Mit gestrandeten Seeleuten zwischen Stimmung und Sentimentalität
Von Dagmar Gehm
Silvester im Hafen! Für Hamburger und Touristen ein ganz besonderer Platz, um das neue Jahr zu begrüßen. Doch für Seeleute, die tausende von Meilen von zuhause entfernt sind, ist der Aufenthalt eine Notwendigkeit, die sie hinnehmen wie Sturm und Wind, wie Ebbe und Flut.
Um den „Gestrandeten“ die Wartezeit zu verkürzen, bis ihre Schiffe nach der amtlichen „Hafenruhe“ über Neujahr wieder auslaufen dürfen, bietet die Deutsche Seemannsmission Hamburg-Harburg im „Duckdalben – international seamen’s club“ den Fahrensmännern einen Ankerplatz, der sich zu Silvester in eine fröhliche Partylocation verwandelt.
Daheim war schon um 17 Uhr Jahreswechsel
20 Uhr. Eduardo C. Bonagua aus Manila muss erst mal wieder runter kommen. Drei Stunden hat er via Skype mit Frau und Kindern gesprochen. „Daheim war schon um 17 Uhr Mitternacht“, sagt Eduardo und holt tief Luft. „Da musste ich meinen Lieben Glück wünschen“. Erst im Mai endet für ihn der Vertrag auf dem niederländischen Containerschiff MV Eendracht. So lange sieht er seine Familie nur auf dem Bildschirm.
Eduardo ist nicht zum ersten Mal im Duckdalben, der 2011 von Seemännern rund um den Erdball zum besten Seemannsclub der Welt ausgezeichnet wurde. Jedes Mal, wenn das Schiff, auf dem er gerade arbeitet, in Hamburg festmacht, lässt er sich in der Seemannsmission zu Füßen der markanten Köhlbrandbrücke blicken. „Ich treffe Landsleute“, sagt Eduardo, „kann mit ihnen Tischfußball und Billard spielen und ein Bier trinken.“ Ab 1,25 Euro kostet die Flasche, so günstg bekommt er sie sonst nirgendwo.
Silvester und Neujahr freies Internet
Ein kleiner Shop verkauft von der Gitarre bis zu Hygieneartikeln alles, was das Seemannsherz begehrt, inklusive preiswerte Simkarten und Wertmarken für Internet und 17 Telefone im Haus als Nabelschnur zur Heimat. Nur wenig Geld müssen die Seeleute fürs Skypen und Telefonate in die ganze Welt bezahlen. „Geldüberweisungen nach Hause können sie ebenfalls bei uns vornehmen“, sagt Diakon Jan Oltmanns, der seit der Eröffnung 1986 den Duckdalben leitet.
„Silvester und Neujahr gibt es sogar freies Internet für alle.“
Die riesige geschmückte Tanne im Flur ist noch aufgebaut, die Räume sind mit Luftschlangen und einer glitzernden Discokugel dekoriert. An der Bar gibt es alles außer Schnaps, denn blaue Jungs dürfen hier nicht blau sein. Die Mitarbeiter im Duckdalben – viele davon sind ehrenamtlich tätig – haben ein Büffet mit Würstchen und Kartoffelsalat aufgebaut, um Mitternacht gibt es nach deutscher Sitte noch Berliner und Sekt.
Feier für rund 100 Seeleute aus 15 Nationen
„Wir wollen unseren Seeleuten zu Silvester immer eine richtig schöne Party bereiten“, sagt Jan Oltmanns. „Rund 100 aus zehn bis 15 Nationen feiern jedes Jahr bei uns“.
Doch vor dem Frohsinn suchen einige den „Raum der Stille“ im ersten Stock auf, wo sie ein Gebet sprechen. Für alle großen Weltreligionen sind Nischen eingerichtet, offen und ohne Trennwände. „Danke, dass Du uns durch raue See geleitest“, hat einer auf Englisch ins Gebetbuch geschrieben. Das spricht allen aus der Seele.
Sehnsucht und Sentimentalität einfach weglachen
Und dann lässt Eduardo richtig los und fetzt sich zur Lifeband die Seele aus dem Leib. Wenn ihm die Puste ausgeht, wechselt er in den Karaokeraum. Singen und lachen, die Sehnsucht und die Sentimentalität einfach weglachen. Mit Chinesen, Russen, Ceylonesen, Malaien, Finnen und Schweden. Sprachbarrieren sind nicht existent, die gibt es auch an Bord nicht. Später stößt Eduardo auf das neue Jahr an mit Offizieren oder gar Kapitänen – in dieser Oase der Gestrandeten ist die Rangordnung für ein paar Stunden außer Kraft gesetzt.
Ankerplatz der Seeleute an Land
Mitternacht am Duckdalben. Prosit Neujahr! Cheers! Gampai! Nastrovje! Vor der Mission wird ein Feuerwerk abgefackelt, es wird gekracht und immer noch gelacht. Um halb eins ist Schluss mit lustig, dann werden alle mit Kleinbussen zurück auf ihre Schiffe gebracht. Nur die wenigstens zieht es noch weiter ins Rotlichtviertel auf St. Pauli.
Viel wünscht sich Eduardo nicht für das kommende Jahr. Dass kein Taifun die Philippinen heimsucht. Und dass er wieder einen Sieben-Monats-Vertrag erhält. Noch einmal singt er im Karaokeraum ein Lied in seiner Muttersprache. Beflügelt von Bier und Wein, begeistert angefeuert von Kameraden aus vielen Nationen. Von denen viele jetzt eigentlich lieber bei ihren Familien wären, aber ganz entspannt die fröhliche Feier in der Seemannsmission genießen. An ihrem Ankerplatz an Land.
Dagmar Gehm