Dazwischen liegt ganz Montenegro


Anthrazitgraues Gebirge, grüne Überschwemmungsebenen, tiefblaues Adriawasser. Montenegro ist farbig, voller Kontraste und voller verwirrender Brüche. Ein Reiseland steht am Anfang.

„Wenn man Montenegro bügeln würde, wäre es größer als Russland“, besagt ein Bonmot – das kleine Land ist eben steinreich: hohe Berge, Gebirgszüge, Täler, Schluchten, Straßen, die sich winden wie Schlangen. 625000 Einwohner, kleiner als Schleswig Holstein – gebügelt wäre das Land weit langweiliger, hätte aber mit Sicherheit bessere Chancen, denn fruchtbare Ebenen fehlen, Bodenschätze weitgehend auch. Mit dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawien starben kleine Betriebe, die Landflucht setzte ein, 140000 Montenegriner leben nun in der Hauptstadt Podgorica, im absolut heißesten drückend schwülen Kessel des Landes.

kotormailAndere Regionen bluten aus, bestes Beispiel: Cetinje, hoch über der Küste gelegen. In der wechselvollen Geschichte wurde Montenegro 1910 Königreich wurde: König Nikolas Regierungssitz war Cetinje und mitdem Königreich kamen die Botschaften. Die gibt es bis heute, teils imposante Gründerzeitvillen inmitten von Parks, die alle nur einen Fehler haben: Sie stehen leer, sie marodieren vor sich hin, die Natur holt sich Mauern und schmiedeiserne Zäune zurück. Im kleinen Zentrum einer Stadt, wo alles wie zufällig ausgestreut wirkt, gibt es einige rührige Kulturschaffende. Sie lieben ihr Cetinje und wollen an ihrem Land festhalten, sie malen und schauspielern und sitzen in den Straßencafes in einer milden Luft. Sie trinken  ihr „Nik“, das heimische Bier und essen internationale Allerweltsburger und räsonieren über ihr Land und dessen Zukunft, die sicher auch und vor allem im Tourismus liegt.

Cetinje hat den alten großartigen Königspalast, der den ersten Billardtisch des Landes besaß, mühsam angeliefert in Teile zerlegt und von bosnische Gebirgspferden getragen – einer wunderbaren zähen kleinen Rasse. Cetinje hat eine Wallfahrt, denn hier liegt angeblich die Hand von Johannes dem Täufer und man fragt sich, wo der arme Heilige denn all seine Gebeine verteilt hat… Mit der Stadt der Fürsten ist untrennbar Fürst Petar II. Petrovic-Njegos verbunden, der 1830 Fürstbischof von Montenegro in Cetinje war. Er brach die Macht der Clanhäuptlinge, er gründete 1843 die erste Schule in Montenegro und er gab den Menschen ihre Seele zurück. Eine slawische Seele, sein heroischer Bergkranz ist DAS Epos der südslawischen Literatur. Wladimir, der den Souvenirshop auf dem Berg Lovcen führt, ist ein glühender Petar-Verehrer. Er liebt die Devotionalien, die er verkauft, er spricht mit großen Gesten. In dem Restaurant mit bestrickendem Ostcharme, in einem so schrägen Ambiente, dass Aki Kausrismäki hier drehen müsste, lungern drei unbeschäftigte Kellner herum, die bunten Schnäpse in der Flaschen sehen so aus, als stammten sie noch aus den Zeiten vor den Jugoslawienkriegen. frau7mailIrgendwo geistern noch immer Pläne herum, eine Seilbahn in den Lovcen Nationalpark zu bauen, von Kotor an der Küste – das wären 9 km! Momentan fährt man eine Gebirgsstraße, sie ist sicher eine der schönsten Panoramastraßen im ganzen Mittelmeerraum, der Blick hinunter auf die kleeblattförmige Bucht von Kotor ist so unschuldig, so klar und rein ist die Luft, so still und verschlafen diese Welt. Das war nicht immer so: 2006/2007 nach der Unabhängigkeit schien alles möglich, er wurde spekuliert, intrigiert, EU und andere internationale Organisationen prangern bis heute die erdrückende Korruption im Land an. Am Parkeingang gibt es wieder eine Demonstration. Die Bauern, die im Park Feder bewirtschaften und hart am kärglichen Ertrag arbeiten, wollen nicht immer den Eintritt bezahlen. Müssen sie aber! Großkotzigkeit und Machtlosigkeit, dazwischen liegt ganz Montenegro.

skadarsee12mailApropos Nationalparks. Die gibt es in Montenegro vier an der Zahl, diese sind nur national zertifiziert, deshalb eben die Bauruinen und die illegalen Holzeinschläge – in Landschaften, die so schön sind, dass sie einen fast zu Tränen rühren. Einer der Parks ist der am Skadarsee, am größte See der Balkan Halbinsel. Das westliche Ende liegt bei Rijeka Crnojevica, wo Weiden das Wasser kitzeln, wo Boote dümpeln und Kajaktouren starten. Man wähnt sich auf einem Fluss und paddelt doch schon im See, Sumpfzonen in allen Schattierungen von Grün laufen ins Nirgendwo. Und immer näher kommen die Berge, die wie Zuckerhüte aus dem Wasser zu spitzen scheinen. Bloß eben in Grün. Fotografen verschleißen hier ganze Gigabite Chips – und weil es hier so bezaubernd ist, wollen eben alle filmen. Einer, der das gar nicht verträgt ist der Dalmatische Pelikan, lächerliche 7 Paare nisten noch in Montenegro. In Montenegro gilt der Pelikan als strikt geschützt, aber „gelten“ ist ein dehnbarer Begriff! Wenn auf Krähenvögel – eigentlich verboten –  geballert wird, eliminiert das zwar vordergründig einen Nesträuber, aber es verstört die Pelikane und auch Touristen Boote richten großen Schaden an. Ornithologen kämpfen, der Staat windet sich. Dazwischen liegt ganz Montenegro.

wanderskadar2mailAm Seeufer gibt es ein paar verschlafene Dörfer, eine Etage darüber ein verfallenes Weindorf, das einem gewaltigen Erdbeben zum Opfer gefallen ist. Ein verwunschener Ort, wo Trauben, Feigen und Obst keinen mehr haben, der sie erntet. Eine kleine „Weinbar“ hat manchmal noch offen und unten an der steilen Stichstraße hinauf ins Dorf kann Daniza auch nur die Schultern zucken. So ist eben das Leben, meint sie und serviert in ihrer kleinen Bar, Wein der so stark ist, dass man besser sitzt! Marinierter Karpfen kommt auf den Tisch, Tomatensalat mit der berühmten roten Zwiebel der Region und mehr von dem Wein, der die Sinne lähmt. Vranac heißt er, das meint Rappe und bezeichnet den tiefdunklen Rotwein. Heiß ist es, hinauf ins Gebirge müsst ihr, meint Daniza.

Im Gebirge liegt Kolasin, wo das Bianca Resort nicht mal hinter vor gehaltener Hand sondern überall lautstark „als Geldwaschmaschine“ beschrieben wird. Es ist renoviert wie eine kanadische Lodge. Stoisch betrachtet Mimi die Entwicklung. Mimi stammt aus Neapel. Sie hat ihren Mann in der Schweiz kennen gelernt und ist mir ihm nach Montenegro gegangen. Ihr Hotel Brile ist das netteste Hotel des Landes. Mimis Küche ist zum Niederknien, sie serviert Pasta mit Steinpilzen und schwört, dass da nur Knoblauch und Petersilie dran sind. Wie entlockt sie Essen nur solche Geschmacksnuancen?

pferdmailKolasin ist ein nettes Städtchen und das Entree in die hohen Berge. Denn natürlich muss man die Taraschlucht gesehen haben, 78 Kilometern lang, bis zu 1300 Metern tief. Der Auflauf an Touristen an der Durdevica Tara Brücke mit Verkaufsständen und Busladungen entflieht gerne, weil es im Durmitor Gebirge immer stiller wird. Hier fallen im Winter gewaltige Schneemassen. Das Karstgebiet ist abweisend, der Karst verschluckt das Wasser und spuckt es andernorts aus, Wasser für Weidetiere ist rar. In seiner Rauheit macht er ehrfürchtig, der Mensch ist nichts vor der Kulisse. Sie macht eine sehr kleine Frau noch kleiner. Und sie treibt eine sehr große Kuh…

1500 Höhenmeter tiefer und 15 Grad wärmer ist man wieder am Meer, in Kotor. Wenn es allmählich dunkel wird, vibriert die Stadt. In den Straßencafes sitzen die Schönen und die können auf himmelhohen Schuhen auf dem Kopfsteinpflaster auch noch laufen! Faszinierend, so wie die ganze Stadt, die Dubrovnik leicht Konkurrenz macht. Sie ist Weltkulturerbe Stadt, die sich 1420 unter den Schutz Venedigs gestellt hatte und mit dem Fall Venedigs 1797 Österreich zugesprochen wurde. Die Geschichte spiegelt sich den imposanten Bauwerken wieder, in der dicken Mauer. Und gerade fährt ein riesiges Kreuzfahrtsschiff auf Kotor zu. Er wird, wenn es ankert, weit höher sein als diese Stadtmauer. Die touristische Moderne überwindet viel, Superyachten ankern im Hafen, Bodyguards flanieren an Deck, es wehen Fahnen von merkwürdigen Inseln auf diesen Yachten. Ein schicker Windhund mit Brillihalsband fläzt an Deck. Unten am Pier humpeln zwei verhungerte und verletzte Straßenhunde am Prunk vorbei… dazwischen liegt ganz Montenegro!

Info

Anreise:
Podgorica hat einen internationalen Flughafen, es gibt eine Fähre vom italienischen Bari nach Bar.

Montenegro Erleben

bucht8maill+Angelika Temper, gebürtige Österreicherin, ausgebildete Landschaftsplanerin, macht mit ihrem montenegrinischen Partner das beste Reiseprodukt für Montenegro. Wandern, Biken, auch auf dem faszinierenden Küstentrail oder im Gebirge mit perfektem Back Up Service und perfekter Landeskenntnis
3etravel.me

+Urlaub bei Mimi, Tel. 00382/69015249
brile.info

HILFE gesucht: Straßentiere in Montenegro
Wo Nutztiere eben nützlich sind und deshalb gepflegt werden, ist der Umgang mit Straßentieren in Montenegro katastrophal. Wenige Tierfreunde kämpfen gegen die Behörden, die Korruption und die Mentalität von Desinteresse bis Grausamkeit. Es gibt zwei Tierasyle in Montenegro, aber die Zustände dort sind unvorstellbar. Noch immer setzt man auf groß angelegte Tötungsaktionen, längst gibt es Studien, die ganz klar besagen, dass nur Kastrieren und die Tiere wieder entlassen, nachhaltig hilft, weil bei Tötungsaktionen sofort, neue und schwächere Populationen zuziehen. Aber die Regierung sperrt sich. Die Tiere brauchen dringend eine Lobby und internationale Tierfreunde und immer wieder Urlauber, die weiter Druck machen!
tierhilfe-montenegro.com

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Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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