„Wage es, Dich immer zu erinnern“, dieser Spruch ist von Gabriele D´Annunzio. Und Giorgia Meloni, Chefin der Fratelli d’Italia und vermutlich nächste Premierministerin Italiens, hat diesen Spruch hervorgekramt, um all den Italienern, die ein Abbild von Che Guevara auf dem Hemd tragen, zurufen: „Nehmt D´Annunzio stattdessen.“ Denn der Dichter, der auch ein Krieger war und der die „Impresa di Fiume“ unternommen hat, um Stadt und Umland im Handstreich für Italien zu gewinnen, der ist für sie, die Post- oder Neofaschistin – ein Nationalheld. In Rijeka (Fiume) sieht man das anders, und als vor zwei Jahren die kroatische Stadt Kulturhauptstadt Europas war, hat man sich nüchtern und neutral mit der „impresa di Fiume“ und D´Annunzio, der in kultureller Weise der Ziehvater Mussolinis und Begründer des Faschismus war, befasst. Die Historikerin Tea Perinčić hatte von der Stadt den Auftrag, dem Rest der Welt im Kulturjahr 2020 ein gerechtes Bild von D’Annunzio zu malen. Das ist ihr gelungen, auch weil die Abenteuer des „kranken Revoluzzers“ lange her sind, sie geschahen gegen Ende des 1. Weltkrieges im den Jahren 1919 und 1920. Heute sind Italien und Kroatien in der Europäischen Union vereint, territoriale Ansprüche sind – wie der kriegerische Dichter und der Faschismus – Geschichte. Aber, so steht es in der Innenstadt auf dem Korzo (Corso) von Rijeka: „Misli se vide“ – das heißt „die Gedanken sieht man“. Und die Gedanken einer Giorgia Meloni sind via Twitter auf der Welt unterwegs und so sichtbar, dass tatsächlich die Forderung nach einer Aushändigung Rijekas an Italien von einigen ihrer Parteigänger erhoben wurde. „Meloni, Salvini, Berlusconi, die Namen dieser drei Köpfe bereiten uns Alpträume“ schrieb die französische Kultzeitung Charlie Hebdo unter Verweis darauf, dass unter einer Regierung dieser drei „alle fremdenfeindlichen Schrecken möglich seien.“
In Rijeka nimmt man die Twitter-Nachricht Melonis und die nationalistischen Reaktionen gelassen auf. Die Stadt genießt das endlich Corona-freie Straßenleben zwischen Nationaltheater und Boonker, einem beliebten Lokal in einem ehemaligen Bunker am Meer, zwischen Korzo und Hafen und darüber hinaus, man fährt hinauf zur Burg und läuft die Treppen hinunter. Und seitdem die 3 Kilometer lange Kaimauer als Spaziergang empfohlen wurde, finden sich dort viele Ausflügler, die wechselweise die Stadt und die Berge dahinter oder das Meer mit den Inseln Krk und Cers in den Blick nehmen. Es sind die letzten Tage des Sommers, und die Kroaten sieht man selten so entspannt. Und Italien? Rijeka wurde Kulturhauptstadt, auch weil 22 Ethnien friedlich in seinen Mauern leben. Es gibt viel Italienisches in der Stadt, mehr noch erinnert an die Zeit, als die Habsburger hier das Sagen hatten. Diese prägen bis heute das mondäne Opatja, eine halbe Stunde auf der gegenüberliegenden Seite der Kvarner Bucht entfernt, aber Rijeka hat an Flair gewonnen, auch durch die Kulturhauptstadt.
Und der „Caso d’Annunzio“, der eher ein Fall Meloni ist? Die „Idraulici“, die Klempner, eine italienische Jugendgruppe, vertraute der Zeitung La Voce, italienisch-sprachig, an, dass das alles „Zeitungsenten“ wären. „Wir lieben Kroatien.“ Immerhin hatten sich Italiener vor dem Regierungspalast mit einer Flagge des Königreichs Italien gezeigt, und immerhin hatten kroatische Zeitungen geschrieben, „die Neofaschisten Italiens proben die Invasion.“ 16 Personen seien verhaftet worden. Im Übrigen, so die Idraulici, sei D´Annunzio kein Faschist gewesen. Wie auch immer, jedenfalls hat sich Mussolini bei seinen Gedanken, Mythen und Bildern ausgiebig bedient. Die Geschichte vereint alle Bewohner in Rijeka, in der übrigens nach der neuesten Statistik alle ethnischen Minderheiten deutlich kleiner werden, mit Ausnahme der Rom. Und das sind keine Römer, sondern eine Volksgruppe, die gerade von Meloni wegen ihres Hangs zur Nicht-Sesshaftigkeit mit Hass überzogen wird. Es ist zutiefst verwerflich, die Geschichte nach eigenem Gusto und Woke und Cancel Culture neu schreiben zu wollen.
Rijeka war als habsburgischer Hafen Konkurrent von Venedig. Aber auch hier lebten italienischsprachige Kaufleute. Daher diente Italienisch im 18. und 19. Jahrhundert neben Ungarisch und Kroatisch als Sprache des öffentlichen Lebens. Am 29. Oktober 1918 verließ der letzte ungarische Gouverneur die Stadt. „Rijeka ist eine ungarische Stadt, die von italienischsprachigen Kroaten bewohnt wird“, lautete ein damals populäres Sprichwort. Gabriele D’Annunzios „Cittá di Vita“ (Stadt des Lebens) „die einzig glühende Stadt, die einzige Stadt der Seele, ganz Atem und Feuer, ganz Schmerz und Raserei, ganz Reinigung und Aufzehrung”, blieb nur eine 15 Monate lange Episode. Aber eine vor Lebensfreude glühende Stadt ist Rijeka noch heute. Und jeder Besucher wird sich – gerne – daran erinnern.
BU: Von der Kulturhauptstadt 2020 übrig geblieben, eine Kanone aus Fiume; Copyright: hhh