nord-Südverbindungen konnte man sich Kultur und Sprache bewahren. Vermutlich entdeckten sie dank ihrer Einsamkeit ihr Geschick mit dem Umgang mit Holz.
Mit dem Bau der Grödner Talstraße 1856 und einer späteren Eisenbahnlinie (1960 stillgelegt und als Wanderweg ausgebaut) hinaus zum Eisacktal und die dortige Verbindung Richtung Brenner und Mittelmeer hat sich das Leben der Grödner verändert. Die umliegenden Gipfel der Dolomiten bilden ein faszinierendes Panorama für Wanderer, Naturliebhaber – und im Winter für die alpinen Skifahrer. „Dolomiti Superski“ gilt als weltweit größtes Skikarussell, die „Sella Ronda“ rund um den Sellastock, vorbei am Langkofel und durch das Grödnertal als eine der schönsten und spektakulärsten Skitouren der Alpen.
Der geschnitzte Luis Trenker lässt grüßen
Auf der Fahrt vom Grödnertal nach Alta Badia werden die Gäste von dem berühmtesten Sohn des Tals freundlich gegrüßt: An der Hauptstraße in St. Ulrich winkt ein geschnitzter übergroßer Luis Trenker den Gästen zu. Der 1892 dort geborene Bergsteiger, Autor und Schauspieler war Sohn des Holzbildhauers und Malers Jakob Trenker. „Bera Luis“ nannten sie ihn in seiner Heimat: Die Grödner sprechen sich mit Vornamen an und setzen bei männlichen Respektspersonen ein „Bera“ davor, auf Ladinisch bedeutet das „Herr“. Zu sehen ist sein Nachlass im Museum Gherdeïna in St. Ulrich, wenngleich Trenker nicht nur der „nette Erzählonkel aus den Bergen“ war, sondern politisch höchst umstritten.
Im zehnten Gebot seiner Bergsteigerregeln heißt es: „Du sollst die Berge nicht durch Rekordsucht entweihen, Du sollst ihre Seele suchen.“ Zu finden ist sie zwischen Langkofel und Sellagipfeln, in der Talsohle darunter, wo in diesen Tagen bis in die späten Abendstunden in den Werkstätten die Lichter brennen: Maria und Josef mit dem Kind in der Krippe gehören schließlich noch immer zu den meist gefertigten Figuren und Darstellungen der „Herrgotts-Schnitzer“ im Grödnertal.
Alle Fotos: Riedinger und Stuflesser
Weitere Infos:
Tourismusverband Grödnertal, I-39047 St. Christina, Telefon: (00 39) 0471 77 77 77, E-Mail: info@valgardena.it, Internet: www.valgardena.it.
Bildhauerei-Werkstatt Ferdinand Stuflesser, Petlin 13, 39046 St. Ulrich, Telefon: (00 39) 0471 79 61 63, E-Mail: info@stuflesser.com, Internet: www.stuflesser.com