Ushuaia. Angekommen am Ende der Welt, finis mundo. So verkünden es Schilder immer wieder. Aber es stimmt nicht. Da die Erde rund ist, Spinner weghören, gibt es kein Ende. Aber Ushuaia, das nicht Uschuaia, sondern Uswaja ausgesprochen wird, ist die südlichste Stadt Argentiniens. Es gibt zwar mit Puerto Williams in Chile einen Ort, der noch südlicher und 14 Kilometer näher am Südpol liegt, aber das sei keine Stadt, sagt man in Argentinien, und zähle daher nicht. Das Wort „Ushuaia“ kommt aus der Sprache der Ureinwohner Yámana und bedeutet „Bucht, die nach Osten blickt“. Das stimmt, aber von den Yámana blickt keiner mehr nach Osten, nach Westen auch nicht, die einwandernden Europäer haben ihnen mit Erkältungskrankheiten, die man hier nicht kannte, aber auch mit Massakern der üblichen Art die Augen geschlossen.
Die Stadt, die inzwischen von Buenos Aires´ innerstädtischem Flughafen in knapp drei Stunden mit einer Boeing 737-800 über einen neuen Flughafen problemlos zu erreichen ist, bietet sich als Ausgangspunkt für zahlreiche Touren an, wenn das Wetter es zulässt. Dieses ist das ganze Jahr über relativ kalt, feucht und unbeständig. Häufig hängt ein Tief an der Südspitze von Südamerika und dessen westlicher Wind bläst nicht nur, sondern transportiert auch gerne Regen.
Die größte Attraktion der Stadt an der Südseite der Großen Feuerland-Insel (Isla Grande de Tierra del Fuego) ist der Beagle-Kanal, der nördlich der Drake-Passage und südlich des Magallan-Kanals die dritte Verbindung zwischen dem Atlantik und dem Pazifik darstellt, wenn man vom Panama-Kanal absieht. Da nur wenige Begriffe der Ureinwohner zur Namensgebung verwandt wurden, wie etwa Ushuaia, erzählen oft die modernen Namen eine Geschichte. Der Beagle-Kanal ist nach dem britischen Forschungsschiff Beagle benannt, mit dem Robert Fitz Roy die Wasserstraße 1831 entdeckte. Und sein Name ziert einen Berg weiter im Norden Patagoniens bei El Chalten an der chilenischen Grenze. In seinem östlichen Abschnitt, zum Atlantik hin, verläuft seit 1881 die Grenze zwischen den beiden südamerikanischen Staaten. Der Beagle-Kanal wiederum war namensgebend für einen Grenzkonflikt, der in den 1980er Jahren fast zu einem Krieg geführt hätte, wenn nicht Johannes Paul II vermittelt hätte. Ein anderer Krieg fand dagegen statt und ist auch heute noch in Ushuaia durch zahlreiche Denkmäler präsent, der um die Inselgruppe der Malvinas, die knapp 700 Kilometer entfernt im Südatlantik liegt, und der 1982 zugunsten Großbritanniens und ihren Falklands ausging. Darüber, wem die rauen Eilande eigentlich zustehen, darüber streiten sich die Historiker. Der Name Malvinas jedenfalls bezieht sich auf Einwohner von St. Malò in Frankreich.
Auf dem Beagle-Kanal werden Touren angeboten, die gen Atlantik auf argentinischem Wasser durchgeführt werden. Wir fuhren mit dem Katamaran zu Kormoranen, Pinguinen und Seelöwen, die unbeeindruckt von territorialen, hoheitsrechtlichen Fragen und von uns auf Felseninseln chillten. Das Wetter spielte mit, durch den hellgrauen Himmel kam am Faro del Fin del Mundo blauer Himmel durch. Die Vorstellung, im Westen bis zum Pazifik, im Osten bis zum Atlantik über das Wasser schauen zu können, und im Süden Kap Horn und die Antarktis zu wissen, schuf ein einzigartiges, fünf Stunden währendes Erlebnis aus Phantasie und Wirklichkeit.
Eine andere Tour führte uns in den Nationalpark Tierra del Fuego durch dichten Schein- und Südbuchen-Wald. Auf 63.000 Hektar beherbergt der Park die letzten Ausläufer der Anden, Gipfel, Täler, Flüsse und Seen glazialen Ursprungs. Und immer wieder bieten sich Ausblicke auf den Beagle-Kanal. Zwischen den Wäldern durchquerten wir auf gesicherten Trassen ausgedehnte Torfmoore, bis zu den beiden großen Buchten Lapataia und Ensenada.
Ein Spaziergang am Beagle-Kanal entlang führte hinter dem Hafen zu einem Schiffswrack, der Saint Christopher. Sie sollte 1954 die Monte Cervantes bergen, die 1930 unter der deutschen Flagge die Gegend bereiste und vor Ushuaia auf einen Felsen gelaufen war. Es klappte nicht. Das Passagierschiff versank, und die Saint Christopher blieb als Wrack zurück.
Unbedingt besuchenswert ist das ehemalige Gefängnis, das Presidio, das heute ein Museum ist. Dieses von Gefangenen ab 1902 gebaute und 1920 fertiggestellte Gefängnis war die Keimzelle Ushuaias. Vorher war die Gegend indianisches Territorium. Ihre Spuren sind verweht. Häftlinge bauten auch die Schmalspurbahn Ferrocarril Austral Fueguino, die Touristen in den Nationalpark bringt. Heute befindet sich im Gefängnis das Museo Presidio zur eigenen Geschichte. Ein Teil des Gebäudes erzählt von der Schifffahrt in der Region, ein anderer von den Antarktisexpeditionen.
Ein weiteres Museum ist das Museo del Fin del Mundo im ehemaligen Sitz der Argentinischen Zentralbank. Es dokumentiert die Besonderheiten der Natur und der Geschichte Feuerlands.
Wer im argentinischen Winter ins Feuerland kommt, kann auch das 1999 eröffnete südlichste Skigebiet der Welt am Cerro Castor besuchen. Als wir dort Ende November einen Besuch abstatteten, erwartete uns allerdings unterhalb des Gletschers nur eine Geröllhalde.
Die Stadt Ushuaia selbst wirkt seltsam unfertig. Viele Gebäude sind nicht vollendet, viele aus Holz, Brettern und Wellblech. So als würden die etwa 40 000 Einwohner überlegen, doch diesen zugigen Platz wieder aufzugeben. Andere Gebäude dagegen sind modern und muten an wie in Beton gegossene Zuversicht, dem Tourismus am Ende der Welt eine Chance geben zu wollen.
In Ushuaia kann man ein Kreuzfahrtschiff besteigen, um die Reise in den Süden fortzusetzen. Bis zur Antarktis sind es dann noch einmal 1000 Kilometer über die Drake-Passage, die Süd-Shetland- und King-George-Inseln, die Petermann- und die Livingston-Insel.
Aber für uns war Ushuaia schon „Ende der Welt“ genug.
BU: Blick auf den Beagle-Kanal. Copyright: hhh