Salzburg: Literarischer Stadtspaziergang

 


Von Elke Backert

Um die Jahrhundertwende führte die Geburtsstadt zweier so berühmter Menschen wie Wolfgang Amadeus Mozart und Herbert von Karajan ein eher bescheidenes Dasein. Bekannte Persönlichkeiten stimmen darin überein, dass Salzburg die verschlafenste Residenzstadt der k. und k.-Monarchie war, ein von der weiten Welt so gut wie vergessener Ort. Ihre historische Bedeutung als einstiger Sitz der Fürst-Erzbischöfe, die u. a. den Titel Primas Germaniae trugen, war ebenso verloren gegangen wie die musikhistorische Mozarts. Zwar existierten die heutigen Mozart-Gedenkstätten, doch wurden sie selten von Reisenden aufgesucht.

Von Löwen flankierter Pegasus-Brunnen vor dem Schloss Mirabell, das als Rathaus fungiert und in dessen „Marmorsaal“ fleißig geheiratet wird

Kunstfreunde nahmen Fahrten in die Kapitale Wien in Kauf, weil man „beim Kaiser“ am besten wisse, was Musik und Theater sei. Oder sie fuhren nach München, die Stadt, die Thomas Mann als leuchtende Kunstmetropole feierte. Auch Kaiser Franz Joseph machte sich rar in der Residenzstadt. Einzig Erzherzog Ludwig Viktor, des Kaisers Bruder, wegen seiner homophilen Neigungen vom Hof verbannt, lebte auf Schloss Klessheim, wo heute das Casino untergebracht ist, und galt als Kunstmäzen. Salzburg wurde mit dem Beiwort „verträumt“ geschmückt. Selbst Stefan Zweig, der sich während des Ersten Weltkriegs am Kapuzinerberg ein Haus gekauft hatte, präzisierte diese Charakterisierung in seinen „Erinnerungen eines Europäers“, Salzburg sei ein „antiquarisches, schläfriges, romantisches Städtchen am letzten Abhange der Alpen“ gewesen.

Mirabell-Schlossgarten mit Blick auf die Feste Hohensalzburg
Die Festung Hohensalzburg

Nun fallen seit Jahren ganze Heerscharen von Touristen über die kleine Stadt an der Salzach her. Vor allem Tagesausflügler – pro Jahr sind es mehrere Millionen – folgten einem „tief ausgetretenen Ameisenpfad“ zwischen Mozarthaus, Dom und Festungsbahn, eruierte der Salzburger Psychologe Alexander Keul. Er beschreibt den typischen Tagesgast in einer Studie („Von Menschen und Ameisen. Erkenntnisse über den Tourismus in Salzburg) als 40 Jahre alten Deutschen, der paarweise unterwegs sei, sich vier Stunden in der Stadt aufhalte und ein flottes Tempo vorlege, nämlich drei bis vier Kilometer in der Stunde.
Das dürfte sich ändern, macht man einen „literarischen Stadtspaziergang“, den das Literaturhaus einmal ausgearbeitet hat. Er beginnt – wunderschön – auf dem bewaldeten Mönchsberg, den man mit dem Lift erreichen kann. Das Café Winkler, in dem ein Rundgemälde des Malers Johann Michael Sattler (1786-1847), ein 360-Grad-Panorama der Stadt, hing, ist abgerissen. An seiner Stelle sollte ein Guggenheim-Museum entstehen, ein konisches Gebäude, in den Fels gehauen. Doch wurde der Plan verworfen, und Guggenheim ging nach Bilbao mit seiner extremen Architektur. Nun findet das Museum der Moderne dort Platz mit dem edlen Restaurant m32. Doch ebendieses grandiose Panorama erspäht man leibhaftig: mit Dom und Franziskaner-Kirche, mit der Festung Hohensalzburg, man blickt über die gemächlich dahinfließende Salzach, ihre Brücken und Stege hinweg zum Kapuzinerberg.
Das 360-Grad-Panorama, auch Sattler-Panorama genannt, hat ein eigenes Museum am Residenzplatz erhalten.

Das Sattler-Panorama
Blick über Salzburg vom Mönchsberg aus auf den Kapuzinerberg mit Stefan Zweigs Paschinger Schlössl

Auf dem Kapuzinerberg versteckt sich ein gelbes Gebäude, das als Stefan Zweigs Paschinger Schlössl bekannt ist. Das Haus heißt auch Trompeter Schlössl, und der französische Schriftsteller Romain Rolland nannte es gar „Villa Europa“, weil Zweig es gern mit Künstlern aller Herren Länder teilte. Ravel, Toscanini, Bela Bartók, Alban Berg waren gern gesehene Gäste. Richard Strauß traf sich hier mit seinem Librettisten Hugo von Hofmannsthal. Arthur Schnitzler, Franz Werfel, Hans Carossa, Jakob Wassermann kamen zu Besuch. Der Ire James Joyce bescheinigte der Stadt: „It must be easily the finest town of its size.“

Einkaufsstraße mit vielen schönen Aushängeschildern
Zum Gedenken an Mozart

Von 1919 bis 1934 bewohnte Zweig die Villa – nur die Sommermonate verbrachte er in Zell am See -, bis er sich nach einer Hausdurchsuchung durch die Nazis aufgefordert sah, seine Wahlheimat zu verlassen. 1998 kursierten Gerüchte, dass aus der Villa ein Zweig-Museum werden sollte. Doch heute heißt sie Gollhofer-Villa, ist in Privatbesitz und nicht öffentlich zugänglich. Allerdings widmete man Zweig das „Stefan Zweig Zentrum Salzburg“ in der Edmundsburg.

Haupteinkaufsstraße Salzburgs mit Mozarts Geburtshaus: die Getreidegasse
An den Fels geschmiegt: der Petersfriedhof

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Am Salzburger Festspielhaus

Ebenfalls ein offenes Haus führte die Malerin Agnes Muthspiel. Sie hatte ihr Atelier auf dem Mönchsberg und rettete möglicherweise Werner Bergengruen das Leben, indem sie ihm in ihrer Wohnung Unterschlupf gewährte. Die Gästeliste der Malerin ist lang: Marcel Marceau, Saul Bellow, Elias Canetti, Carl Orff, Gottfried von Einem. Vergeblich versuchte ein Augsburger in Salzburg ansässig zu werden: Bert Brecht. Erfolgreicher war da Ilse Aichinger. 1921 in Wien geboren, zog sie mit ihrer Familie in die Festspielstadt und verlebte hier einen wichtigen Teil ihrer Schaffensperiode. Auch den 1942 in Kärnten geborenen Autor Peter Handke regte die Mozart-Stadt zur Arbeit an. Die neun Jahre von 1979 bis 1988 zählen zu seiner produktivsten Zeit. Nachzulesen in „Der Chinese des Schmerzes“, „Nachmittag eines Schriftstellers“ und „Kindergeschichte“. Bei Handke ist der Mönchsberg sogar Schauplatz eines Mordes.

Über die barocke Engelstiege führt der Weg zur Trauung in den Marmorsaal von Schloss Mirabell


Spaziert man vom Mönchsberg hinunter, gelangt man in die Altstadt, die die UNESCO am 1. Januar 1997 in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen hat. Der Domplatz bleibt für den jährlichen „Jedermann“ reserviert, dem Residenzplatz hängen schlechte Reminiszenzen an: Hier fanden nicht nur Bücher den Feuertod, hier gab es auch, mindestens in Ludwig Ganghofers Roman „Mann im Salz“, eine Hexenverbrennung. Heute wollen die Werke der Residenzgalerie besichtigt werden: Neben einer ständigen „Sammlung in fürstlicher Tradition“ mit europäischer Malerei des 16. bis 19. Jahrhunderts wurden 1998 zum 75. Jubiläum Sonderausstellungen gezeigt, Malerei des französischen und des flämischen Barock und der Gründerzeit.

Unentbehrlich – die Fiaker
Mahnmal zum Gedenken an die Bücherverbrennung der Nazis

Verlässt man die von Touristen überlaufenen Plätze Richtung Standseilbahn, erfasst einen urplötzliche Stille. Eng schmiegt sich der kleine Petersfriedhof an den nackten Fels des Mönchbergs. Die passenden Worte dafür fand der österreichische Lyriker Georg Trakl: „Ringsum ist Felseneinsamkeit./ Des Todes bleiche Blumen schauern/ Auf Gräbern, die im Dunkeln trauern -/ Doch diese Trauer hat kein Leid…“
Auch wenn Besucher aus aller Welt hier eine Schweigeminute einlegen – gleich hinter dem Friedhof dringt aus dem berühmten Peterskeller, dem „St. Peter Stiftskulinarium“, 803 erstmals urkundlich erwähnt und somit ältestes Restaurant Mitteleuropas, ein monotones lebendiges Geräusch: Die Köche des Restaurants klopfen die Fleischscheiben, bevor sie als Wiener Schnitzel auf die Gästeteller kommen.

Das Trakl-Haus


Georg Trakl, 1887 im alten Schaffnerhaus am Waagplatz 1a geboren, konnte seine Todesvisionen ebenso ausdrucksstark wiedergeben wie der Dramatiker Thomas Bernhard. Seine Autobiographie „Die Ursache“ leitet er mit einer Zeitungsnotiz des Inhalts ein, Salzburg habe eine überdurchschnittlich hohe Selbstmordrate. Nicht ohne Grund heißt die Humboldt-Terrasse Selbstmörder-Sprungbrett. Das Schaffnerhaus ist seit 1973 Trakl-Forschungs- und Gedenkstätte.
Bernhard bevorzugte den Sebastiansfriedhof: „Stundenlang saß ich auf irgendeiner Grabeinfassung und grübelte über Sein und sein Gegenteil nach.“
An der Imbergstiege, die auf den Kapuzinerberg führt, erinnert eine Tafel an Joseph Mohr, den Komponisten von „Stille Nacht“. Für den Aufstieg sollte man aber den Fahrweg nehmen, vorbei an den Kreuzweg-Stationen, deren lebensechte Figuren, zu Ostern frisch gewaschen, in neuem Glanz erstrahlen. Von der Hettwer-Bastei, 800 Meter hoch, schweift dann der Blick grenzenlos auf die Schneegipfel der Berchtesgadener Kalkalpen und den 1853 Meter hohen Untersberg als Krönung oder, mit den Worten des Zeichners und Radierers Ludwig Richter (1823), auf den „Kranz der schönsten Gebirge, welche in weitem Bogen die Salzach umziehen“. Aussichtspunkte nämlich sind das A und O der Stadt, und der Blickwinkel ist immer ein anderer.

„Schule des Sehens“ nannte der gebürtige Wiener Maler Oskar Kokoschka seine Kurse in der „Sommerakademie“. Für die Salzburger Festspiele entwarf er Bühnenbilder und Kostüme. Im Festspielhaus finden sich Tapisserien von ihm, Amor und Psyche darstellend.

Info: www.salzburg.info und www.literaturhaus-salzburg.at

Fotos Elke Backert

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Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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