Text/Fotos: Monika & Rainer Hamberger
Bild oben: Abfahrten oberhalb Whistler
Begonnen hat alles damals vor etwa 100 Jahren. John Millar, ein Trapper aus Texas, liebte die Unterhaltung, während er eine doppelte Portion Speck und Eier zu sich nahm. In der Horseshoe Bar in Vancouver im Jahre 1911 fand er willige Ohren, die seinen Abenteuergeschichten lauschten: Dort im Norden, wo seine Hütte steht, gibt es Wälder mit Kiefern, für die man einen Tag benötigt, um sie zu fällen. Glitzernde Seen und Flüsse voller Fische, die so hungrig sind, dass man einen Stock braucht, sie von der Angelschnur fern zu halten! Neugierig geworden, macht sich der Koch Alex Philip samt Ehefrau Myrtle auf den Weg in dieses paradiesisch anmutende Gebiet. Mit dem Dampfschiff geht es nach Newport, heute Squamish, von dort mit einem von Pferden gezogenen Wagen weiter, zuletzt zwei Tage Wanderung mit Lastpferden durch das unerschlossene Land. Endlich angekommen in diesem weit abgelegenen Gebiet der kanadischen Wildnis, erkennen die Beiden, dass hier der perfekte Ort für eine „Fishing-Lodge“ ist. Die Idee wurde rasch in die Tat umgesetzt. 1914 zahlen Gäste 40 Cents für eine Nacht in der Rainbow Lodge.
Die Erschließung des Landes machte auch dank der Eisenbahn schnelle Fortschritte. Im Sommer konnte man durch die Täler wandern, in glasklaren Flüssen fischen, und vom Boot aus die grandiose Gebirgslandschaft der Coast Mountains bewundern. Im Winter erforschte man mit Schneeschuhen noch unbekannte Gebiete, fuhr auf den spiegelglatten Seen Schlittschuh und versuchte sich in einer für Nordamerika „neuen“ Sportart, die man „Skifahren“ nannte. Als 1948 die Rainbow Lodge verkauft wird, ist sie nach Jasper der beliebteste Ort, wo frisch verheiratete Paare ihren Honeymoon verbringen.
Da nun auch die Geschäftsleute wittern, welches Potential in Whistler ruht, wird gebaut, wo es nur geht. Rechtzeitig genug erkannt man die Fehler und erteilt einen Baustopp. Es werden Kläranlagen angelegt, die Müllversorgung geregelt und der Ort braucht einen Bürgermeister, der die Entwicklung überwacht. Der Erfolg, der mit Alex und Myrtle Philips Angelresort begann, setzt sich somit rasant fort. Nur 120 Kilometer nördlich von Vancouver liegt heute der etwa 10.000 Einwohner zählende legendäre Ort Whistler in der grandiosen Hochgebirgslandschaft der Coast Mountains. Er gehört zu den bekanntesten Wintersportorten in ganz Nordamerika, und das, obwohl die Feriensiedlung mit unzähligen Hotels, Condominiums und gemütlichen Blockhäusern erst vor ein paar Jahrzehnten quasi aus dem Boden gestampft wurde.
Autofrei und ein Marktplatz im alpenländischen Stil
Schon sehr früh erkannte man den Vorteil eines autofreien Ortszentrums, eines Marktplatzes ohne Parkplatzprobleme, ohne Abgase, was zu einer entspannten Einkaufsatmosphäre beitragen sollte. Heute ist das Herz des Feriendorfes ganz im alpenländischen Stil gestaltet, für den die Nordamerikaner eine besondere Vorliebe haben. Geschmackvoll integriert unter Walmdächern, mit viel Holz und Naturstein sind Boutiquen, Cafés und Restaurants. Neben den neuesten Erscheinungen aus der Modewelt findet man in Galerien auch eine gute Auswahl an Kunstwerken, gefertigt von Inuits und First Nation People, die heute nur noch einen geringen Prozentsatz der Bevölkerung in Whistler ausmachen. Fischer und Jäger aus Soapstone, Walknochen oder Jade geschnitzt, Motive, die immer wieder verarbeitet werden von Menschen, die der ursprünglichen Lebensweise ihrer Vorfahren durch den Einfluss der modernen Zivilisation völlig entfremdet wurden.
Ende November ist jährlich die offizielle Eröffnung der Skisaison geplant. Instandhaltung und andere Investitionen zur Verbesserung der Skigebiete erfordern jedes Jahr ca. 14 Millionen kanadische Dollar. Das 2.874 ha große Wintersportterrain will gepflegt sein. Vor einigen Jahren begann die längste Gondelbahn der Welt ihren Betrieb – mit etwas über 3 km freihängendem Seil zwischen einzelnen Masten. Mit seinen ausgedehnten Abfahrtsmöglichkeiten gehört das Whistler Skiresort zu den größten Skigebieten in ganz Nordamerika.
Schneesicherheit ist keine Frage
Bob vertieft sich nochmals in den Wetterbericht, den er aktuell aus dem Internet abruft. Vor allem die Temperaturen sind für seine Entscheidung wichtig. Dann nickt er mit dem Kopf, die Daumen nach oben geben das OK. Der Helikopter kann starten. Kurz darauf ist das Schwirren der Rotoren zu hören. Die Aktion läuft. Langsam erhebt sich der Vogel mit seiner Last, die an den Kufen baumelt in die Luft. Bob ist Whistler Blackcombs´s „snowmaking manager“ – verantwortlich für die Erzeugung von Kunstschnee. Ein Berufsbild mit Zukunft, sollte der natürliche Schneefall nachlassen. In Whistler beginnt die Wintersaison sehr früh: Schneekanonen werden an strategisch wichtige Standpunkte transportiert, um die Launen des Wetters auszugleichen. Jedoch beträgt der durchschnittliche Schneefall während einer Wintersaison insgesamt etwa 12 Meter. Bei milden Wintern, wie es gerade auch während der Winterolympiade dort war, profitieren die Skigebiete von ihren großen Höhe.
Helikopter Skiing und „Entschleunigung“ im Familienskirevier
Das schwere Fahrzeug arbeitet sich mühsam den steilen Hang hinauf. Eine handvoll wagemutiger Skifahrer soll in ein entlegenes Gebiet gebracht werden, das per Lift nicht zugänglich ist. Noch sitzen wir in der geheizten „Schneekatze“. In 2000 Meter Höhe angekommen, werden wir mit der Realität konfrontiert: Starker Wind, Temperaturen weit unter Null, unwegsames Gelände fordern gute Kondition und Ortskenntnis. Angesichts dieser Eindrücke schweift manch wehmutsvoller Blick zu der zwischen den Bäumen verschwindenden Schneekatze. Doch gleitet man erst mal durch den „Champagner Powder“ sind die Widrigkeiten der Natur vergessen.
Snowcat Skiing und Snowboarding gehören wie das Heli-Skiing und Heli-Snowboarding zu der abenteuerlicheren Variante des Skifahrens. Glücklicherweise können sich nur wenige Gäste diese extravagante Art des Skifahrens leisten.
Außerdem gibt es jedes Jahr neue Möglichkeiten, sich den Hang hinabgleiten zu lassen. Eine rasante Abfahrt versprechen Reifen und flache Plastikbobs. In einer Family Zone können Anfänger, junge Skihasen und weniger Waghalsige geruhsam die Abfahrt genießen ohne mit den Profis zu kollidieren. Überhaupt hat die Entschleunigung auch im Wintersport ihre Nische gefunden. Mit dem Hundeschlitten in der kanadischen Wildnis unterwegs zu sein ist ein unvergessliches Erlebnis. Oder mit Schneeschuhen an den Füßen nach alter Trapperart stille Waldwege zu erforschen, findet immer mehr Begeisterte.
Das Geklapper der Hufe klingt stumpf auf der Schneedecke. Die Pferde dampfen in der Kälte. Hin und wieder streift ein Schnee beladener Zweig unser Gesicht. Wir sitzen warm eingepackt in Decken und Felle, tauschen Scherze mit anderen Fahrgästen aus und genießen die Fahrt durch den Winterwald in der Spätnachmittagssonne. Die Stille ist unwirklich. Kein Auto, weit weg die Lifte, ebenso das Getrappel der Skistiefel. Auf einer leichten Anhöhe verfolgen wir, wie die Sonne hinter den Bergen verschwindet, während der Kutscher mit Cowboyhut jedem eine Tasse mit heißem Tee in die Hände drückt. Genauso, wie man es in kitschigen Filmen zeigt – nun fehlen nur noch die Abenteuergeschichten des Trappers John Millar aus Texas. Wir genießen die Ruhe und Gelassenheit welche die unendliche Natur Kanadas verbreitet. So war es schon letztes Jahr. So wird es auch wieder in diesem Winter sein und im nächsten und im übernächsten.
Informationen:
Allgemeine Auskünfte über Westkanada und die Provinz Britisch Kolumbia finden sich unter
www.hellobc.ca
Reiseführer: im Kunth Verlag ist die Neuauflage des in Flexobroschur gebundenen Buches „Unterwegs in Kanada“ innerhalb dieser „Unterwegs-Reihe“ mit Bänden aus aller Welt erschienen. Auf 392 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, Tourenempfehlungen und Landkarten gibt es ein detailliertes Bild des riesigen Landes; ISBN 978-3-89944-996-9, Preis € 29,95
www.kunth-verlag.de/unterwegs-in-kanada
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