Von den hohen Pyrenäen – Kataloniens Vielfalt

„Von den hohen Pyrenäen lasst uns noch ein letztes Mal über Wald und Feld und Tal in das Land hinuntersehen. Teures Land zu unsren Füßen, edles Spanien, lass dich grüßen…“

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Das Lied der Internationalen Brigaden „Abschied von Spanien“ von Erich Weinert und Ernst Busch aus 1939 kommt mir in den Sinn, als ich etwa 40 km nordwestlich von Barcelona die wilden Bergspitzen des Monserrat-Gebirges im äußersten Süden der Comarca Bages sehe, dahinter beginnt schon das Vorgebirge der Pyrenäen. In die hohen Pyrenäen will ich, in die eigentlich noch weitgehend für den großen Tourismus unbekannten Berge zwischen Frankreich und Spanien. Über gut 425 Kilometer vom Mittelmeer (Cap de Creus) im Osten bis zum Kantabrischen Meer (Golf von Biskaya) im Westen erstrecken sich steile Bergmassive, üppige Wälder, Wasserfälle und türkise Bergseen in der bis heute noch ursprünglichen Pyrenäen-Landschaft. Genauer gesagt, ich will in die katalanischen Pyrenäen, ein 250 km langer Landstreifen mit einer Breite zwischen achtzig und zehn Kilometer, vom Cap de Creus zum Val d’Aran.
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Unterwegs macht unsere kleine Gruppe Halt in der Stadt Lleida im Restaurant „El Mirador Dels Camps Elisis“ und geniesst ein vorzügliches Essen. Es beginnt mit einem gemischten Salat mit Ziegenkäse, gefolgt von einem gratinierten Kabeljau auf einer Tomaten-Knoblauch-Sahne-Soße, richtig lecker. Eis mit Himbeersoße und Kaffee bilden den Nachtisch.
 
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Der Weg ins „Val d´Aran“
Ein letzter Blick hinauf auf den Hügel mit der Kathedrale sowie dem Kastell aus dem 13. Jahrhundert und weiter geht es, weg von der guten Autobahn, aber auf auch guter Landstraße in Richtung des Val d´Aran. Lange Zeit war dieses Tal im nordwestlichsten Winkel Kataloniens eine der einsamsten Regionen der Pyrenäen. Es liegt als einziges spanisches Gebiet auf der Nordseite der Pyrenäen, ist in Richtung Atlantik ausgerichtet und hat daher dessen Klima. Die Gegend hat sich verändert, aus den Hügeln sind Berge geworden, es ist auch kälter geworden. Durch den 5.230 m langen Viella-Tunnel und drei weitere dunklen Röhren, vorbei am Lac Redon und dem Stausee  Embalse de Senet, erreichen wir schließlich nach einigen Stunden Viella. Die Stadt mit gut 2.000 Einwohnern bildet den geografischen Mittelpunkt des riesigen Tales und ist Ausgangspunkt für Touren in die umgebende Bergwelt mit Gipfeln über 3.000 m Höhe. Im Hotel „Zum Hirsch“ beziehe ich ein putziges Puppenstuben-Zimmer und bin froh, mich mal ausstrecken zu können und vor allen Dingen keine Kurven mehr fahren zu müssen.
 
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Eine unerwartete Begegnung
Ein kleiner Rundgang durch die seit römischen Zeiten bewohnte Stadt ist jetzt angebracht. Durch zum Teil enge und verwinkelte Gassen, entlang von alten Häusern, keines höher als drei Stockwerke, mit Fassaden aus der Renaissance, kleinen Textil- und Wollfabriken aus dem 14. Jahrhundert, führt der Weg zur Kirchplatz, Teil einer Festung von 1345, zur Kirche  „Sankt Michael“ aus dem 13. Jahrhundert. Durch die Stadt fließt tief eingeschnitten ein Fluss mit dicken Felsbrocken drin, der dürfte bei der Schneeschmelze im Frühjahr ganz schön reißend sein. Ein Museum gibt es auch und ich entdecke einen interessanten Laden mit Erzeugnissen aus der Umgebung wie Fruchtsäfte, Wein, Marmeladen, Gebäck, Käse und allerlei Handwerk. Kaufen kann ich aber leider nichts, zu viele Tage liegen noch vor mir.
DSC01984Am frühen Abend ist Zeit für einen Aperitif, in einer kleinen Bar am Marktplatz schmeckt ein trockener Roter, als meine beiden spanischen Kollegen draußen ganz aufgeregt um eine Frau herum wuseln. Sie sieht nett aus, nicht sehr groß, etwas schmal, aber ist das schon ein Grund für die Aufregung? Es werden Fotos gemacht und schließlich kommt sie in die Bar und der Kollege aus Madrid stellt sie mir vor,  „Edurne Pasaban Lizarribar“. Das sagt mir erst Mal gar nichts, dann folgt die Erklärung zur Person: Die spanische Bergsteigerin (geboren am 1. August 1973) hat als erste Frau der Welt alle vierzehn Achttausender bestiegen! Ich bin begeistert und freue mich über die unerwartete Möglichkeit, sich ausführlich mit ihr unterhalten zu können und dabei Bergerfahrungen auszutauschen. Wo ich im Himalaya allerdings in der Höhe aufgehört habe, hat sie gerade erst angefangen, welch großartige Leistungen hat diese eigentlich zierliche Frau mit dem riesigen Durchhaltevermögen hinter sich gebracht! Irgendwann kommt ein anderer Kollege, im Restaurant nebenan wird das Essen kalt. Ich trenne mich äußerst ungern von der freundlichen und unkomplizierten Frau und gehe hinüber ins Restaurant „Urtau“.
DSC01987Häppchen-Kultur: Pintxos, Tapas, komplizierte Sprachen und ein besonderes Frühstück
Dort wartet bereits die Vorspeise auf mich, eine breite Palette von kleinen Köstlichkeiten lacht mich an, so etwas mag ich sehr, aber immer fällt mir die Auswahl schwer, man will auch nicht zu viel nehmen, schließlich soll ja auch noch Platz für ein Hauptgericht bleiben. Aber was sind Tapas und Pintxos? Tapas nennt man in ganz Spanien kleine Appetithäppchen zum Getränk die es in einer unüberschaubaren Variationsbreite, zudem noch regional sehr verschieden, gibt. Pintxos (auch: Pinchos) kommen eigentlich aus dem Baskenkland und heißen so nach dem Holzstäbchen, auf den die Leckereien aufgespießt  sind. Es handelt sich dabei um kleine kalte oder warme Gourmetportionen der sogenannten Miniaturküche, fast alle kulinarischen Produkte können dafür verwendet werden. Sie bieten anspruchsvollen und inspirierten Köchen eine gute Möglichkeit die Fantasie spielen zu lassen und Kreationen zu schaffen, die bei „großen“ Gerichten oft nicht möglich sind. Viele Tapas und Pintxos genossen, ersetzen aber auch gut jedes Hauptgericht. Ich entscheide mich für sanft gegarten Pulpo an Holzstäbchen, auf Weißbrot aufgelegten sehr sauren Fisch und natürlich den feinen Iberico-Schinken.
DSC02156Zwischendurch werfe ich einen Blick auf die Speisekarte und habe dabei so einige Schwierigkeiten, denn so richtig kann ich die gar nicht lesen. Sie ist auf „Katala“, also auf Katalanisch geschrieben, das ist zwar so ähnlich wie spanisch, aber viele Wörter kann ich nicht unterbringen. Dabei ist das noch nicht so schwierig, denn das Val d’Aran hat noch eine einzigartige sprachliche Originalität, das „Aranesisch“, eine Variante des Gascocnischen, die wiederum zum Okzitanischen gehört und das kann ich nun gar nicht verstehen.
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Aber zurück zum Essen und zu einem Teller mit „Bacalao“, aus getrocknetem Kabeljau, wieder eingeweicht und gedünstet, dazu gekochte Kartoffeln mit Tomatensoße, überstreut mit Kräutern und garniert mit Baslsamico-Essig. Schließlich als Hauptgericht eine überaus würzige Bratwurst mit Bratkartoffeln, dazu höllisch scharfer Senf, alles wunderbar gelungen.
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Der nächste Morgen im Hotel „El Ciervo“ überrascht mich, so etwas habe ich noch nie gesehen, Frühstück in Tapas- und Pintxosform, Auswahl ohne Ende. Alles kleine feine Stückchen auf Brot, mit Garnelen, Iberico-Schinken, Ei, Tomatenrührei, diverse Wurstsorten, gefüllte Tomaten, Käse in Paprika, Kartoffelkuchen, Röhrchen mit Suppen, Salate, Fleischstücken usw. usw. Zum Glück ist genügend Zeit zum ausführlichen Genießen da, bevor es weitergeht, hinaus in die Natur.
 
 
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Camin Reiau, Skigebiete, ein schönes Privatmuseum und Feuer in den Bergen
Von Viella fährt unser Bus uns durch die abwechslungsreiche Bergwelt des Val d´Aran entlang des historischen Camin Reiau. Der verbindet in einer Rund-Wanderroute 33 Dörfer des Tals, wer das erwandern will, muss gut 150 km laufen. Ein uralter Verbindungsweg der sich sicher lohnt, denn jedes Dörfchen ist anders, bietet dabei die unterschiedlichsten Sehenswürdigkeiten aus Geschichte, Kultur und Natur. Jedes der früher sehr abgeschiedenen Dörfer hat seine eigene Tradition.
DSC02144Der Weg führt durch tiefdunkle Wälder, einsame Hochflächen, entlang von kleinen Seen und kleinen Flüssen. Immer wieder fällt auf, wie regelrecht leer diese Gegend ist, aber gerade das ist ja schön, „überlaufen“ ist hier ein völliges Fremdwort. Wir verlassen den Weg und fahren hinauf in die Skigebiete des Val d´Aran in eine Höhenlage zwischen 1.500 und 2.510 m. Das Skigebiet gliedert sich in drei verschiedene Bereiche: Baqueira, Beret, und Bonaigua. Die Skistation von Baqueira-Beret bietet dank ihrer Ausrichtung in westlicher Richtung (Atlantik) die ganze Wintersaison über gute Schneeverhältnisse und ideale Pistenbedingungen. Die Pisten tragen mit über 1.000 m Höhendifferenz und einer beeindruckende Gesamtlänge dazu bei, dass Baqueira-Beret eines der besten Skigebiete Spaniens ist. Die spanische Königsfamilie kommt öfters hier her, ihr Haus unterscheidet sich nicht von den Nachbarhäusern. Ab November kann man hier dank der Höhenlage bereits Skifahren. Abseits der Piste wird viel geboten, so kann man Hundeschlitten-Ausflüge unternehmen, Schneeschuhwandern, Langlauf-Pisten sind da oder Ausfahrten mit dem Snow Bike. Apres-Ski gibt es, wenn auch eher beschaulich in einigen Bars und Restaurants. Insgesamt mal eine gute Alternative zu den klassischen Alpen-Gebieten.
 
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Jetzt im Sommer ist es hier völlig menschenleer, Kühe, Schafe, Ziegen und viele Pferde haben die schönen Hochlagen ganz für sich alleine, eine wunderbare Ruhe liegt über der Gegend, ideal zu Wandern. Ganz oben kreisen große Geier und warten auf das, was sich so tut, vielleicht gibt es bald etwas zu futtern.
DSC02033Das tue ich dann auch etwas später wieder in Vielha, mit gemischtem Salat und herzhaftem Steak, Pommes und Gemüse, ganz einfach aber gut, muss auch mal sein. Fast hätte ich es vergessen, auf dem Weg zurück halten wir in dem winzigen Nest Bagergue auf 1419 m gelegen und damit die am höchsten gelegene Siedlung des Tals an und besuchen das feine Privatmuseum „Eht Currau“. Dabei handelt es sich um ein Volkskundemuseum mit knapp 2500 bis zu 500 Jahre alten, oft einzigartigen Gegenständen, die ein Bild des häuslichen Lebens und der Arbeitswelt der Vergangenheit zeigen. Viele davon gehörten seit Generationen der Familie Moga in deren Haus das Museum untergebracht ist. Zu finden sind alle Arten von Utensilien für die Landwirtschaft: Pferdewagen, Mähmaschinen, Schaufeln, Mistgabeln, Sicheln, Sensen, Viehglocken, Mahlsteine, Scheren und Schafschurgeräte, Tischler- und Schusterwerkzeug, Fressgitter, Lederobjekte, Riemen sowie Loren und Bergbauutensilien. Eine alte Schuleinrichtung ist da, Wohn-, Schlaf- und Kinderzimmer. Auch eine Verbindung zum spanischen Königshaus besteht, der Senior-Chef war mal Ski-Lehrer der Familie, viele alte Fotos zeigen das, also ein Besuch der sich allemal lohnt.
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Nachmittags fahren wir zu einer kleinen Kirche hinauf auf einen Berg im Valle de Boi und wandern den gewundenen Weg wieder hinunter. Warum? Das ist eine der vielen Strecken in der ganzen Umgebung, die zum Anlass des „Falles Festival“ begangen werden. Eine uralte Tradition, bei der viele Menschen abends und in der Nacht mit brennenden Fackeln die Berge hinabgehen um schließlich alle Fackeln zu einem großen Feuer zu vereinen. Dabei hat jede Gruppe ihre eigene Form der Fackeln. So etwas Ähnliches gibt es eigentlich in allen Bergregionen der Welt am Ende des Winters. Den Berg hinunter zu laufen ist ja ganz schön, ich hätte das aber lieber zwei Tage später gesehen, denn dann findet das seit Dezember 2015 von der UNESCO als Weltkulturerbe erklärte Festival statt, schade, zu früh gekommen. Dafür tröste ich mich mit einem rustikalen Abendessen, würzige Nudelsuppe mit Fleischklößchen, eine Art Gulasch mit Gemüse und Kartoffeln, sehr gut gewürzt und als Nachtisch Frischkäse-Bällchen mit Honig und Walnüssen. Ein Blick auf die Speisekarte zeigt mir, hier in der ganzen Gegend sind die Preise eigentlich gar nicht so niedrig wie ich es sonst in Spanien gewohnt bin, vielleicht sind das noch die Preise der Winter-Saison.
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Aigüestortes i Estany de Sant Maurici National Park und Romanik im Val de Boi
Überwältigend viel Natur und Kultur will ich am nächsten Tag genießen, es geht in den einzigen Nationalpark Kataloniens. Mit dem Bus kommen wir da nicht dahin, steigen also in Boi in kleinere Fahrzeuge um, die sich mühen müssen, die kurvenreiche aber gut ausgebaute Straße hinauf zum Plateau zu kommen. Es gibt einige Eingänge zum Park, die beiden wichtigsten sind in Espot (Pallars Sobirà) und Boí (Alta Ribagorça), die bieten in Nationalparkzentren Informationen, Transport, Parkplätze und eine vielfältige Auswahl an touristischen Dienstleistungen. Besonders hilfreich sind die Karten mit den markierten Touren und den entsprechenden Zeitangaben dazu. Dann beginnt ein langer Spaziergang auf markierten Wegen, einige davon sind auch zum Teil behindertengerecht angelegt. Wasserfälle kommen in den Blick, klare Bäche, wunderbare Waldlandschaften, auch tiefe Schluchten. Immer wieder viele kleine und große Seen (200-300 sollen es sein), natürlich im Hintergrund die über 3.000 m hohen Berge mit vereinzelten Schneemützen, besonders markant der Els Encantats. Alles ist wunderbar grün, große Flächen blühen gerade in Gelb und immer wieder bunte Blumen, darüber kreisen große Vögel, hier und da ein paar Kühe oder Schafe. Ganz ruhig ist es, andere Besucher sieht man kaum. Dann, still ruht der See, erreiche ich den großen Estany Sant Maurici. Zeit, sich hinzusetzen und einfach nur die großartige Natur auf sich einwirken zu lassen. Um den ganzen Park zu durchwandern braucht es gut acht Tage, das ist auch Winter gut möglich, einfache Übernachtungsmöglichkeiten am Ende einer Tagestour sind überall vorhanden.
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Die Zeit habe ich leider nicht, gerne würde ich viel höher in die Berge des Aigüestortes  gehen, da soll es noch schöner sein. Wir fahren zurück nach Taüll ins Restaurant El Callui de Taüll zum Mittagessen mit viel Salat, eingelegtem Gemüse und gebratenen Kaninchen mit Pilzen und Bratkartoffeln, schließlich folgt nun Kultur, da muss man vorbereitet sein.
Die gibt es dann reichlich im Vall de Boi im Gebiet Alta Ribagorza der Provinz Lérida. In dem nur 25 km langen Gebirgseinschnitt der Hochgebirgslandschaft finden sich viele hübsche Dörfer mit  kleinen traditionellen Häusern  aus Schiefer, Holz und Stein, eine Ski-Station und ein Thermalbad. Seine Berühmtheit aber erlangte das Tal durch eine Ansammlung romanischer Kirchen, wahrscheinlich die schönsten der katalanischen Pyrenäen. Das sind neun Kirchen aus dem 11. und 12. Jahrhundert, deren kunsthistorische Bedeutung von der UNESCO Im November 2000 mit der Aufnahme in die Weltkulturerbe-Liste honoriert wurde: Sant Climent und Santa Maria in Taüll, Sant Feliu in Barruera, Sant Joan in Boí, Santa Eulalia in Erill la Vall, Santa Maria de l’Assumpcio de Cóll, Santa Maria de Cardet, La Nativitat de la Mare de Deu in Durro und die Einsiedelei von Sant Quirc in der Nähe Durros.
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Obwohl sie sich in unterschiedlichen Dörfern befinden, besitzen sie doch einige gemeinsame Merkmale: ihre einfache Struktur, die schöne Bearbeitung des Steins an den Außenwänden, die schlanken Glockentürme und die wundervollen Fresken im Innern. Die heute dort zu sehenden Fresken sind meist Reproduktionen der Originale, die inzwischen im Nationalen Kunstmuseum von Katalonien gezeigt werden. Besonders hervorzuheben sind die bildlichen Kompositionen von San Juan de Boí, Santa María de Taüll im schönsten Dorf im Boi-Tal, auf 1.520 m Höhe und besonders impressiv die von San Clemente. Dort wird in einer prächtigen Video-Show die Entstehung der Bilder gezeigt, das ist schon schwer beeindruckend und ganz einfach schön.
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Vor dem Besuch empfiehlt sich ein Besuch des Zentrums der Romanik im Valle del Boí in Erill la Vall. Dort gibt es in extremer Fülle Informationen über die Gegend, Sehenswürdigkeiten und Führungen durch die Kirchen. Derart beeindruckt, verlassen wir die hohen Pyrenäen Richtung Costa Brava in einen seit jeher etwas vergessenen Winkel Kataloniens und bleiben in der Hauptstadt der Comorca Solsonés in Solsona.
Ein toter Esel, Mulassas, altes Handwerk und scharfe Messer
Abseits der großen Handelswege liegt die schöne kleine Stadt mit den bunten Häusern, vielen Sehenswürdigkeiten und interessanten Geschichten. Die Struktur von Solsona ist immer noch die gleiche wie zu der Zeit, als die Stadt von einer Mauer umgeben war. Es sind drei Stadttore erhalten sowie einige Teile der Mauer in Richtung Vall Calent und der Eiskeller, in dem früher das Eis gelagert wurde. Hinzu kommen Bauwerke von architektonischem Wert wie die gotische Kathedrale, mit den vollständig erhaltenen drei Absiden und dem Glockenturm der 1163 geweihten romanischen Kirche. Für eine Besichtigung des alten Ortskerns von Solsona sollte man sich Zeit nehmen und in Ruhe durch die engen Straßen mit den bunten Häusern, jede Straße eine andere Farbe, oder über die Plätze wie beispielsweise die Plaça Sant Joan, schlendern. Kleine Details, Lampen, Wappen oder auch die bearbeiteten Balkenköpfe an den Barbakanen erzählen ihre eigenen Geschichten.
 
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Dann halten wir an der Aufbewahrungshalle der „Mulassas“ mit den großen Figuren wie Vögel, Pferde, Rinder, König, Prinzessin, Soldat und Andere. Die werden im örtlichen Karneval durch die Stadt getragen, sind zum Teil schon sehr sehr alt. Der Karneval von Solsona ist einer der bedeutendsten in ganz Katalonien und sticht durch seine vollkommene Andersartigkeit heraus. Die volkstümlichen Verkleidungen werden durch Morgenröcke und Arbeitskittel in allen Farben ersetzt.
Traditioneller Beginn der ausgelassenen Feiern ist das „penjada del ruc (Hängen des Esels)“. Wie bitte? Tatsächlich steckt dahinter eine alte Überlieferung. Nach einer großen Trockenheit wuchs nur auf einem Dach üppig Gras, also beschloss man, einem Esel etwas Gutes zu tun, band ihm einen Strick um den Hals und zog ihn hinauf. Oben angekommen, wollte das Tier aber ein gar nichts mehr fressen, denn es war tot.
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Die Folklore von Solsona hebt sich durch ihre majestätischen Darstellungen hervor: der Tanz der Giganten, die Pferdchen, der Adler, der Drachen, die Mauleselin wie auch der typische Stocktanz sind noch ganz genau so lebendig wie sie einst erschaffen wurden, die meisten im 17. Jahrhundert. Auch die, „trabucaires (legendäre Räuberbanden)“ sind ein charakteristisches Element der örtlichen Folklore und eben die „gegants bojos (verrückten Giganten)“ oder auch „Mulassas“. Der Karneval beginnt an Altweiberfastnacht und dauert bis Aschermittwoch. Offizielle Hymne des Karnevals von Solsona ist das bekannte Lied „El Bufi“.  Ich schlendere weiter durch die Stadt, hier gibt es noch viel traditionelles Handwerk. Halte an bei Maria und Familie, die geflochtene Schuhe „Espadrilles“ herstellen, schaue nebenan, wie Körbe und andere Behälter aus Weidenrohr gefertigt werden.
 
Am späten Nachmittag gibt es auf einer Terrasse des Rathauses eine kleine Probe der örtlichen Spezialitäten wie scharfe Wurst, einen superguten Käse „Valette“ aus dem Val de Lord, Gebäck, Früchte usw. Mich fasziniert aber viel mehr das kleine Messer, mit dem der Koch völlig ohne Anstrengungen die harten Sachen schneidet, das will ich haben, aber er gibt es mir nicht. Kaufen kann ich es auch nicht mehr, Samstagnachmittag ist alles geschlossen. Aber in der Touristinformation gibt es die auch, die Mitarbeiterin war schon zu Hause, machte aber für mich wieder auf und jetzt habe ich zwei Stück. Die sind extrem scharf, es sind eigentlich Pilzmesser, man sollte sehr vorsichtig damit umgehen. Später erfahre ich, in der Stadt gibt es tatsächlich ein Museum der Messer und Schneidwerkzeuge.
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Viel zu früh verlassen wir nach einer Übernachtung und einem späten Mittagessen im Cran Puig Restaurant in Clariana de Cardener mit vielen leckeren Kleinigkeit und einem grandiosen Pulpo mit Muscheln die Stadt und fahren zurück nach Barcelona. Aber wir sind nicht allein gekommen, denn seit den Bergen schleppen wir ein Gewitter mit uns, das dann in Barcelona mit Urgewalt los bricht. Für den kurzen Weg ins Hotel bleiben wir eine halbe Stunde im Bus, draußen steht das Wasser einen halben Meter hoch. Sowas hat die Stadt noch nie erlebt.
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…und ein bisschen Barcelona
 
Wer die wunderbare Stadt noch nicht kennt, sollte eine ausgedehnte Stadtrundfahrt machen und sich den Bussen anvertrauen, die man jederzeit verlassen und wieder besteigen kann. Natürlich muss man unbedingt (trotz der viel zu vielen Touristen) die grandiose Kathedrale „La Sagrada Familia“ besuchen, Stück für Stück geht sie immer mehr der Vollendung entgegen.
 
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Wer Glück, oder es so geplant hat, geht ein Mal im Monat am späten Samstagabend hinauf zum Hügel wo das Katalonische Nationalmuseum ist und erlebt eine Sinfonie aus Wasserspielen, Licht und Musik bis hinunter zu den Venezianischen Türmen an der Plaça d’Espanya. Gerade hier spürt man bei Einheimischen das, was die katalonische Nationalhymne „Els Segadors“ so gut ausdrückt:
Catalunya triomfant
tornarà a ser rica i plena!
Endarrera aquesta gent
tan ufana i tan superba.
Text und Fotos © Wolfgang Grüner
Die Recherche wurde ermöglicht mit freundlicher Unterstützung der Generalitat de Catalunya, Katalonien Tourismus und Partnern.
 

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Wolfgang Grüner

Autor Kurzvorstellung:

Wolfgang Grüner aus Köln ist freier Fach- und Fotojournalist aus Leidenschaft. Erfahrung in Themen zu Musik und durch viele Reisen in mehr als 100 Länder.

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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